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Coping gegen Trump

Am 31. Dezember 2019, kurz vor Mitternacht, stand ich auf der Terrasse der US-Botschaft in Berlin und blickte auf die Feier am Brandenburger Tor. Neben mir standen der damalige US-Botschafter Richard Grenell, der damalige israelische Botschafter Jeremy Issacharoff und ein Soldat einer US-Spezialeinheit. Es war Mitternacht, wir prosteten uns zu. Der Soldat schaute auf die Uhr und sagte: „0:02 Uhr – und bis jetzt ist alles gut gelaufen!“ Aber es lief nicht so gut. Wie kamen wir dahin, wo wir heute sind?

Wahlparty der DC Republicans
Wahlparty der DC Republicans

Die folgenden Jahre waren gezeichnet von der Corona-Pandemie, Lockdowns, Regierungskrisen, dem Abzug des Westens aus Afghanistan, der vollen Invasion der Ukraine, dem 7. Oktober in Israel und der Zunahme des Terrorismus. Immer, wenn die Welt aus den Fugen gerät, sehnen sich die Menschen nach Stabilität. Und die finden sie klassischerweise bei den konservativen Kräften. Sie konservieren, wie der Name schon sagt, die Werte, die man kennt. So wie es war, so wie man es kennt. Nicht immer gut – aber auch nicht schlecht. 

Trump vs. Putin und Iran

Scharfschützen auf einem Container
Kamal Harris Rede in Washington: Scharfschützen auf einem Container

Im Januar 2019 erklärte die Trump-Administration, dass der Iran ein großes Problem werden würde, dass er gefährlich ist, dass er Terroristen im ganzen Nahen Osten umbildet und versorgt. Und dass man nicht mit ihm handeln solle. Auch Putin würde Russland immer gefährlicher machen lassen. Deutschland solle von Nord Stream 2 Abstand nehmen, sich nicht von russischer Energie abhängig machen. Der US-Botschafter Grenell wurde angewiesen, die deutsche Wirtschaft zu informieren, dass ihnen im schlimmsten Fall US-Sanktionen drohen, wenn sie weiter mit diesen Ländern handeln.

Dieses wurde in Deutschland als „Drohung“ aufgefasst. Der Botschafter würde „Drohbriefe“ an die Wirtschaft schreiben. Die vorherrschende Meinung war: Wir lassen uns nicht von anderen in unserer Wirtschaft und Politik reden – was für einen souveränen Staat natürlich nachvollziehbar ist. Doch am 24. Februar 2022 sollten sich einige der von den Amerikanern vorausgesagten Probleme bestätigen. Auch derzeit ist die Position Trumps zur Ukraine und Russland nicht eindimensional. Seine Vertrauten erklärten immer wieder, dass sie weiterhin das Ziel haben, Druck auf Putin auszuüben, um diesen Konflikt zu beenden.

2020 – Knapp verloren

Als der US-Wahlkampf 2020 begann, konnte ich mir nicht vorstellen, dass Trump gewinnen würde. Nicht, weil er keine Fans mehr hatte, sondern weil die Stimmung bei den Wählern nicht gut genug für ihn war. Dabei hatte Trump damals nicht haushoch verloren. Er holte 46,8 % der Stimmen – für deutsche Parteien wäre das heute noch ein traumhaftes Ergebnis. Dieses Ergebnis ist auch nicht direkt dem de facto Zweiparteiensystem der USA geschuldet. Es hätten auch 100 % für Biden stimmen können. Doch Trump war weiterhin attraktiv genug für viele.

Wie kann ein Land 46,8 % Neonazis haben, fragten sich dann viele Deutsche? Denn sie konnten sich nicht vorstellen, dass jemand anderes, als ein Neonazi, Trump wählt. Trump ist blöd, ein Straftäter, ein Rassist und ein Frauenfeind – so die allgemeine Sicht auf ihn in Europa. Aber was zieht die Leute zu ihm? Ich war bereits damals überzeugt, dass er oder eines seiner Kinder 2024 wiederkommen wird und gute Chancen hat. Biden war zunehmend ein Problem für die US-Politik. Kamala Harris konnte sich auf der Weltbühne nicht positionieren.  

Trump und Kamala?

Auch die Frage, warum man von „Trump“,a Udo dem Nachnamen und „Kamala“, also dem Vornamen spricht, führen zu wildesten Interpretationen und komplizierten Theorien, was dahinterstecken mag. Für alle, die sich kurz damit befasst haben, ist die Antwort einfach. Es ist die jeweils von ihnen selbst gewählte Ansprache. Trump mag seinen Nachnamen. Kamala ihren Vornamen. Und sollte man sie in Europa als „Donald“ und „Dr. Harris“ bezeichnen, würde das rein gar nichts am Wahlergebnis oder ihrem Wesen ändern.

Wer wählt Trump?

Trump Wähler gibt ein Interview

Trump blieb bei vielen beliebt. Doch warum? Ich hatte immer wieder Foren, Social-Media-Beiträge und Artikel von seinen Fans gelesen. Nun war ich bei seinen Wahlkampfveranstaltungen. Die Gründe sind vielfältig. Doch die oft als einzige Zielgruppe genannten Neonazis und Hillbillies habe ich bei den Veranstaltungen in New York, Washington D.C. und Detroit nicht gesehen. 

„Er ist ehrlich“ erklärt mir eine Frau Mitte zwanzig. „Klar, der redet mal Blödsinn oder mal dieses und mal jenes. Aber es ist doch keiner so blöd und glaubt das? Oder meinst du echt, Ausländer kommen her, um hier unsere Haustiere zu essen?“ Es wird eher als Unterhaltung gesehen. Zur Frage der Abtreibung, welche bei Kamala eine zentrale Rolle spielt, sagt sie „Überleg dir halt vorher, mit wem du ins Bett gehst. Oder verhüte. So schwer ist das auch nicht.“ Diese Sichtweise ist sicher sehr einfach – aber so wird es mir hier oft erklärt.

Eine Gruppe junger Studenten sagt mir: „Ich habe keine Lust mehr auf diese woke Scheiße. Sei Frau, Mann, Außerirdischer, von mir aus Einhorn. Das ist mir doch egal. Aber lass mich einfach mit in Ruhe. Das ist deine Sache. Ich erzähle dir auch nicht den ganzen Tag, wie wichtig es für mich ist, Mann zu sein.“ Von drei jüdischen Jugendlichen ist die Erklärung wieder ganz anders: „Er holt unsere Geiseln zurück. Als er Präsident war, war die Welt in Ordnung. Naher Osten war auf einem guten Weg, Israel war friedlich, kein Krieg mit Russland. Sieh dir mal an, was Biden daraus gemacht hat!“. 

Auf den Veranstaltungen sind Menschen jeden Alters. Ohne Eltern kommen die jüngsten mit etwa 15 Jahre. Die ältesten schieben ihren Rollator. Geschlechter sind gemischt. Es sind viele Juden mit sichtbarer traditioneller Kleidung oder Davidstern zu sehen, einige Latinos und wenige Afroamerikaner. Die Zusammensetzung bei Kamala Harris Events ist nicht viel anders – nur sind dort mehr junge Frauen. 

Muslims for Trump 

Richard Grenell bei "Muslims for Trump"
Richard Grenell bei „Muslims for Trump“

In Detroit treffe ich auch die Gruppe „Muslims for Trump“. Diese führen ebenfalls als Grund an, dass der die Kriege im Nahen Osten beenden würde. Auf den Einreisebann, den Trump angeblich gegen muslimische Länder verhangen hat sagen sie „Ja erzählt ihr euch das immer noch? OK. Also das muslimische Land Nordkorea ist da drauf. Ach ne, sind ja keine Moslems. Aber Saudi-Arabien ist nicht drauf. Da sind Moslems. Geht es vielleicht gar nicht um Moslems? Meine Eltern kommen aus dem Iran. Die haben Probleme, hier herzukommen. Aber: Es ist der Iran! Was ist denn die Erwartung? Ich habe da kein Problem mit.“ 

Auch hier ist Richard Grenell zu Gast, welcher seit Jahren an Trumps Seite blieb und als zukünftiger US-Außenminister gehandelt wird. Er hat seit Wochen fünf bis zehn Termine am Tag. Oft kleine, wie diesen mit vielleicht 50 Personen. Er sagt zu den Anwesenden: „Ihr müsst Wayne County auf Trump drehen. Und ich verspreche euch: Die nächsten zwanzig Jahre wird jeder Kandidat genau hier stehen, weil ihm klar wird, wie relevant diese Community ist.“ Vor vier Jahren gewannen die Demokraten in Wayne County haushoch, diesmal waren es die Republikaner. Ganz knapp.

Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Noch vor 24 Stunden wurde ich dafür angefeindet, nicht den Sieg von Kamala Harris herauf beschwören zu wollen. Ich bleib bei einem „das wir knapp für beide.“ Auch, wenn die meisten Umfragen ein unklares Ergebnis voraussagten. Oft 50 % zu 50%, manchmal 47 % zu 45 %. Nie mit großem Abstand. Die US-Meinungsforschungsinstitute gaben auch zu bedenken, dass viele Trump-Fans den Instituten misstrauen und die Fragen nicht beantworten. Die Quote dieser Menschen wurde auf 15-25 % geschätzt. Institute haben Korrekturfaktoren dafür. Aber ein paar Prozent Abweichung sind drin. Selbst Sender wie CNN, die sicher nicht pro Trump eingestellt sind, brachten diese Zahlen. 

Dennoch gingen noch gestern 85 % der befragten Deutschen von einem Sieg für Kamala Harris aus. 

Auch noch abends. Bis es langsam kippte. Wie konnte man die Möglichkeit eines Trump-Sieges so ignorieren? In einer Twitter-Diskussion zu genau dem Thema fasst ein Nutzer mit den Worten „am Ende muss ich mir eingestehen, dass ich es nicht sehen wollte …“ zusammen. Und so ging es wohl vielen. Doch nicht wahrhaben wollen, was man nicht wahrhaben will, ändert die Realität nicht.

Am Ende wäre es für viele wohl besser gewesen, unbeeinflusst, die Zahlen zu sehen und sich mental darauf vorzubereiten, dass beide Möglichkeiten bestehen. Enttäuschung ist das Ausbleiben eines erwarteten positiven Ereignisses. Und genau das beschreibt die Situation in weiten Teilen Europas derzeit gut. Und nun müssen wir alle das tun, was bisher nur wenige gemacht haben: Ergebnisoffen in die Zukunft blicken und uns überlegen, wie wir mit dieser Situation umgehen. 

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