bsnRüstung

Gepanzerte Autos sicher fahren lernen

Ausbilderin Irina zeigt, wie fit man sein sollte

„Sollen wir die Bombe unter den Autos platzieren?“ – „Nein, die legen wir erst mal auf den Tisch“. Das Gespräch der beiden Männer in einem Büro, welches aus Containern in einer Werkshalle gebaut ist, könnte Unbeteiligte irritieren. Hier wird aber kein Anschlag geplant, sondern das Training für Fahrer gepanzerter Fahrzeuge. Die Teilnehmer fahren in aller Herren Länder wichtige und schützenswerte Personen. Hier bei ASC International wurden auch die Fahrzeuge für Karzai und Nelson Mandela gebaut. „Schusssicher sind die Wagen aber nicht“,  erklärt der Inhaber Fidelis Cloer, welcher seit 30 Jahren gepanzerte Fahrzeuge entwickelt, baut und vertreibt. „Wer sein Fahrzeug so bezeichnet, der hat keine Ahnung. Die Fahrzeuge haben bestimmte physikalische Eigenschaften. Sie können eine bestimmte Energie auf bestimmten Teilen aufnehmen. Das hält bestimmte Projektile, Bomben, Splitter und so weiter draußen. Aber es gibt nie eine hundertprozentige Sicherheit. Erst dann wäre das Fahrzeug schusssicher’.“

In der Fertigungshalle stapeln sich die Fahrzeuge. Fast durchgehend Toyota Land Cruiser der 200er Serie. Das meist gebaute gepanzerte Fahrzeug der Welt. Das Basisfahrzeug ist so stabil, dass es auch 6,5 Tonnen Gesamtgewicht aushält, es ist sehr verbreitet und kann auf der ganzen Welt gefahren werden, ohne zu sehr aufzufallen. Die Fahrzeuge, die diese Fertigung verlassen, werden von Staatschefs, Königen und reichen Privatkunden gefahren. Sie kosten bis zu 250.000 € pro Stück ohne Lieferung. Günstige Anbieter bieten vermeintlich gleichwertige Fahrzeuge für 100.000 € an, welche aber etliche Sicherheitslücken aufweisen. Der Kunde muss dem Hersteller mitteilen, nach welchen Standards und Vorgaben das Fahrzeug gefertigt werden muss. Warum das jedoch kompliziert ist, ist ausführlich in diesem Artikel erklärt.

Das Training

Aufbau für verschiedene Übungen

Das Training, welches ASC anbietet, richtet sich explizit auch an die Kunden anderer Hersteller. Im fünftägigen Kurs soll man lernen, wie man ein gepanzertes Fahrzeug sicher in verschiedenen Situationen bewegt, warum körperliche Fitness für die Fahrer wichtig ist und wie man medizinische Notfälle in Krisengebieten rudimentär behandelt. Das Training soll dabei auch die Grundlage für ein weiteres, eigenes Training vor Ort schaffen. Man fährt ungepanzerte, schlecht gepanzerte und gut gepanzerte Fahrzeuge mit Rechts- und Linkslenker. Zu den Kunden zählen Botschaften, internationale staatliche und nicht-staatliche Organisationen und wenige Privatpersonen. Viele habe jahrelange Erfahrung, andere sind neu im Job. Ein wichtiger Aspekt des Trainings ist auch der Austausch unter den Teilnehmern: Wer hat wo schon mal was erlebt, welche Probleme hat man in der Praxis, an die man in der Theorie nicht denkt. 

Die Teilnehmer 

Reanimation am Dummy üben

So berichtet ein Teilnehmer, dass einer seiner Fahrgäste auch im gepanzerten Fahrzeug mit offenem Fenster fahren möchte, weil er die Luft der Klimaanlage nicht mag. In einem Kriegsgebiet. Auf den Hinweis, dass dies unsicher und gegen die Idee eines gepanzerten Fahrzeuges sei, erwiderte der Fahrgast, wofür die Panzerung dann gut sei, wenn sie einen gar nicht schütze. 

Das Fahren dieser Fahrzeuge ist weiterhin eine Männerdomäne. Es gibt gerade in westlichen Nationen immer mehr Frauen in dem Feld – viele sind es jedoch weiterhin nicht. Auch an diesem Training nimmt keine Frau teil, dafür gibt es eine Ausbilderin für einige Teilbereiche.

Bei diesem Training war Leo Prinsloo einer der Teilnehmer. Er wurde vor einigen Monaten zum Internet-Star, da ein Video geteilt wurde, in dem er einen Werttransporter in Pretoria fuhr, der von mehreren Angreifern mit drei Fahrzeugen überfallen werden sollte. Mehrere Minuten manövrierte er den Transporter um die Angreifer herum, wendete auf der Autobahn, um ihnen zu entkommen und fuhr sich am Ende fest. Das Video endet mit einer Szene, in der er sein Sturmgewehr greift und aussteigt, um wiederum die Angreifer zu jagen. Dabei fuhr er einen Land Cruiser der 70er Serie mit einem aufgesetzten gepanzerten Laderaum. Die Fahrzeuge sind für ihre schlechte Handhabung bekannt, was seine Fahrt noch beeindruckender macht. 

Leo hatte bei der Einreise nach Dubai, wo das Training stattfindet, ein Problem: Er hatte noch eine Patronenhülse in seinem Gepäck, was die Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte auf sich zog. Er gab an, in diesem Bereich zu arbeiten und dass sie von einem vorangegangenen Training zurückgeblieben sein muss. Auf die Frage, ob er das belegen könne, konnte er entspannt mit „Haben Sie YouTube?“ antworten. Rund 50 Millionen Aufrufe hat sein Video inzwischen.  

Leo Prinsloo

Fidelis Cloer und Leo Prinsloo

Leo ist ein sehr ruhiger, entspannter und verantwortungsvoller Mensch. Stets höflich, aufmerksam, freundlich. Jemand, mit dem man gerne Zeit verbringt, der sich nie in den Vordergrund stellt. Auch im Video wirkt er ruhig, obwohl etliche Projektile sein Fahrzeug treffen. Fast zwanzig Jahre lang war er Polizist, lange in der Special Task Force (STF), dem südafrikanischen Äquivalent der GSG 9, am Ende seiner Dienstzeit auch als Ausbilder. Die Angreifer in seinem Video hatten sich einfach das falsche Ziel ausgesucht. Auch beim Training drängt er sich nie in den Vordergrund, hat aber immer gute Tipps aus der Praxis, wenn man ihn fragt. Und er verliert nie den Humor, egal wie heiß oder anstrengend es gerade ist.

Warum Dubai

Dubai eignet sich hervorragend als Trainingsort. Für das Unternehmen ist es aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen einfacher, hier zu produzieren. Für die Teilnehmer des Trainings ist es einfach nach Dubai einzureisen. Gerade die Einreise aus vielen afrikanischen Ländern kann in der EU schwierig sein, in Dubai nicht. Zu guter Letzt entspricht die Trainingsanlage und das Klima dem, was die meisten in ihrem Alltag sehen: Sand und Sonne. Bei bis zu 50 Grad und leichtem Wind wird man langsam durch Schweiß und Sand paniert. 

Das Training

Bei 40 Grad Neigung überschlug sich der gepanzerte Land Cruiser

Das Training gliedert sich in mehrere Teile: Theorie, Erste Hilfe, Fitness, Fahrzeuge, Fahren, Unfälle und Szenarios. Im ersten Teil wird erklärt, wovon wir eigentlich sprechen. Was ist ein gepanzertes Fahrzeug? Worum geht es in diesem Training? Anschließend erklärt ein erfahrener Mitarbeiter aus dem Rettungsdienst, wie sein Alltag bei Spezialeinheiten aussieht, welche Verletzungen in der Praxis bei Überfällen auf solche Konvois vorkommen und wie man diese notdürftig versorgt, bis eine Versorgung im Krankenhaus möglich ist. Neben Schussverletzungen und ähnlichem geht es aber auch um das Erkennen von Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Dem Klischee nach sind Botschafter nicht immer die sportlichsten Menschen und die Gefahr eines Herzinfarktes scheint größer, als die eines gezielten Angriffs.

Das bringt einen dann auch zum Thema Fitness: Wie bewegt man eine 120 kg Person, wenn man selber 75 kg wiegt? Kann man bei praller Hitze durch die Wüste joggen? Kommt man einen Hügel hoch, nachdem man diesen runter gerollt ist? Bei 47 Grad müssen die Teilnehmer mit einer Krankentrage und einem Dummy Runden laufen, einzeln Hügel hoch und wieder runter und dabei komplizierte Fragen beantworten. Vielen wird hier deutlich, wie sehr sie ihre körperliche Fitness und ihr Wissen über Unfallversorgung haben schleifen lassen. „Das ist wie bei einer Stewardess. Die macht auch nicht ein Jahr Ausbildung, um dir eine Cola zu geben! Stell dir mal vor, sie sagt ‚Ich weiß auch nicht, was wir bei einer Wasserlandung machen – das kommt so selten vor‘. Du bist Fahrer eines gepanzerten Fahrzeuges. Du musst fit sein. Wenn du meinst, dass eh nichts passiert, kannst du auch Taxi fahren“,  erklärt Fidelis Cloer den schwitzenden Teilnehmern.

Die Fahrzeuge

Wie anfangs erklärt, gibt es extreme Unterschiede bei gepanzerten Fahrzeugen. Um nur auf ein Problem einzugehen: Schießt man durch den Scheinwerfer, so kann man die Batterie und den Sicherungskasten durchschlagen. Die Splitter des Projektils fliegen dann weiter auf die Trennwand zwischen Motorraum und Passagierraum. Dort können Splitter des Projektils durch das Loch fliegen, welches die Lenksäule benötigt, sie können das Armaturenbrett durchschlagen und die Beine des Fahrers erwischen. Er stirbt nicht sofort, aber er blutet und hat Schmerzen. Genau das passierte regelmäßig bei günstigen Fahrzeugen. Die teuren haben daher weitere gepanzerte Blenden im Motorraum, um so etwas zu verhindern. Es gibt dutzende solcher Beispiele. Daher ist es einfach, ein Fahrzeug 90 % sicher zu machen, aber sehr kompliziert, es 99 % sicher zu machen. 

Ein deutscher Hersteller musste auch schon einmal die Zertifizierung wiederholt werden, weil ein Sitz bei der Zertifizierung nicht an der richtigen Stelle montiert war. Dies fiel auf, sie mussten den Test wiederholen. In solchen Fällen interessiert es die meisten Kunden am Ende nicht mehr, warum sie es taten und ob sie die Zertifizierung danach bestanden haben, oder nicht. Das Vertrauen ist verspielt. So jemandem möchten viele Kunden nicht ihr Leben anvertrauen. Andere Hersteller zertifizieren ihre Fahrzeuge gar nicht erst und berufen sich lediglich auf die Materialtests der verbauten Metalle und Glassorten. Viele Kunden verstehen jedoch den Unterschied nicht, da es im Detail kompliziert ist. Dies habe ich in diesem Artikel erklärt.

Während im Training die Unterschiede zwischen den verschiedenen Fahrzeugen erklärt werden, bekommen einige Teilnehmer große Augen: „Genau so sieht unser Wagen aus – da kommt also eine Kugel durch? Also ist der Wagen gar nicht schusssicher?“ fragt ein Teilnehmer. „Kein Wagen ist schusssicher. Merkt euch das!“ – Wiederholt sich Fidelis Chloer. Im Englischen spricht man von „bullet resistent“, am ehesten mit „Widerstand gegen Beschuss“ zu übersetzen. 

Fahren

Während alle auf die spektakulären Szenario-Szenen warten, die sie in den Videos vorangegangener Trainings gesehen haben, sehen die ersten Fahrten von außen unspektakulär aus. Fahrzeuge fahren langsam um Pylone rum. Fast, wie in Zeitlupe. Doch für die Fahrer ist es schwere Arbeit. Aufgabe ist es, den precision driving parkour („Präzisions Fahrer-Parkour“) der US-Polizei in weniger als vier Minuten zu fahren. Dabei geht es um eine Reihe von simplen Geschicklichkeitsübungen wie Wenden, Parken und Slalom fahren. Bei den ersten Versuchen benötigen mache Teilnehmer 15 Minuten, um ihn fehlerfrei zu fahren. Später kommen sie auf fünf Minuten. Ein Stück weiter steht ein relativ langer Slalom-Parkour, den man problemlos etwas schneller fahren kann. Doch es geht darum, dem Fahrer die Augen zu verbinden und ihn nur durch die Kommandos des Beifahrers zu steuern – vorwärts und rückwärts. Dies ist nötig, wenn der Fahrer aufgrund eine verschmierten Scheibe oder durch Verletzungen nichts mehr sehen kann.

Weiter geht es mit Driften. Diesen Teil leitet der Rennfahrer und Drift-Instruktor „Nacho“ an, welcher sich sonst um seinen Rennstall in Abu Dhabi kümmert. Ein entsprechend präpariertes Fahrzeug wird dabei absichtlich zum Driften gebracht und wieder eingefangen. Fortgeschrittene driften mehrere Runden um ein Hindernis, bevor sie mit dem Fahrzeug geradeaus fahren. Da die gepanzerten Land Cruiser rund sechs Tonnen wiegen, können sie schnell ins Schleudern geraten, wenn ein Hinterreifen platzt. Dies passiert besonders oft, wenn Originalreifen verwendet wurden und keine, die für die erhöhte Traglast ausgelegt sind.

Unfälle

Beim Versuch, die Scheibe raus zu reißen, brach die Türverriegelung

Gerade diese geplatzten Reifen können zu schweren Unfällen führen, bei denen sich das Fahrzeug überschlägt oder von der Straße abkommt. Daher werden Überschläge und das sichere Aussteigen im Simulator geübt. Immer und immer wieder. Später auch mit Übungs-Handgranaten und Rauchbomben im Fahrzeug. 

In der Praxis kann es ebenfalls vorkommen, dass sich alle Türen nach einer Explosion nicht mehr öffnen lassen. Daher wird das herausreißen von Scheiben und Türen geübt. Dies muss in einer Minute ab dem Unfall erledigt sein. Also zum eigenen Auto rennen, das verunfallte Fahrzeug überholen, mit einem Spezialbohrer die knapp 4cm dicke, gepanzerte Scheibe durchbohren, eine Lanze mit Widerhaken rein stecken, diese mit dem eigene Fahrzeug verbinden und die Scheibe heraus reißen. Dabei entsteht ein Schaden von mehr als 10.000€ an dem Fahrzeug, weswegen die wenigsten Anbieter solche Trainingseinheiten ins Programm nehmen.

Erst nachdem all diese Aufgaben absolviert wurden, geht es zum spektakulären Teil: den Szenarios.

Szenario-Training mit gepanzerten Fahrzeugen

Bei den Szenarios geht es darum, alles Gelernte in Kombination anzuwenden. Das Szenario in diesem Fall ist: Ein VIP im ungepanzerten roten Mercedes wird von zwei gepanzerten Land Cruisern geschützt. Das mag unrealistisch klingen, entstammt aber einem echten Überfall. „Terroristen“ greifen den Mercedes an, schlagen die Scheiben ein, werfen Trainings-Handgranaten und Rauchbomben. Dabei wird der VIP verletzt und das Fahrzeug kann nicht mehr aus eigener Kraft fahren. Für alle anderen Beteiligten geht die Arbeit dann richtig los:

Der Teamleiter muss per Funk die Anweisungen geben: Fahrzeug aus dem Gefahrenbereich schieben. Wie sieht es im Fahrzeug aus? Der Beifahrer des VIP-Fahrzeuges muss nach hinten klettern, den verletzten VIP nach Verletzungen absuchen und diese melden. Sobald es die Lage zulässt, müssen alle aus dem beschädigten Fahrzeug in ein anderes Fahrzeug umgeladen werden, die Verletzungen müssen erstversorgt werden und alle müssen zusammen in Sicherheit. In der Theorie ist der Ablauf klar und einfach. In der Praxis ergibt sich aber zum Beispiel, dass ein Verletzter und drei weitere Personen auf die Rückbank eines Land Cruisers müssen. Also müssen ein bis zwei Personen schnell über die Sitzbank in den Kofferraum springen. Unter Zeitdruck und mit Kopfstützen in der höchsten Position ist alleine dieser Teil ein Problem. 

Das Szenario dauert nur wenige Minuten und es gibt eine Menge kleiner Probleme und Fehler im Ablauf. Diese müssen in aufwendigen Nachbesprechungen analysiert werden. Dabei helfen auch Fotos und Videos der Szene. Jeder Teilnehmer erklärt seine Sicht des Ablaufes, es wird mit der Realität vergleichen: Was hat man gar nicht wahrgenommen, wo hat man etwas falsch gemacht? Während einer der Nachbesprechungen überschlug sich einige Meter weiter ein gepanzerter Land Cruiser, der gerade in einer 40-Grad Schräglage ein Hindernis überfahren wollte. Die Insassen hatten es oft genug im Simulator geübt, die umstehenden Instruktoren halfen ihnen hinaus, kein Problem. 

Resümee 

Die Trainingstage sind lang und anstrengend. Bis zu 13 Stunden mit 30 Minuten Pause, bis zu 50 Grad, dabei viel Sport, viel trinken und viel neues Wissen erlangen. Man merkt schnell, welche Teilnehmer sich selber immer weiter ans Limit treiben und welche lieber die nächste Klimaanlage suchen und man erfährt gut, wo die eigenen Limits liegen. Ich bewege mich selber oft in Kriegs- und Krisengebieten, ich fahre dort selber mit gepanzerten Fahrzeugen, daher nehme ich an diesen Trainings immer wieder teil. Gemessen an dem Pensum, der extremen körperlichen und intellektuellen Herausforderung, bin ich aber froh, es nicht häufiger zu machen. 

Ähnliche Artikel

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"