
Hoffnung inmitten der Narben des Krieges
Fedorivka, ca. eine Stunde nördlich von Kyiv – Ein ruhiger Ort umgeben von Feldern und Nadelwald. Wenn man mit dem Auto hier ankommt, landet man vor einem hohen blickdichten Zaun. Davor parken Autos, die meisten mit Kyiver Kennzeichen. Wenn man sich umschaut, entdeckt man einige Schilder – Verhaltensregeln und der Hinweis, sich beim ersten Besuch beim Verwalter zu melden. Dann entdecken wir das kleine Tor, es trägt die Aufschrift „Sirius“. Auf den ersten Blick ist es kaum zu erahnen, doch hinter diesem Tor steckt eine bewegende Geschichte – eine Geschichte von Überlebenswillen, Verlust und unermüdlicher Hoffnung.
An einem Sonntagmittag Mitte Januar stehen wir auf dem Gelände des größten Tierheims der Ukraine. Es ist eiskalt, aber schönster Sonnenschein. Sobald wir das kleine Tor hinter uns geschlossen haben, befinden wir uns inmitten eines geschäftigen Treibens. Hunde bellen aus allen Richtungen, Freiwillige laufen umher, füttern Hunde, reinigen Zwinger und bringen Hunde zum Auslauf. In alle Richtungen Zwinger, soweit man sieht. Einen Moment sind wir überwältigt. Dann spreche ich eine junge Frau an, die gerade an einem Brunnen Wasserkanister auffüllt. Sie spricht sehr gut Englisch und erzählt, dass sie aus Kyiv ist und ein bis zwei Sonntage im Monat als Freiwillige hier hilft. Denn am Wochenende ist Freiwilligenzeit. Dann kommen bis zu 100 Volunteers, darunter viele junge Frauen aus der Region Kyiv und unterstützen bei allem, was über die Mindestversorgung der Tiere hinausgeht und unter der Woche nicht leistbar ist.

Um mehr Informationen über das Tierheim generell zu bekommen, sollen wir auf die Leiterin warten.
Während wir warten, leistet uns eine freundliche ältere Hündin Gesellschaft. Sie ist nicht mehr allzu gut zu Fuß, aber genießt es sichtlich von uns gekrault zu werden. Zwischendrin grüßen immer wieder Mitarbeitende, manche sprechen sogar einige Worte Deutsch.
Nach einer Weile kommt eine junge Frau mit freundlichem Lächeln zu uns und spricht uns in exzellentem Englisch an. Sie stellt sich als Vika vor, ist ebenfalls heute als Freiwillige da und wird für uns übersetzen. Dann kommt auch die Leiterin dazu: Alexandra Mezinova ist eine offene und von Grund auf positive Frau, der man die Begeisterung für ihre Arbeit und die Liebe für die Tiere anmerkt. Sie hat Sirius vor 24 Jahren aus privaten Mitteln gegründet und ist seitdem die Leiterin.
Ein sicherer Hafen für über 3.000 Tiere
Das Tierheim beherbergt derzeit etwa 3.000 Hunde, 200 Katzen sowie Vögel, 2 Schafe und sogar einige Wildtiere, die durch den Krieg verletzt wurden. Gegründet wurde es vor über zwanzig Jahren als Zufluchtsort für streunende Tiere. Heute ist es weit mehr als das – es ist ein Symbol für Widerstandsfähigkeit. Jeden Monat werden etwa 40 Tiere adoptiert, die allermeisten davon innerhalb der Ukraine, etwa fünf bis sieben jedoch auch ins Ausland. „Meistens Deutschland oder Polen, manchmal aber auch in die USA oder Kanada. Aber das ist selten.“ erklärt Alexandra. Jeden Monat kommen ca. 60 Tiere trotz völliger Überfüllung hinzu. Das Tierheim wächst also ständig.

Schutz und Fürsorge für die vergessenen Opfer des Krieges
Trotz der immensen Herausforderungen versuchen die Mitarbeiter und Freiwilligen, jedem Tier ein würdiges Leben zu ermöglichen. Futterspenden kommen aus aller Welt, und die medizinische Versorgung erfolgt durch ein engagiertes Team an Tierärzten, die Behandlungen zu symbolischen Preisen ermöglichen.
„Wir haben hier Tiere aus der ganzen Ukraine“, erklärt Alexandra, während wir an den endlosen Reihen an Zwingern vorbeischreiten. „Viele wurden von flüchtenden Familien zurückgelassen oder in Kriegsgebieten gerettet.“
An einigen Zwingern stehen nicht nur die Namen von regelmäßigen Spendern, sondern auch Ortsnamen. Wir entdecken Zaporizhzhia, Bucha, Kup’yans‘k und viele mehr. „Das sind die Orte, aus denen sie kommen, erklärt Alexandra. Das hilft manchmal bei der Adoption, dann haben Menschen einen direkteren Bezug.“ Alexandra kennt zu vielen Tieren die Geschichte. „Das hier ist Belyash. Er kommt aus einem kleinen Tierheim aus der Region Sumy, an der russischen Grenze. Das Tierheim wurde bombardiert. Viele Tiere starben, aber Belyash wurde von Freiwilligen gerettet und zu uns gebracht“ Wie Belyash geht es vielen. Etwa ein Drittel der Tiere sind wegen des Krieges hier. Einige wurden von Panzern oder Autos angefahren, viele sind spürbar traumatisiert.

Oft schließen sich zurückgelassene Hunde oder Katzen an der Front den Soldaten an. Diese geben ihnen zu essen und bringen sie, wenn sie die Gelegenheit haben zu Sirius. Ähnlich erging es auch Dana und Dascha. Nur sind sie keine Hunde, sondern Schafe. „Wir hatten neulich auch zwei Gänse. Die kamen auch von der Front.“ übersetzt Vika.

Vika unsere Übersetzerin ist eine zierliche Frau mit dunkelblonden Haaren, Brille und einem freundlichen Lächeln. Seit Beginn der vollständigen Invasion im Februar 2022 engagiert sie sich hier und hat die schweren Zeiten, die das Heim durchleben musste, hautnah miterlebt.
„Das ganze Tierheim war einen Monat unter Besatzung“, übersetzt sie Alexandras Erklärungen, während wir durch die Reihen der Zwinger gehen. „Aber ich habe nie die Hoffnung verloren.“
Der Monat unter Besatzung – ein Kampf ums Überleben
Einer der schwersten Momente in der Geschichte des Tierheims war der März 2022, als russische Truppen die Region besetzten. Alexandra und ihre 18 Mitarbeiter konnten den Ort nicht verlassen. Sie erinnert sich mit ernster Miene: „Die Russen kamen und haben alles kontrolliert, sie dachten, dass sich hier Soldaten verstecken würden. Dann mussten wir uns alle in einer Reihe aufstellen und sie nahmen uns unsere Handys weg, warfen sie auf den Boden und schossen sie kaputt. Wir hatten kaum noch Wasser, kaum Essen. Es war schrecklich.“
Während der Besatzung versuchten Alexandra und die anderen Mitarbeiter vor Ort, die Tiere mit dem Wenigen, was sie hatten, am Leben zu halten. „Wir mussten immer wieder das Gelände verlassen, um zu versuchen Futter zu bekommen. Ich hatte immer Angst erschossen zu werden. Es hieß Wagner-Söldner wären in der Nähe. Aber wir mussten ja. Wasser haben wir aus dem See geholt. Ein Soldat hat uns mit einem Boot geholfen Futter über den See zu transportieren. Er wurde erschossen.“ Alexandra erzählt dies alles ohne Bitterkeit in der Stimme, sie lacht sogar zwischendurch. „Ich hatte ein verstecktes Handy und an einer Stelle auf dem Gelände hatten wir Empfang. Ich habe versucht, Informationen zu bekommen und Hilfe zu rufen. Einmal wurde ich fast erwischt. Da drohte mir der russische Soldat, er würde mich erschießen, wenn ich weiter versuche Spiele zu spielen.“
„Aber ich habe nie die Hoffnung verloren. Ich habe meinen Mitarbeitern gesagt: Ihr müsst durchhalten. Unsere Soldaten sind nah. Sie werden uns befreien.“

Die russischen Truppen zogen schließlich ab. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Die internationale Solidarität und Spendenbereitschaft war überwältigend. Inzwischen ist dies jedoch weitgehend versiegt. Die durch den Krieg ausgelöste Wirtschaftskrise hinterlässt auch hier ihre Spuren. Hinzukommt, dass der Bedarf an Spenden im ganzen Land für verschiedenste Gruppen und Zwecke hoch ist.
An offiziellen Geldern bekommt das Tierheim von der Stadt Kyiv jährlich 2 Mio. UAH (ca. 45.500 €), dies ist jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, da dies bereits der monatlichen Summe entspricht, die für das Futter aller Tiere benötigt wird. Daher wird das Sirius-Team auch hier kreativ. Alexandra führt uns in eine kleine Scheune in der es dunkel und überraschend warm ist. Auf den zweiten Blick erkennt man, dass hier lange Ofenreihen stehen, auf denen über dem offenen Feuer riesige Kessel stehen. Es sieht aus wie zu Großmutters Zeiten. „Das ist unsere Futterküche. Selbst das billigste Trockenfutter ist zu teuer, daher kochen wir hier selbst Getreide, Kartoffeln und Fleischreste zusammen. Die Hunde mögen es zwar nicht wirklich, aber es ist besser als nichts.“

Ein Ort der Hoffnung
Dennoch, trotz der widrigen Umstände und aller Hürden: Während wir durch das Gelände spazieren, das neu gebaute Katzenhaus und die neue Unterkunft für freiwillige Helfer sehen, wird uns klar, dass hier kein Stillstand herrscht und das Tierheim mehr als nur ein Schutzort für Tiere ist – es ist ein Ort, an dem auch Menschen Hoffnung finden können.
Vika und Alexandra führen uns zu einem kleinen Gehege, in dem ein Hund mit nur drei Beinen freudig auf uns zu gehüpft kommt. „Das ist Baby. Sie hat den Krieg überlebt, genau wie wir alle.“

Unser Besuch endet mit einem herzlichen Abschied an dem kleinen Tor, das wir vor etwa zwei Stunden betreten haben. Alexandra und Vika winken uns zum Abschied zu, während im Hintergrund die Hunde bellen und das Leben hier weitergeht – Tag für Tag, Schritt für Schritt.
Ein Funke Hoffnung in schwierigen Zeiten
Auf dem Heimweg schweigen wir eine Weile, tief beeindruckt von dem, was wir gesehen und gehört haben. Das Tierheim ist ein lebendiger Beweis dafür, dass Mitgefühl und Entschlossenheit selbst die dunkelsten Zeiten überdauern können.
über Spenden und Adoptionsanfragen freut sich das Sirius Tierheim immer: DogCat.com.ua
