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Sa’ar 6: Israels modernstes Kriegsschiff

Die meisten Menschen interessieren sich nicht für die Details von Waffensystemen, doch im Fall des neuen israelischen Tarnkappen-Kriegsschiffes „Magen“ lohnt der Blick auf die Details. „Wir haben sehr spezifische Anforderungen, denn wir müssen unsere strategischen Assets, wie die Gasfelder im Mittelmeer, verteidigen. Und exakt dafür wurde dieses Schiff gebaut“, erklärt mir dazu Konteradmiral Ariel Shir, während er mit mir über die Brücke der „Magen“ läuft.

Vier neue Schiffe

Die israelische Marine hat vier neue Kriegsschiffe der Sa’ar 6 Klasse bei ThyssenKrupp Marine Systems in Deutschland in Auftrag gegeben. Das erste Schiff wurde im vergangenen Dezember nach Israel gefahren und dort mit den Waffensystemen ausgerüstet. Nun wurde es in Haifa vorgestellt. Es soll vor allem die Erdgasplattformen im Mittelmeer schützen. Als Angreifer kommen besonders der Iran und die von ihm unterstützen Milizen, wie die Hisbollah, infrage. Daher ist das Anforderungsprofil an die Waffensysteme sehr speziell. Der Iran lässt seine Milizen nicht mit U-Booten, Stealthbombern oder großen Kriegsschiffen angreifen. Am ehesten kommen größere Schlauchboote und kleine Drohnen zum Einsatz. Diese sind günstig, schwer zu orten und können schnell ihre Richtung ändern. Grob kann man sagen: Je schwerer das Ziel zu treffen ist und je stabiler es ist, desto teurer ist es, dieses abzuschießen. 

Die ersten Kriegsschiffe der Welt waren ungepanzert, groß und das Gegenüber konnte ihr Ausweichmanöver in gewissem Maße voraussehen. Da konnte man mit einer normalen Kanone und etwas Übung durchaus ein Schiff treffen, beschädigen oder versenken. Aber man musste dicht heran. Heute finden große Teiles des Krieges auf längere Distanzen statt. Ein großes Schiff gegen ein anderes großes Schiff mit teuren Raketen und Geschützen gegen teure Anti-Raketen-Raketen und Anti-Geschütz-Geschütze. Dazu gibt es alle möglichen weiteren Waffen bis runter zu einzelnen Pistolen am Gürtel der Seeleute. 

Doch welche Waffe setzt man ein, wenn auf einmal hundert Schlauchboote auf einen zufahren, die je mit einem Fahrer und einem Schützen mit einem tragbaren Raketenwerfer bestückt sind? Genau diese Szenarien wurden in den vergangene Jahren immer wieder durchgespielt. Viele kleine Waffen sind einfacher zu beschaffen und einzusetzen, als eine Große. Und man hat das Torwart-Problem: Man selber muss alle potentiellen Treffer abwehren. Das gegenüber muss jedoch nur einen guten Treffer landen. 

Im konkreten Fall haben die alten Kriegsschiffe ein triviales Problem: Von all ihren Waffen kann keine Kosteneffizienz gegen solche Angreifer eingesetzt werden. Solche Szenarien galten bisher als unrealistisch und wurden nicht beachtet, inzwischen werden sie aber vermehrt bei Manövern durchgespielt. Die Hamas versuchte in den vergangenen Wochen auch mit Tausenden sehr einfachen Raketen den israelischen Raketenschild „Iron Dome“ zu durchbrechen – also die gleiche Idee, nur in der Luft. Wie verteidigt man sich also gegen viele kleine Angreifer auf hoher See? Das Radar kann diese kleinen Ziele nur schwer erfassen. Dazu noch so viele, welche sich schnell bewegen. Mit den großen Kanonen muss man immer im Voraus vermuten oder berechnen, wo sich das Ziel beim Einschlag befinden wird. Die kleinen Boote können aber schnelle, enge Kurven fahren. Die großen Raketen an Bord können schnell einen sechsstelligen Stückpreis erreichen und können ein solches Ziel oft auch nur mit Mühe erfassen. Daher sind sie auch kaum in so großen Stückzahlen an Bord. Mit dem Maschinengewehr hat man eine Chance, wenn man gut zielen kann. Jedoch ist die Reichweite beschränkt, und man wird kaum alle Schlauchboote erwischen, bevor diese ihre Raketen abschießen können. 

Botschafter Issacharoff, Ehefrau Laura Kam und Marinesoldaten auf dem Sa’ar 6 Schiff „Oz“

Bei der Auswahl der Waffen kommt es also drauf an, welche Szenarien man erwartet und für wie wahrscheinlich man diese einschätzt. Bei der Verteidigung der Erdgasplattformen sind die bereits erwähnten Schlauchboote und Drohnen ein Szenario, es könnten aber auch größere Kriegsschiffe oder Kampfjets zum Problem werden. Nachdem Syrien am 15. Mai 1948 Israel angriff, gab es zwar einen Waffenstillstand, jedoch wurde der Krieg nie beendet. Dieser oder andere Konflikte könnten also wieder eskalieren.

Israel braucht also Schiffe, welche auf die speziellen Bedürfnisse des Staates zugeschnitten sind. Die Braunschweig-Klasse von ThyssenKrupp Marine Services bildet dafür eine gute Basis. Diese Korvetten werden nach der Überführung nach Israel mit der passenden Militärtechnik ausgestattet. Botschafter Issacharoff erklärte dazu: „Diese Korvette eine einzigartige Synthese aus deutscher und israelischer Technologie und Ergebnis enger Zusammenarbeit, die erforderlich ist, um ein solch beeindruckendes Schiff zu bauen. Für mich symbolisiert das Schiff israelisch-deutsche Zusammenarbeit in ihrer besten Form.“

Gefahren erkennen

Konteradmiral Ariel Shir erklärt Enno Lenze das Aesa-Radar

Bei einem Angriff muss man zunächst erkennen, dass es einen solchen gibt. Es gibt auch heute noch Menschen mit Ferngläsern, eher werden aber Kameras, Radar und andere Systeme genutzt. Eines der wichtigsten Systeme an Bord ist das EL/M-2248 MF-STAR Aesa-Radar, welches in Israel entwickelt wurde. Ein klassisches Radar sendet ein elektronischen „Ping“ aus und wertet dann die Echos des Signals aus. Das Problem daran ist unter anderem, dass das Gegenüber dieses charakteristische „Ping “erkennen und mit eigener Technik den Sender ausfindig machen kann. Bei einem Aesa-Radar wird daher vereinfacht gesagt ein Chaos von verschiedenen Funkwellen ausgesendet. Da der Sender immer noch weiß, was er wann gesendet hat, kann er immer noch die Echos des Signals auswerten. Dem Gegenüber fällt es aber schwerer, diese „Pings“ vom Hintergrundrauschen anderer Signale zu unterscheiden. Auch auf hoher See und in der Luft empfängt man die Signale etlicher Satelliten (TV, Kommunikation, usw.) sowie den Funk diverser Schiffe und Flugzeuge. Das neue Radar versteckt also seine Signale im Rauschen des digitalen Äthers. Das System kann hunderte Ziele gleichzeitig im Umkreis von mehreren hundert Kilometern erfassen. „Ja, es gibt größere und vermeintlich bessere Systeme. Aber ich kenne mich mit Radar gut aus. Und das hier ist eines der besten Systeme der Welt und genau das, was wir für unseren Einsatz brauchen“, erklärt mir Konteradmiral Ariel Shir.

Mit diesem Radar, Drohnen, Hubschraubern und anderen Systemen erkennt man also, dass sich etwas in der Luft oder im Meer nähert. Es liegt dann an Menschen und Maschinen zu erkennen, ob es sich dabei um einen Angriff handelt oder nicht. Hat man einen Angreifer erkannt und identifiziert um was für ein Fahrzeug, Flugzeug bzw. was für eine Waffe es sich handelt, muss entschieden werden, welche Waffe zum Einsatz kommt. 

Gefahren abwehren

Die Sa’ar 6 Klasse hat verschiedene Waffensysteme für verschiedene Szenarien an Bord. Die Barak 8 („Blitzschlag“) Raketen können gegen anfliegende Marschflugkörper, Flugzeuge, Drohnen und Helikopter bis 100 km eingesetzt werden. Die vierzig Raketen an Bord fliegen dabei mit doppelter Schallgeschwindigkeit in Richtung des Zieles, erfassen es dann eigenständig per Radar und per Infrarot-Wärmesucher und explodieren in unmittelbarer Nähe des Ziels. Die Fragmente der Rakete zerstören dann das Ziel oder lassen dieses abstürzen.

Vor allem gegen Angriffe mit Schiffsartillerie und ungelenkten Raketen sind zwei C-Dome (Iron Dome) Systeme verfügbar. Diese schützen an Land hauptsächlich Israel vor den Raketen der Hamas aus Gaza. Das System besteht aus einem Radar und Raketen. Das System berechnet, wo die anfliegenden Granaten oder Raketen einschlagen werden. Sofern sie eine Gefahr darstellen, werden sie von ein bis zwei Raketen abgefangen. Dieses System ist auf einen Angriff mit ungelenkten Waffen ausgelegt, also welchen, bei denen das Projektil seine Flugbahn nicht eigenständig verändern kann. Daher ist die Flugbahn einfacher und schneller zu berechnen.

Gegen größere Schiffe ist die Sa’ar 6 mit Antischiffsraketen ausgestattet, üblicherweise 16 Stück der etablierten RGM-84 Harpoon. Diese können rund 140 km weit gegen andere (Kriegs)Schiffe eingesetzt werden. Sie werden in Richtung des zu zerstörenden Schiffes gestartet und fliegt wenige Meter über der Wasseroberfläche, bis sie das Ziel mit ihrem eigenen Radar erfasst und einschlägt. 

Für den unwahrscheinlichen Fall eines Angriffes durch ein U-Boot, sind zwei MK54 Torpedos an Bord. Diese können Ziele bis zu 10 km weit unter Wasser ansteuern. Sie erfassen ihr Ziel vor dem Einschlag durch akustische Sensoren, welche meistens das Geräusch der Schiffsschraube erkennen.

Wichtigste Waffe beim am ehesten zu erwartenden Szenario ist jedoch die Oto Melara 76 Kanone. Dabei handelt es sich um eine klassische Marine-Kanone, welche seit knapp sechzig Jahren im Einsatz ist. Auf Waffenmessen wird selten gefragt, was neu ist sondern eher, was alt und etabliert ist. Die AK47 ist so beliebt, weil sie seit rund 70 Jahren zuverlässig und günstig Menschen tötet. Genau das soll sie tun und darin ist sie gut. Bei Bordkanonen ist es ähnlich. Diese sollen in jeder Situation zuverlässig und genau schießen. Es gibt also keinen Grund, ein funktionierendes System grundsätzlich zu ändern. Man muss nur ein wenig mit der Zeit gehen. Es gibt stärkere Kanonen als diese, es gibt schneller schießende und es gibt günstigere. Aber diese kann relativ günstig und relativ schnell schießen und verfügt über „Dart“-Projektile, welche im Flug ihre Flugbahn ändern können. So können sie, im Gegensatz zu normaler Munition, einem Schlauchboot folgen, welches gerade versucht auszuweichen. 

Bereits 2014 wurde diese Kanone mit einem entsprechenden Feuerleitsystem potenziellen Käufern vorgeführt. Dabei wurde auf sich bewegende Ziele auf und knapp über der Wasseroberfläche geschossen, welche sich zwischen drei und zehn Kilometer entfernt bewegten. Ein damals anwesender Einkäufer einer westlichen Armee erklärte mir mit einem breiten Grinsen, er sei „sehr zufrieden mit den Ergebnissen“ gewesen: „Das System kann für einen Bruchteil dessen, was man für eine Rakete zahlt, den Anflug korrigieren. Das hilft nicht bei einem Quatrocopter, aber es reicht, um ein Rib [Schlauchboot mit festem Rumpf] zu erledigen, welches das nicht hat kommen sehen. Also kurz gesagt: Die Anti-Iran-Waffe, die man jetzt in [der Straße von] Hormus haben will“ erklärt er weiter. Mit dieser Kanone hat man also die Chance, viele angreifende Schlauchboote zu stoppen, bevor diese dem eigenen Schiff zu Nahe kommen können. „Wir haben die 76mm Kanone auch schon auf der Sa’ar 4 und 4.5 Klasse da drüben im Einsatz. Die haben sich bewährt“ – sagt Konteradmiral Ariel Shir und deutet auf die Kriegsschiffe ein Stück weiter. 

Sollten Raketen von den angreifenden Booten abgefeuert werden, bevor sie gestoppt werden konnten, so ist es Aufgabe des C-Dome oder der Panzerung, größeren Schaden am Schiff abzuwenden. 

Als kleinste montierte Waffen befinden sich noch zwei 30mm „Typhoon“ Kanonen des israelisches Hersteller Rafael an Bord. Diese können auf relativ kurze Distanz gegen Drohnen, Helikopter und Boote eingesetzt werden. „Klein“ ist dabei relativ, die Projektile haben immer noch 3 cm Durchmesser und knapp 18 cm Länge.

Sa’ar 6

Man sieht an den Waffensystemen, dass diese einen Fokus auf Verteidigung gegen See- und Luftziele haben. U-Boote werden kaum beachtet. Man kann die Waffen teilweise auch zum Angriff nutzen, dafür gibt es eigentlich aber geeignetere Systeme. Jedes der Schiffe wird am Ende rund 400 Millionen Euro kosten. Dazu kommen die Kosten für einen Hubschrauber, welcher im Hangar im Heck des Schiffes untergebracht werden kann, sowie die Betriebskosten. Ein stolzer Preis, für ein kleines Land wie Israel. Doch alleine das Leviathan Gasfeld im Mittelmeer soll rund 12 Milliarden Euro in den kommenden Jahren erwirtschaften.

Ob das Schiff der Aufgabe gewachsen sein wird oder ob man auf eine falsche Konfiguration gesetzt hat, wird sich zeigen. Doch es ist bedrückend zu sehen, mit welchen Szenarien man rund 100 km von der Europäischen Union entfernt rechnet. 

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