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Corona in Kurdistan

Reist man aus einem Risikogebiet wie Kurdistan-Irak zurück nach Deutschland, dann wird nicht mal der Corona-Test kontrolliert. Keine Anweisung sich in Quarantäne zu geben. Nichts. In die Gegenrichtung braucht man inzwischen zwei Tests. Um das Flugzeug in Berlin überhaupt boarden zu dürfen, muss ich einen aktuellen Corona PCR-Test vorweisen. Nach der Landung muss ich einen Schnelltest machen, der ausgewertet wird, während ich mein Gepäck hole. Und danach? Man findet überall Desinfektionsmittel und Fieberthermometer: In den Hotels, der Shoppingmall, in Cafés, bei der Autovermietung. Die Quote der korrekt getragenen Masken liegt bei 10 %, es wird selten Abstand gehalten. Niemanden scheint es zu stören, alle sind entspannt. Ist Corona in Kurdistan vorbei? Jein.

Wie wurde getestet?

Sieht man sich das „Corona Update“ der kurdischen Regionalregierung an, so gab es auf rund sechs Millionen Leute in der Region 106.419 gefundene Fälle. Es wurden 1.078.451 Tests durchgeführt, was erstmal positiv klingt. Dabei muss man aber bedenken, dass sich diese Zahl auf die gesamte Corona-Zeit bezieht und dass Vielflieger für jeden Abflug einen Test machen mussten. Die Verteilung der Tests in der Bevölkerung dürfte also sehr ungleich sein.

Welche Maßnahme hat Kurdistan ergriffen?

Im vergangenen Jahr gab es in Kurdistan einen Lockdown vom 13. März bis zum 18. Mai. „Einen Lockdown. Also nicht wie bei Euch, wo man weiter raus durfte und zur Arbeit und manche zur Schule und so weiter. Und da wundert Ihr Euch über Eure Probleme?“ – erklärt mir ein kurdischer Beamter. Er sieht im Fernsehen den Jo-Jo-Effekt in Deutschland und wundert sich. Hier durfte man maximal bis zum nächsten Lebensmittelladen. Auf dem Land wurden Leute teilweise per Care-Paket versorgt, welches vor die Tür gestellt wurde. Was in Deutschland vermutlich ein immenses logistisches Problem wäre, wird hier sehr einfach gelöst: Man packt Pakete mit Grundnahrungsmitteln, packt die auf einen Laster und stellt dann jeweils eines in bestimmten Gegenden vor jede Tür. Hat man Pakete über, gehen die woanders hin. Hat man zu wenige, fährt man nochmal los. Die Lebensmittel wurden oft von lokalen Bauern gekauft, welche aufgrund es Lockdowns keine Kunden mehr hatten.

Einzelne Wohngegenden wurden komplett unter Quarantäne gestellt, sobald es dort vermehrt Fälle gab. Auch hier reichte es, die Bereiche zu kennzeichnen. Irgendwie käme in Kurdistan niemand auf die Idee, dort ohne Maske demonstrieren zu gehen. „So blöd können nur Deutsche sein“, lacht der Beamte und ergänzt: „Aber wart ihr nicht mal die klugen Leute? Was ist daraus geworden?“ Ich habe keine gute Antwort auf diese Frage. Aber ja, sich aus Prinzip kontraproduktiv zu verhalten, scheint in Mode zu kommen. Das zu tolerieren scheint eine Leitlinie unserer Politik geworden zu sein.

Wie viele Corona-Fälle es in Kurdistan tatsächlich gab, ist völlig unklar. In ländlichen Gegenden und vor allem in den Flüchtlingscamps, in denen immer noch rund eine Million Menschen leben, werden 80 % und mehr vermutet. Aber getestet und erfasst wurde es nicht. „Hier hatte das jeder. Ich auch. Aber jetzt sind wir in einer Immunphase. Mich wundert nur, dass nicht mehr Leute als sonst gestorben sind“, sagt ein Bewohner des Khanke-Camps bei Dohuk. Ich versuche die Aussage über die Todeszahlen zu verifizieren, aber komme nicht weit. Es ist einfach unklar.

An sich müsste es viele Tote und viele Menschen mit Spätfolgen gegeben haben. Gefühlt war es aber nicht so. Logische Erklärungen dafür gibt es bisher nicht, vor allem, weil zu wenig über die Krankheit bekannt ist. Es wird vermutet, dass die schlechteren hygienischen Bedingungen im Camp dafür sorgen, dass die Menschen ein trainiertes Immunsystem haben. So gab es hier lange Bakterien verseuchtes Wasser. Es wurde in Tanks gepumpt und von dort verteilt. Das bei 40-50 Grad Celsius im Sommer. So wuchsen im Wasser Keime aller Art. Ich habe mir mit dem Wasser nicht mal die Hände gewaschen, da ein späteres Berühren der Lippen reichen konnte, um mich einige Tage ins Bett zu befördern. Die Kinder im Camp haben es problemlos aus dem Schlauch getrunken. Eine andere Idee ist, dass der heiße und trockene Sommer eine Menge Coronaerreger getötet hat. Wieder andere meinen, dass die Menschen hier mehr Vitamin D produzieren und dies ein Faktor sein könnte. Ob eine der Ideen stimmt, werden wir irgendwann erfahren.

Auch hier gibt es FFP2-Masken mit EN und CE Siegel für umgerechnet 2-3 € in den Läden. „Die haben wir aus China importiert. Aber nur ein kleiner Teil ging hier hin. Ich habe viel nach Frankreich, Deutschland, Spanien und so geschickt“, sagt ein Mann, Mitte zwanzig, der es dadurch im vergangenen Jahr zu Wohlstand brachte. „Das war trivial. Ich saß während des Lockdowns zu Hause und konnte nicht arbeiten: Und in den Nachrichten hieß es, dass ihr keine Masken habt – warum auch immer. Ich habe die bei AliExpress gefunden, mir die Zertifikate schicken lassen und dann nur Masken gekauft, die mal in der EU getestet worden sind. Dann eine Rundmail an irgendwelche Unternehmen und Einrichtungen und schon lief das Business“. Die Kunden konnten einfach per Paypal oder Kreditkarte zahlen, erhielten eine Rechnung und nach 2-3 Wochen die Masken per UPS. „Letztes Jahr habe ich noch bei meinen Eltern gewohnt, jetzt in der Villa“, freut er sich, während der Schlüssel zum teuren Geländewagen auf dem Tisch liegt.

Nach den Masken kommt der Impfstoff. Derzeit bieten Russland und China ihre Impfstoffe an, man hätte hier lieber Biontech. Doch der moderne Impfstoff aus Deutschland ist derzeit zu teuer und zu schwierig zu lagern.

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