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Der Papst beim Ayatollah

Nadjaf, südlich von Bagdad, hat mehr als 900.000 Einwohnern und zählt zu den sieben heiligen Städten des schiitischen Islams. 99,99 % der Einwohner sind arabische Muslime, mehr als 95 Prozent von ihnen sind Schiiten und 5 Prozent Sunniten.

Heute, am Freitag, dem 05. März 2021, fliegt der Papst in den Irak. Morgen um neun Uhr steht Papst Franziskus [85] 200 Kilometer südlich von Bagdad in Nadjaf bei Ayatollah Sayyid Ali Sistani [90] vor der Tür. Zwei alte Männer springen über ihre Schatten. Sistani ist die höchste Instanz der Schiiten. In der heiligen Stadt Nadjaf befindet sich der Überlieferung nach das Grab von Imam Ali, dem ersten Nachfolger des Propheten.

Update Samstag, 6. März 2021 unten

Ayatollah Sayyid Ali Sistani

Das Treffen ist von überragender Bedeutung für das friedliche Zusammenleben von Millionen von Menschen, denn in weiten schiitischen Kreisen ist die Vorstellung noch vorhanden, dass Christen unrein sind. Wenn die Gläubigen jetzt sehen, dass ihr geistlicher Führer, den sie nachahmen sollen, mit dem obersten Christen spricht, bleibt das nicht ohne Konsequenzen.

Höhepunkt des Besuchs wird die vom Papst in Erbil im Stadion zelebrierte Heilige Messe am Sonntag um 14:00 Uhr sein. Erbil ist die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Norden des Irak. In diesem Stadion fand 2017 die Feier zur Befragung über das Unabhängigkeitsreferendum Kurdistans statt.

Franso Hariri-Stadion in Erbil

Als gefährlichste Station der Reise gilt der Besuch in Mossul. Die Stadt wird von den iranisch-gesteuerten Milizen beherrscht. Alle Kräfte wollen, dass der Besuch des Papstes erfolgreich und ohne Zwischenfälle verläuft: die Kurden, die arabischen Iraker, die Schiiten, die Christen, selbst die Hashd al-Shaabi, schiitische Milizen und natürlich die Koalition unter den Amerikanern. Aber was ist mit dem IS? Diese Frage lässt sich erst nach dem gewagten Besuch beantworten.

Ayatollah al-Sistani erließ im Oktober 2005 eine Fatwa gegen Homosexuelle. Er forderte die Todesstrafe. Schwadronen schiitischer Milizen begingen daraufhin zahlreiche Morde. Heute ist diese Miliz dem irakischen Innenministerium unterstellt. Schwulen- und Lesbenvereinigungen gingen auf den damals 75-jährigen zu und erreichten eine Änderung seiner Einstellung. Er nahm die Fatwa zurück, die Morde ließen nach. Es ist erstaunlich, dass es in der aus unserer Sicht festgefahrenen ideologisch-theologischen Position des Islam vorkommt, dass sich ein Mann dieses Alters und dieser Rolle korrigiert.

Im gleichen Jahr sprach sich der heute weltweit angesehenste geistliche Führer der Schiiten nach dem Einmarsch der Amerikaner dafür aus, sich zurückzuhalten und die Besatzungskräfte nicht zu provozieren. Seine Überlegung war: Wenn die Amerikaner das Land zu einer Demokratie machen wollten, würden die 15 Millionen Schiiten, 60 % der Bevölkerung des Iraks, sowieso an die Macht kommen. Warum sollten sie ihre Lage durch eine Konfrontation mit den Besatzern gefährden? Er hatte die Verfolgungen durch die Baath-Partei und die Schließung aller Moschee erlebt. Die Situation wäre deutlich günstiger, als unter Saddam Hussein.

Als Verteidiger eines Iraks, der von ausländischen Einflüssen unabhängig ist, ist seine Stimme politisch aufgeladen. Die Machtinstallation der schiitischen Mehrheit ging mit einer beträchtlichen Ausweitung ihrer religiösen Institutionen einher.

Al-Sistani einzigartige Position als Groß-Ayatollah macht seine Rolle so bedeutend. Während der Begriff Ayatollah einen hohen Würdenträger kennzeichnet, wird Groß-Ayatollah genannt, wer seine Lehre so weit entwickelt hat, dass er verbindliches Vorbild der Nachahmung sein kann. Sein mäßigender Einfluss und jetzt der Besuch des Papstes kann zu einer Entspannung der Beziehung zwischen den Religionsgemeinschaften führen.

Nadjaf – Immam Ali Moschee

Schon nach der von den USA angeführten militärischen Intervention, die 2003 das Baath-Regime stürzte, forderte eine von Ayatollah al-Sistani proklamierte Fatwa alle schiitischen Muslime auf, Mitglieder von Glaubensgemeinschaften von Minderheiten, einschließlich der Christen, zu schützen und nicht zu misshandeln oder als „fünfte Kolonne“ ausländischer Streitkräfte zu betrachten.

Im März 2005 hatte eine Gruppe irakischer Christen, die in die USA ausgewandert waren, eine Online-Petition gestartet, um den Ayatollah für den Friedensnobelpreis zu nominieren, und diese Entscheidung mit der Tatsache begründet, dass al-Sistani „für Muslime auf der ganzen Welt ein gutes Beispiel dafür sein kann, wie man friedliche Wege beschreitet, um komplexe soziale und politische Herausforderungen zu lösen und den Terrorismus zu verurteilen.“

Im Sommer 2014, als Daesh, der bereits in den sunnitischen Norden eingedrungen war, vor den Toren der Hauptstadt Bagdad ankam, rief Ali Sistani zum Widerstand auf. In einer berühmten Fatwa löst er eine allgemeine Mobilisierung in den schiitischen Reihen aus und führt Tausende von Milizsoldaten dazu, sich der irakischen Armee anzuschließen, um den islamischen Staat zu bekämpfen.

Im Januar 2019 hatte al-Sistani empfohlen, die „abscheulichen Verbrechen“ zu untersuchen, die von Dschihadisten und Terroristen unter anderem an Jesiden in Sinjar, Christen in Mosul und Turkmenen in Tal Afar begangen wurden.

Eine christliche Kirche in Karamles, vom IS zerstört, wird wieder aufgebaut.

Wenn man genau herausfinden will, was Ayatollah Sayyid Ali Sistani denkt und lehrt, kann man das auf seiner übersichtlichen englischen Website finden. Einen Überblick findet man einfach in der deutschen Wikipedia.

Nadjaf – die Moschee

Nadschaf, südlich von Bagdad, hat mehr als 900.000 Einwohnern und zählt zu den sieben heiligen Städten des schiitischen Islams. Nahezu hundert Prozent der Einwohner sind Araber. 99,99 % der Einwohner sind Muslime, über 95 % von ihnen sind Schiiten und 5 % Sunniten.

Ayatollah Sistani repräsentiert keine islamische Republik im iranischen Stil, sondern einen unabhängigen Irak. Doch im Iran wuchs er in der heiligen Stadt Maschad auf.

Maschad 2007 – die Gläubigen tragen die Toten, bevor sie außerhalb bestattet werden, durch den Innenhof der Moschee, um den Segen des Propheten zu erwirken.
Maschad 2007 – die Teppiche zum Gebet werden ausgelegt.

Sistani kam 1951 nach Nadjaf, um bei dem großen Ayatollah Abu al-Qasim al-Khoei Islamwissenschaften zu studieren. Im Alter von nur 31 Jahren erreichte er den Rang eines Mujtahid (Interpretationsfähigen), bevor er 1992 die Nachfolge seines Mentors antrat. Seine Arbeiten, so schreibt Anne-Bénédicte Hoffner Ende Februar 2021 in der französischen katholischen Zeitung La Croix, zeugen von seiner Loyalität gegenüber der klassischsten schiitischen Tradition. Ali Sistani unterscheidet sich von seinen iranischen Amtskollegen durch seine wiederholte Weigerung, der 1979 von Ayatollah Khomeini propagierten und durchgesetzten Verschmelzung von Religion und Politik zu folgen. 

Der Jihad, wie er in Mashad im Iran propagiert wird, also konträr zu al-Sistani: Swords are the keys of paradise and hell; it is with them that the aggressive and traitors will be killed and sent to hell while the slain soldiers of the holy war (Jihad) will enter Eternal Paradise … The Islamic holy war is therefore an engagement for the sake of God to achieve spiritual ends … The revolution has the right to develop and spread throughout the world … Jihad is actually the necessary holy war waged by the Muslim … More than 150 millions Muslims live under the rule of aggressive countries which determine their future … Islam believes that to kill those who are obstacles in the path means the revival of the principles of human prosperity … This religion declares war upon oppression, aggression and superstition

Als Schiit glaubt Ali Sistani nicht an ein Kalifat wie das, das die Sunniten beim Tod des Propheten Mohammed eingesetzt haben. Aber im Gegensatz zu den pro iranischen schiitischen Parteien, die derzeit in Bagdad an der Macht sind, glaubt er auch nicht an den Vorrang der Religion vor der Politik und verteidigt eine gemeinsame Staatsbürgerschaft, die über die religiösen und ethnischen Spaltungen hinausgeht, die den Irak auseinanderreißen.

Update Samstag, 6. März 2021

Der Papst und der Ayatollah haben die Juden vergessen – heute in Ur in der Wüste, wo Abraham herstammt, der Vater der DREI monotheistischen Weltreligionen. Warum Juden ausgeschlossen waren, berichten weder @DeutscheWelle , noch @DLFNachrichten noch @tagesschau@dpa, @ARDKairo

Sistani sprach demnach auch das Schicksal der Palästinenser unter israelischer Besatzung an. Ebenso Unterdrückung, Armut und Verfolgung vieler Völker im Nahen Osten, so sein Büro laut Süddeutscher Zeitung.

„Als der Terrorismus wütete, zerstörte er auf barbarische Weise einen Teil des religiösen Erbes, Kirchen, Klöster und Gebetsstätten verschiedener Gemeinschaften“, so der Papst. Christen, Muslime und Jesiden waren geladen. Juden nahmen, anders als zunächst geplant, nicht teil.

Es sieht in Ur, in der großen weiten Wüste Mesopotamiens, so aus, als wäre da auch noch Platz für einen Rabbiner gewesen.

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