Flottendienst ohne Flotte: EUNAVFOR Aspides und der Preis der Präsenz

Seit Oktober 2023 stören Huthi-Raketen und Drohnen die globalen Lieferketten empfindlich und werfen die Frage auf, wie viel maritime Präsenz Europa sich tatsächlich leisten kann. Die EU-Operation Aspides hält mit lediglich drei Fregatten einen 1.200 Seemeilen langen Korridor offen. Jeder Konvoi verlangt Flugabwehrraketen im Millionenwert, Treibstoff in Tankergrößen und Schichtpläne, die längst an die Grenzen der menschlichen Belastbarkeit stoßen.
Wie lange lässt sich dieses Kräfte-Arrangement aufrechterhalten? Welche ökonomischen Konsequenzen drohen, sollte auch nur ein einziger Großtanker getroffen werden? Und was verrät der aktuelle Zustand der Magazine über Europas Bereitschaft, künftige Seewege – von der Ostsee bis zur Straße von Malakka – zu sichern? Malte Ian Lauterbach berichtet über die Lage.
19. Oktober 2023, zwölf Tage nach dem Hamas-Massaker mit über 1.200 Toten in Israel: Gaza brennt, Hisbollah-Raketen peitschen über Nordisrael und Washington schickt hastig zwei Carrier Strike Groups in den Mittelmeerraum.
Sechzig Seemeilen nördlich von Bab al-Mandab stemmt sich die USS Carney (DDG-64) gegen die lange Dünung des Roten Meeres. Carney, ein Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse (Flight I), trägt 96 Mk-41-Starterzellen für Flug- und Seezielraketen, verfügt über ein SPY-1D(V)-Radar, zwei MH-60R-Helikopter und gut 280 Besatzungsangehörige. Heute Nacht ist sie der Radarposten der seit April 2022 im Roten Meer patrouillierenden Combined Task Force 153.
Um 16:16 Uhr Ortszeit beginnt Seekriegsgeschichte. Carney spezialisierte Aufklärungselektronik – Typ “AN/SLQ-32(V)3” schlägt an. Sekunden später klassifiziert das Combat Information Center (CIC), bei dem Kontakt handele es sich um einen „möglichen Cruise-Missile-Uplink“. Das SPY-1D(V) zeigt drei Ziele: Geschwindigkeit Mach 0,7, Kurs Nord-Nordost – eindeutig Quds-Landzielflugkörper mit Kurs auf die israelische Stadt Eilat. Der Kommandant befiehlt: „General Quarters – AAW. Steuerbord zwanzig Grad, 28 Knoten“. Unter heulenden Alarmsirenen legt sich Carney in den Wind. Vier SM-2 Block IIIA steigen auf meterlangen Feuerzungen aus dem Bugstarter. 38 Sekunden später verschwinden alle drei anfliegenden Marschflugkörper von den Schirmen – drei von vier millionenschweren Abwehrraketen treffen.
Wenige Minuten darauf ertönt der Alarm erneut: 18 neue Ziele. Samad-3- und Schahed-136-Drohnen, auf 100 Meter Seehöhe, 75–90 Kilometer entfernt.
Der Kampf dauert zehn Stunden. Die Carney verschießt 21 Abwehrraketen und 280 Schuss aus der 5-Zoll-Bugkanone; Endstand: vier Cruise-Missiles und 15 Drohnen abgeschossen. Die Brücke vermerkt, dass der nächstgelegene Frachter, MSC-Toulouse, stets 14 Seemeilen Abstand hielt. Das Pentagon nennt es die intensivste Schiff-Flugabwehrschlacht seit der Schlacht von Leyte Gulf im Zweiten Weltkrieg. Für die Besatzung ist es nur der erste Kontakt – Auftakt zu einer Kampagne, die über 100 Handelsschiffe bedrohen, zwei versenken, vier Seeleute töten und Warenströme von rund drei Billionen US-Dollar jährlich gefährden wird.
Phase 1: 2014 – Dezember 2023
Nachdem Ansar Allah al Houthi (die Huthirebellen) 2014 die jemenitische Hauptstadt Sanaa im September 2014 einnahmen, wurden die Seewege Jemens zur Bühne des saudisch-iranischen Stellvertreterkriegs. Am 1. Oktober 2016 traf ein C-802-Seezielflugkörper den von den Emiraten betriebenen Katamaran HSV-2 Swift im passend benannten „Tor der Tränen“, der Meerenge Bab al-Mandab. Saudi-geführte Kräfte errichteten eine Seeblockade, Huthi-Einheiten legten Minen und setzten Schwarmtaktiken mit Schnellbooten ein.
Die Eskalation veranlasste die USA, zusammen mit einer internationalen Koalition, die Combined Task Force 153 (CTF 153) einzurichten, die die Aufgabe hat, den Engpass zwischen dem Roten Meer und dem Indischen Ozean zu sichern. Durch diesen fließen pro Jahr etwa 12 % des Welthandels, darunter 7 % der weltweiten LNG-Ladungen, mit Waren im Wert von etwa 3 Billionen US-Dollar pro Jahr.

Phase 2: Operation Prosperity Guardian & EUNAVFOR Aspides
Mit wenigen Ausnahmen beruhigte sich die Situation im Roten Meer – bis zum 19. Oktober 2023. Schnell hatte sich auch den westlichen Marinen gezeigt, dass Ad-hoc-Patrouillen nicht mehr genügen. Bei nahezu täglichen Angriffen wichen bis zu 20 Prozent der Weltschifffahrt ums Kap der Guten Hoffnung aus; Kriegsrisikoprämien verzehnfachten sich. Im Dezember stoppten die vier größten Linienreedereien – Maersk, Hapag-Lloyd, MSC, CMA CGM – alle Ostfahrten durch den Suez; eine Asien-Europa-Rundreise verlängerte sich um ungefähr 25 Tage, plus eine vollständige Treibstoffladung. Die Containertarife Shanghai–Rotterdam verdoppelten sich binnen drei Wochen.
Daraufhin starteten die Regierungen in Washington und London die Operation Prosperity Guardian (OPG), ein 20-Nationen-Eskortvorhaben mit modernen Flugabwehrschiffen, Konvoitaktiken aus dem Kalten Krieg und Unterstützung von stets wechselnden dänischen, französischen und italienischen Fregatten. Bis Neujahr ging kein eskortierter Frachter verloren, doch die Koalition hatte bereits mehr Flugabwehr-Raketen abgefeuert als die US-Navy zwischen Desert Storm und den Angriffen auf Syrien 2018.
Im Januar genehmigte das Weiße Haus eine Doppelstrategie: nächtliche Tomahawk-Schläge gegen Abschussrampen und dringende Bitten um europäische Hilfe. Brüssel antwortete am 8. Februar mit EUNAVFOR Aspides – Griechisch für „Schilde“. Auftrag: Naheskorte für Handelsschiffe, Schutz humanitärer Hilfen, heimliche Aufklärung für US-CENTCOM, das regionale Kommando des US-Militärs im Nahen Osten und in Nordafrika. Frankreich entsendet die Fregatte Alsace, Italien den Zerstörer Caio Duilio, Spanien die Fregatte Blas de Lezo. Drei Rümpfe auf einer 1.200-Seemeilen-Route reichen nie, beweisen aber das Konzept: bis März durchqueren 79 Schiffe unter EU-Schutz. Mit dem Eintreffen der deutschen Fregatte Hessen (F-221) am 24. Februar 2024 und der griechischen Psara am 14. Juli 2024 wuchs die EUNAVFOR ASPIDES Task-Force zeitweise auf fünf bis sechs Schiffe an.
Am 18. Februar versenkte eine Rakete die Rubymar (Ladung: 21.000 t Dünger), der Untergang führte zu einem 18 Meilen (ca. 29 Kilometer) langen Ölteppich. Weniger als vier Wochen später trifft ein weiterer Treffer die M/V True Confidence, drei Seeleute sterben.
Am 12. Juni rammte ein unbemanntes Überwasserfahrzeug (USV) den Massengutfrachter Tutor; ein nachfolgender Marschflugkörper machte jegliche Rettung für das sinkende Schiff unmöglich. Das Schiff sank schließlich am 18. Juni. Die Koalition verzeichnet ihren zweiten Totalverlust und den ersten bestätigten Fall eines Kombischusses (Überwasserdrohne und Rakete), der in einen Geleitzug eindringt.
Nur einen Tag später wird die unter der Flagge Palaus fahrende M/V Verbena im Golf von Aden von zwei iranischen C-802-Marschflugkörpern mittschiffs getroffen. Im Frachtraum 3 kommt es zu Bränden; ein Decksmann wird von der USS Philippine Sea aus der Luft gerettet. Am selben Tag führt USCENTCOM Luft- und Raketenangriffe auf küstennahe Zielradare, USVs und einen Drohnen-Relaiswagen durch, wodurch die Zielerfassungskette der Houthis vorübergehend lahmgelegt wird. Der Suezverkehr erreicht mit ca. 20 Schiffen pro Tag den niedrigsten Stand seit der Wiedereröffnung 1975.
Im Juli 2024 feuerten die Houthis eine von der iranischen Kurzstreckenrakete Fateh-110 abgeleitete ballistische Anti-Schiffs-Rakete ab. Mit einer Reichweite von bis zu 80 km und einer Geschwindigkeit von mehr als Mach 4 zerbricht die Waffe kurz vor dem Zerstörer USS Thomas Hudner, doch die Botschaft ist klar. Versicherer warnten, dass schon ein ASBM-Treffer auf einen VLCC-Supertanker den Suezkanal für Monate schließen könnte; und Ägypten verliert bereits jetzt mehr als 200 Millionen US-Dollar pro Woche an Mautgebühren.
„Messerstecherei in der Telefonzelle“
Allein US-Zerstörer verschießen in den ersten 15 Monaten nach dem Carney-Gefecht 120 SM-2, 80 SM-6 und 20 ESSM/SM-3 – mehr als in 30 Jahren zuvor. Commander Cameron Ingram (Thomas Hudner) nennt es „eine Messerstecherei in der Telefonzelle“, also Nahkampf auf engstem Raum. Europas Magazine stehen schlimmer da: Quellen aus dem französischen Verteidigungsministerium berichten, Paris meldete im Herbst Vorräte „im zweistelligen Bereich“ bei Standard-Raketen, London muss einen Type 45 zum Nachladen abziehen. „Eine schlechte Nacht könnte ein Magazin eines Schiffs komplett leeren“, funkt Rear Adm. Gryparis nach Brüssel. MBDA- und DGA-Verlautbarungen belegen dringende Nachbeschaffungen: So orderten Frankreich, das Vereinigte Königreich und Italien im März 2025 218 weitere Lenkflugkörpern vom Typ Aster-15/30.
Während die Luftangriffe der US-Amerikanisch-Britischen Koalition auf den Jemen fortgesetzt werden und das Raketenfeuer auf weniger als vier Abschussversuche pro Monat zurückgeht, wird eine EU-Fregatte zur Wartung in die Heimat zurückgeschickt. Die Lücke wird mit einem US-amerikanischen Logistikschiff geschlossen, das zu einem behelfsmäßigen Wachposten umfunktioniert wurde. Im November wird ein kleines Stückgutschiff leicht beschädigt – „der letzte Schmerz dieser Kampagne“, wie Gryparis später sagt. Danach schweigen die Raketen gegen Handelsschiffe, mit dem Fokus nun auf israelische Städte. Als Huthi-Crews im Mai 2025 zwei modifizierte Qadr-Mittelstreckenraketen testen, reagieren Washington und London mit sechs Wochen Dauerbombardement: fast 1.000 Ziele, 140 Tote laut jemenitischen Quellen – die höchste Verlustphase des Kriegs.
Der Waffenstillstand – und seine Grenzen
Die fortgesetzte Kampagne bringt beide Seiten an den Verhandlungstisch in Oman, am 6. Mai wird ein Waffenstillstand vereinbart. Der Staat Israel oder „ihn materiell unterstützende Entitäten“ bleiben allerdings legitime Huthi-Ziele. Washington stoppt Luftschläge und hinterlegt 150 Mio. US-$ bei der UNO für jemenitische Treibstoffimporte.
Der Waffenstillstand hält, weil jeder die Pause braucht. Der Verkehr steigt auf 36 bis 37 Schiffe pro Tag – erst die Hälfte des Vorkrisenniveaus. Keine Raketen auf Frachter seit November, keine SAM-Starts seit 5. Mai. Und die Besatzungen halten immer noch ein Nickerchen an ihren Konsolen, ein Auge auf dem Radar, ein Ohr am nächsten omanischen Telefonanruf. Dennoch endet jeder Konvoi-Brief auf die gleiche Weise: “Raketenstart annehmen, bis Lat/Long geräumt ist“. (das Seegebiet verlassen, Anm d. Redaktion)
Der Hauptgrund für den Feldzug am Roten Meer, Irans Kampf mit Israel und dem Westen, beschleunigt sich weiter. Während die Houthis ihren – bisher größtenteils erfolglosen – Beschuss israelischer strategischer und wirtschaftlicher Ziele deutlich erhöht haben, reichert Teheran nun außerhalb des JCPOA-Rahmens von 2013-2015 sein Uran auf über 60 Prozent U-235 an, und die indirekten Gespräche in Muscat und Doha sind ins Stocken geraten. Der jüngste Quartalsbericht der IAEO listet „wachsende Lücken in der Kontinuität des Wissens“ in den iranischen Anlagen Natanz und Fordow auf – eine diplomatische Umschreibung dafür, dass die Inspektoren keinen Einblick mehr in die iranischen Atomanlagen haben. In Tel-Aviv wird diese Datenlücke als Sprint in Richtung waffenfähiger Bestände interpretiert.
Gleichzeitig hat sich der Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel erneut verschärft, da die Hisbollah versucht, jenseits des Litani aufzurüsten, obwohl dies einen strikten Bruch des Abkommens darstellt. Falls die Gespräche mit dem Iran scheitern sollten, erscheint eine Eskalation fast unvermeidlich. Jedes israelische Planungsmodell beginnt mit einem Präventivschlag auf iranische Nuklearanlagen, jeder iranische Gegenschlag endet mit den Houthis als erneute Bedrohungsachse.
Müdigkeit
Gleichzeitig berichtet Konteradmiral Vasileios Gryparis, dass die Aspides-Mission mit ihren drei Schiffen auf Station dringend sieben weitere Fregatten und zwei Tanker benötigt, um den Bedarf zu decken. Drei Geleitschiffe können auf einer Strecke von 1.200 Seemeilen nicht mehr als vier Konvois pro Tag begleiten – zwei in Richtung Norden, zwei in Richtung Süden. In der Anfangsphase des Krieges mussten die Seeleute oft tagelang warten, bis sich ein Konvoi zusammenfand. Um zu den Durchschnittswerten der Vorkriegszeit zurückzukehren, fordern die Kaufleute jedoch acht bis zehn tägliche Transits. Jeder Konvoi wird durch einen dreifachen Schutzschirm geschützt: ein Luftverteidigungsschiff 15 bis 20 Seemeilen vor der Formation, eine Fregatte zur Punktverteidigung, die den wertvollsten Teil des Konvois (in der Regel einen Flüssiggastanker) begleitet, und eine Heckwache zur Abwehr von ferngesteuerten Booten mit Bombenladungen. Mit nur drei Schiffen komprimiert die EUNAVFOR Aspides diese ganze Taktik auf ein einziges Schiff pro Konvoi, was in den flachen Gewässern der Meerenge von Bab al-Mandab oft zu gefährlichen Blindflügen führt.
Der Mangel zeigt sich auch in den Ausdauerrechnungen. Eine einzelne französische FREMM-Flugabwehrfregatte verbrennt alle 24 Stunden circa 100-120 m³ F-76 Treibstoff im Sprint- und Drift-Eskorteinsatz. Ohne eigene Tanker muss jede Fregatte alle sechs Tage nach Dschibuti oder Jeddah auslaufen, so dass Aspides gezwungen ist, eine Etappe der Eskortkette zu überspringen oder ein US-Kampflogistikschiff auszuleihen, um auf Station zu bleiben. Zwei unter EU-Flagge fahrende Tankschiffe würden diese Lücke schließen, so dass die Kriegsschiffe unterwegs auftanken können und ein ununterbrochener Schutzschild über den Engpass aufrechterhalten würde.

Die Magazintiefe ist der zweite Knackpunkt. In nur fünfzehn Monaten hat die Task Force ungefähr 250 Boden-Luft-Raketen – die meisten davon Standard-2- oder Aster-Raketen, deren Ersatzkosten 1 Million US-Dollar pro Stück übersteigen – und fast 6.000 Schuss 76 mm/127 mm-Luftschlagmunition verbraucht. Konteradmiral Gryparis spricht von „hunderten von harten Treffern“, aber dieser Erfolg hat seinen Preis: Eine französische oder italienischer FREMM fährt in der Regel mit 24-32 SAMs an Bord; in einer einzigen „arbeitsreichen Nacht“, in der 20 Abfangraketen verschossen werden, ist das vordere Silo halb leer und das Schiff eine Raketensalve davon entfernt, von seinem Posten gezwungen zu werden. Das Nachladen erfordert einen Kran an der Pier in Dschibuti oder Jeddah; eine vertikale Auffüllung auf See ist für diese Raketen noch nicht zulässig. Bis die Magazine wieder aufgefüllt sind – was eine 36- bis 48-stündige Hin-und Rückreise bedeutet – muss eine andere Eskorte die Lücke schließen.
Aber Stahl ist nur die eine Hälfte des Problems; die andere Hälfte ist die Ausdauer der Seeleute, die diesen Stahl am Leben erhalten. Ermüdung ist – und war schon immer – die größte Bedrohung für jedes Schiff auf See. Müdigkeit beeinträchtigt die Reaktionszeit und das Urteilsvermögen, was Unfälle begünstigt.
Im Dezember 2024 wurde eine amerikanische F/A-18F über dem Roten Meer von einem US-Kreuzer abgeschossen, der sie fälschlicherweise als Drohne identifizierte. Dieser Fehler wurde von den Ermittlern auf überlastete, nicht ausreichend ausgeruhte CIC-Wachhabende zurückgeführt. Interne NATO-Richtlinien zielen in der Regel auf höchstens 80 Dienststunden pro Matrosen und Woche ab, doch die Logbücher der Red Sea zeigen, dass viele Überwasserschiffe 95-100 Stunden überschritten haben.
In der Luftfahrt ist Ermüdung die “Staublunge der Fliegerei”, ein Berufsrisiko, das mit dem Staub vergleichbar ist, den ein Bergarbeiter täglich einatmet, und der sich anhäuft, bis er sich als Unfallkurve manifestiert. An Deck zeigt sie sich in Form von übersprungenen Routineaufgaben, schlampiger Arbeit, oder – im schlimmsten Fall – einer falschen Identifizierung eines zivilen Flugzeugs. So geschehen im Jahr 1988, wie beim Iran Air Flug 655, der von der erschöpften und mit der Bedienung der neuen Bordelektronik überforderten Besatzung an Bord des Zerstörers USS Vincennes abgeschossen wurde, wobei 290 Zivilisten ums Leben kamen.
Die nächste Eskalation?
Ohne Verstärkung steht Aspides vor der brutalen Entscheidung, Konvois zeitweise unbewacht zu lassen oder Schiffe und Menschen in den Verschleiß treiben. Mit nur drei Fregatten auf Station kann das derzeitige Tempo nicht lange durchgehalten werden.
Die strategische Uhr tickt weiter, auch wenn die Oberfläche des Roten Meeres noch ruhig aussieht. Deshalb besteht die Koalition darauf, dass die Operation Aspides nicht auslaufen darf, nur weil die Radarschirme diese Woche ruhig sind. Wenn das nicht mehr der Fall ist – und die Wahrscheinlichkeit steigt mit jeder neuen Zentrifuge, die der Iran installiert, werden die Houthis Teherans schnellster und billigster Vergeltungshebel sein. Bereits jetzt sind die US-Botschaften in höchster Alarmbereitschaft, aus Teilen des Nahen Ostens werden alle nicht-essentiellen US-Truppen ausgeflogen, während der Iran nun ankündigt, dass man „signifikant schneller” anreichern würde.
Das Muster ist bekannt: die Meerenge sperren, die Versicherer verschrecken und die westlichen Staatskassen mit einem siebenstelligen Betrag für jeden Flugkörper ausbluten lassen. Ohne tiefere Magazine, ausgeruhte Besatzungen und diese sieben zusätzlichen Fregatten auf Abruf wird die EU dabei erwischt werden, wie sie heute eine kurze Ersparnis auf Kosten eines weitaus teureren Preises von morgen erzielt.

Wir sollten uns auch nicht selbst betrügen – EUNAVFOR Aspides diente auch als Übung für einen zukünftigen Krieg in der Ostsee. Der nächste Kampf wird dort beginnen, wo Bab al-Mandab aufgehört hat – in der kalten Kluft zwischen Bornholms Kabeln und den Ölfeldern Norwegens. Denn die Lehren aus dem Roten Meer gelten auch für Europas Nordflanken. Die Verfahren, strategische Lektionen und Inventarlisten aus Jemen gehören nun in Ostsee-Wetter erprobt:
- auf jeder dänischen Trafostation,
- auf jeder norwegischen Plattform,
- jedem deutschen LNG-Terminal.
Denn, sobald die erste Drohne ein Windrad vor Dänemarks Küste streift oder ein Fateh-Klon 20 Seemeilen vor Troll A einschlägt, machen die Versicherer dieselben Rechnungen auf wie im Dezember 2023 – mit Umwegen, Aufschlägen und leeren Regalen als Folge. Europas beste Chance ist, Rümpfe, Besatzungen und Mandate bereitzuhalten, bevor die ersten Kontake auf dem Radarschirm erscheinen – damit die Straße von Kopenhagen nie einen Namen erhält, der so düster klingt wie das Tor der Tränen.