Der Irak, der lange von Öleinnahmen und staatlichen Stellenvergaben abhängig war, steht heute an einem ähnlichen Scheideweg. Die Äußerungen von Al-Sudani deuten darauf hin, dass die Regierung zunehmend erkennt, dass Wirtschaftsdiversifizierung und Wachstum des Privatsektors erforderlich sind, um die Abhängigkeit von Öl und den aufgeblähten öffentlichen Sektor zu verringern. Allerdings wird der Weg des Irak zu solchen Reformen durch ein viel tiefgreifenderes Problem erschwert, das über reine Politikfragen hinausgeht: Korruption und Bürokratie.
Die Hürden der Korruption und Bürokratie
Während Al-Sudanis Aufruf zur wirtschaftlichen Diversifizierung ein Schritt in die richtige Richtung ist, umgeht er eines der größten Hindernisse für das Wirtschaftswachstum des Irak: grassierende Korruption und ein ineffizientes bürokratisches System. Der Irak hat seit langem mit tief verwurzelter Korruption zu kämpfen, die sowohl öffentliche Institutionen als auch den Privatsektor untergräbt. Transparency International stuft den Irak regelmäßig als eines der korruptesten Länder der Welt ein, und die Weltbank hat die Bürokratie des Landes als großes Hindernis für privatwirtschaftliche Aktivitäten angeführt.
Das Ausmaß der Korruption im Irak schreckt viele in- und ausländische Unternehmen davon ab, in dem Land zu investieren. Bestechung, Nepotismus und Erpressung sind in Interaktionen mit Regierungsvertretern an der Tagesordnung, was es für Unternehmen äußerst schwierig macht, sich ohne illegale Zahlungen in dem regulatorischen Umfeld zurechtzufinden. Diese Situation birgt erhebliche Risiken für Unternehmen und reduziert ihre Bereitschaft, in neue Vorhaben zu investieren und treibt sie in andere Länder mit einem investitionsfreundlicheren Umfeld.
Lektionen von den Golfstaaten
Im Vergleich dazu haben die Nachbarstaaten des Irak in der Golfregion, wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar, effiziente, schlanke Bürokratien aufgebaut, die ausländische Investitionen und Unternehmertum fördern. Diese Nationen haben sich als globale Wirtschaftszentren positioniert, indem sie Rahmenbedingungen frei von ständiger staatlicher Einmischung oder Korruption geschaffen haben. Sie haben Rechtsrahmen zum Schutz des Eigentums etabliert, effiziente Prozesse zur Unternehmensgründung eingerichtet und bieten Anreize, die es für private Unternehmen leichter machen, erfolgreich zu sein.
Im Gegensatz dazu sehen sich Unternehmen im Irak unberechenbaren Steuern, willkürlichen Regeländerungen und häufigen Verzögerungen ausgesetzt, die durch eine verquere Bürokratie verursacht werden, welche „Geschenke“ oder Bestechungsgelder erfordert, um effizient zu funktionieren. Kein Wunder also, dass viele Investoren es vorziehen, ihre Aktivitäten in den benachbarten Golfstaaten anzusiedeln, die ein transparenteres und berechenbareres Geschäftsumfeld bieten. Die Hürden durch Korruption und ineffiziente Regierungsführung tragen erheblich zur wirtschaftlichen Stagnation des Irak bei, noch mehr als die Abhängigkeit von Öl oder staatlichen Arbeitsplätzen.
Reformbemühungen und der Development Road Gipfel
Um die Erfolge anderer Länder bei der Vereinbarung von Staatsaufsicht und privatwirtschaftlichem Wachstum nachzuahmen, muss der Irak das Problem der Korruption und Bürokratie entschlossener angehen. Ohne eine umfassende Reform in diesen Bereichen werden alle Versuche, die Wirtschaft zu diversifizieren oder private Investitionen anzukurbeln, ins Leere laufen.
Ein erster Schritt zur Erreichung dieses Ziels ist die Verbesserung von Governance und Rechenschaftspflicht. Al-Sudani und seine Regierung müssen Antikorruptionsbemühungen mit mehr Transparenz, stärkeren Überwachungsmechanismen und einer unabhängigen Justiz, die Amtsträger zur Verantwortung ziehen kann, in den Vordergrund stellen. Darüber hinaus muss der Irak sein Regulierungsumfeld straffen, die Anzahl der für die Gründung und den Betrieb eines Unternehmens erforderlichen Genehmigungen, Lizenzen und Gebühren reduzieren und die Notwendigkeit von Bestechungsgeldern für Basisdienstleistungen beseitigen.
Der Irak kann von seinen Nachbarn lernen und Freihandelszonen oder Sonderwirtschaftsregionen entwickeln, in denen Unternehmen mit minimaler Bürokratie, Steuervergünstigungen und Schutz vor Korruption operieren können. Dies würde ausländische Investoren anziehen und gleichzeitig einheimische Unternehmer ermutigen.
Letztendlich wird der langfristige wirtschaftliche Erfolg des Irak davon abhängen, ob es gelingt, die strukturellen, kulturellen Probleme der Korruption und Bürokratie anzugehen, die jahrelang die Privatwirtschaft behindert haben. Nur durch die Schaffung eines Umfelds, in dem sich Unternehmen sicher und zuversichtlich fühlen, wird es dem Irak gelingen, von einer staatlich gelenkten Wirtschaft zu einer Wirtschaft überzugehen, die von der Innovation und Energie des Privatsektors angetrieben wird.
In diese Richtung zielen auch Initiativen wie der jüngste Development Road Gipfel in Bagdad. Premierminister Al-Sudani bekräftigte hier die Offenheit des Irak für Partnerschaften bei diesem Projekt, das den Großen Faw-Hafen und die Development Road als Schlüsselmotoren für das Wachstum der nicht-öl-basierten Wirtschaft positioniert. Derzeit umfasst das Projekt Vereinbarungen mit der Türkei, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten als zentrale Akteure, der Irak begrüßt aber weitere internationale Partner. Diskutiert wurden auch Pläne für Industriestädte entlang der Route, beginnend mit der Faw Industrial City, um den Irak in den globalen Handel zu integrieren.
Geopolitische Spannungen und der Iran-Einfluss
Neben den wirtschaftlichen Herausforderungen muss sich der Irak auch mit einer komplexen geopolitischen Landschaft auseinandersetzen. Die enge Anbindung des Landes an den Iran und die „Achse des Widerstands“ – bestehend aus dem Libanon, dem Iran selbst, Jemen und anderen Akteuren – bleibt stark. So drückte die irakische Al-Nujaba-Bewegung, eine vom Iran unterstützte Miliz, kürzlich ihre Solidarität mit der Hisbollah aus, nachdem am 17. September ein Angriff auf von der Hisbollah genutzte Kommunikationssysteme verübt wurde. Solche Vorfälle dürften die Koordination zwischen den verschiedenen Widerstandsgruppen, die sich dem Widerstand gegen Israel und die USA verschrieben haben, weiter verstärken. Der Iran fungiert dabei als Knotenpunkt für operative Planung und Geheimdienstkooperation.
Die wachsenden Spannungen zwischen der Türkei und kurdischen Gruppen stellen eine weitere geopolitische Herausforderung dar. Türkische Luftangriffe in Nordirak zielten Mitte September auf Stellungen der kurdischen Arbeiterpartei PKK in den Provinzen Erbil und Dohuk ab. Die türkischen Operationen stoßen in der lokalen Bevölkerung jedoch auf Kritik, Berichte über Angriffe von Zivilisten auf türkische Militärfahrzeuge in Dohuk sind ein Beispiel für die wachsende öffentliche Unzufriedenheit mit der türkischen Militärpräsenz.
Neue Büros der Hamas und Huthis in Bagdad
Eine weitere Facette der engen Verbindungen des Irak mit dem Iran ist die Einrichtung von Büros der Hamas und der jemenitischen Huthi-Rebellen in Bagdad, wie kürzlich von der New York Times berichtet. Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Waagschalen der irakischen Zentralregierung in Richtung der Interessen Teherans ausschlagen.
Während der Irak bemüht ist, ein Gleichgewicht zwischen den amerikanischen und iranischen Interessen zu wahren, neigt sich diese Balance zunehmend zugunsten des Irans. Teheran nutzt dabei seine Unterstützung für schiitische Milizen und politische Gruppen im Irak, um seinen Einfluss nach Westen in Richtung Libanon und nach Süden in Richtung Jemen auszuweiten.
Die Hamas- und Huthi-Büros in Bagdad verdeutlichen diese wachsende Ausrichtung. Während islamische Bewegungen, ob sunnitisch oder schiitisch, in der Vergangenheit im Irak unterdrückt wurden und viele schiitische Führer ins Exil gingen, inhaftiert oder hingerichtet wurden, hat sich die politische Landschaft des Irak heute tiefgreifend gewandelt.
Schiitische Parteien, gestärkt durch die Unterstützung des Irans, dominieren nun die irakische Politik. Milizen wie die Kata’ib Hisbollah haben an Stärke und Legitimität gewonnen, viele von ihnen haben politische Parteien gegründet und Parlamentssitze gewonnen.
Ziel der iranischen Revolutionsgarden ist es, die Koordination zwischen ihren Partnern in der „Achse des Widerstands“ zu vertiefen. Dies umfasst nicht nur den Austausch militärischer Expertise, sondern auch die Abstimmung regionaler Strategien und Ziele. Angesichts des andauernden Krieges in Gaza wächst auch im Irak die Unterstützung für die Hamas.
Bedrohungen durch den IS und andere Milizen
Die Sicherheitslage im Irak bleibt angespannt, mit anhaltendem Terrorismus, geopolitischen Spannungen und innerstaatlicher Kriminalität. Am 10. September wurde ein Angriff auf ein US-Lager in Bagdad verübt, der nach derzeitigen Ermittlungen auf vom Iran unterstützte Milizen zurückzuführen ist, die weiterhin relativ ungehindert operieren können.
Auch Zwischenfälle an den Grenzen sind häufig. So kam es am 18. September zu Zusammenstößen zwischen irakischen Grenztruppen und Waffenschmugglern in der Provinz Diyala, bei denen eine Person getötet und mehrere festgenommen wurden.
Die Zusammenarbeit zwischen den irakischen Sicherheitskräften und der kurdischen Regionalregierung ist ein Schlüsselelement im Anti-Terror-Kampf. Am 17. September führte eine Gemeinschaftsoperation in Sulaimaniyah zur Festnahme von zwei Terrorverdächtigen, der Zerstörung von Terroristenverstecken und der kontrollierten Sprengung von Sprengstoffen.
Dennoch bleibt die Aktivität des IS hoch. Mitte September gab es mehrere Vorfälle, darunter Angriffe auf irakische Sicherheitskräfte in Kirkuk und Salah al-Din sowie versuchte Selbstmordanschläge in Kirkuk.
Die Bedrohung durch den IS ist in einigen Gebieten wie Kirkuk, Dijala und Salah al-Din nach wie vor erhöht. Regelmäßige irakische Militäroperationen und Luftangriffe zielen darauf ab, die IS-Präsenz einzudämmen, dennoch verübt die Gruppe weiterhin Anschläge auf Zivilisten und Sicherheitskräfte.
Neben dem IS stellen auch andere Milizen ein Sicherheitsrisiko dar. Die irakische „Al-Muqawama al-Islamiyya“ (Islamischer Widerstand) reklamierte kürzlich einen Drohnenangriff auf die israelische Stadt Haifa. Solche Aktionen verdeutlichen die engen Verbindungen zwischen den verschiedenen Widerstandsgruppen in der Region und ihre zunehmende Bereitschaft, offen gegen Israel und die USA vorzugehen.
Die Sicherheitslage wird auch durch die anhaltenden Spannungen zwischen der Türkei und den Kurdengruppen belastet. Türkische Luftangriffe in der nordirakischen Kurdenregion zielten Mitte September auf Stellungen der PKK in den Provinzen Erbil und Dohuk ab. Die türkischen Operationen stoßen jedoch auf wachsende Kritik der lokalen Bevölkerung, Berichte über Angriffe von Zivilisten auf türkische Militärfahrzeuge in Dohuk sind ein Beispiel für die zunehmende öffentliche Ablehnung der türkischen Militärpräsenz.
Aufrüstung der irakischen Streitkräfte
Vor diesem Hintergrund versucht der Irak, seine militärischen Fähigkeiten zu modernisieren. Geplant ist der Erwerb des südkoreanischen M-SAM Luftverteidigungssystems in einem Vertrag im Wert von rund 2,63 Milliarden US-Dollar. Dies folgt auf die jüngsten Bemühungen des Landes, seine Waffenlieferanten zu diversifizieren und von der bislang üblichen russischen Ausrüstung, deren Nachschub durch die Invasion in der Ukraine unterbrochen wurde, zu südkoreanischen und potenziell US-amerikanischen Systemen überzugehen.
Die Entscheidung für südkoreanische Technologie anstelle der traditionellen russischen Lieferanten könnte geopolitische Implikationen haben, auch wenn die Details des Vertrags noch ausstehen. Insgesamt zielen diese Schritte darauf ab, die militärischen Fähigkeiten des Irak zu stärken, insbesondere in Bezug auf die Luftverteidigung.
Soziale Unruhen und Arbeitsmarktproteste
Neben den sicherheitspolitischen Herausforderungen muss sich die irakische Regierung auch mit sozialen Spannungen auseinandersetzen. Am 16. September brachen in verschiedenen Teilen des Landes Proteste aus, angetrieben von Frust über Arbeitslosigkeit und staatliche Beschäftigungspolitik.
In Nasiriyah kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten, die von jüngsten Jobvergaben ausgeschlossen wurden, und der Bereitschaftspolizei. In Basra gab es Proteste gegen Reformen der Gehaltsskala, bei denen wichtige Verkehrswege blockiert wurden. Die Unruhen verdeutlichen die weit verbreitete Unzufriedenheit mit Arbeitsmarktproblemen und grassierender Korruption.
Um diese vielschichtigen Herausforderungen zu bewältigen, muss die irakische Regierung einen ausgewogenen Ansatz verfolgen, der sowohl Wirtschaftsreformen als auch die Bewältigung sicherheitspolitischer und sozialer Probleme umfasst. Nur durch entschlossene Schritte zur Korruptionsbekämpfung, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten kann langfristige Stabilität und Prosperität erreicht werden.
Ausblick: Zwischen Hoffnung und Herausforderung
Zusammenfassend befindet sich der Irak an einem Scheideweg zwischen wirtschaftlichen Reformbestrebungen und anhaltenden Sicherheits- sowie sozialen Herausforderungen. Premierminister Al-Sudanis Einsicht in die Grenzen des staatlich kontrollierten Wirtschaftsmodells markiert zwar einen positiven politischen Wandel, bedeutende Fortschritte hängen jedoch von der Fähigkeit der Regierung ab, die tief verwurzelten Probleme von Korruption und Ineffizienz anzugehen.
Auf sicherheitspolitischer Ebene erschweren der anhaltende Einfluss vom Iran unterstützter Milizen und die fortbestehende Bedrohung durch den IS die Bemühungen des Irak um innere Stabilität und regionale Sicherheit. Während das Land seine militärischen Fähigkeiten ausbaut, werden seine geopolitischen Allianzen und internen soziopolitischen Dynamiken weiterhin wichtige Beobachtungsfelder bleiben.
Trotz der enormen Herausforderungen bietet die aktuelle Situation auch Chancen für den Irak. Durch konsequente Reformen zur Bekämpfung von Misswirtschaft, Stärkung der Privatwirtschaft und Verbesserung der Regierungsführung könnte das Land seinen Weg zu nachhaltigem Wachstum und Stabilität ebnen. Dies erfordert jedoch einen langen Atem und den politischen Willen, schmerzhafte, aber notwendige Veränderungen durchzusetzen.
Der Wandel im Irak wird ein Kraftakt bleiben, der das Zusammenspiel von Wirtschaft, Politik und Sicherheit erfordert. Ob das Land diese Gelegenheit nutzen und die richtigen Weichen für eine bessere Zukunft stellen kann, bleibt abzuwarten. Die kommenden Jahre werden entscheidend dafür sein, ob der Irak den Weg zu Wohlstand und Stabilität beschreitet oder weiter in einen Strudel aus Krisen und verpassten Chancen gerät.