Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler – heißt es im deutschen Sprichwort. Und so verwundert es nicht, dass das Wahlkampf-Event von Kamala Harris völlig anders war, als das von Donald Trump vor zwei Tagen. Langsamer, ruhiger, mehr stehen, keine Foodtrucks. Im direkten Vergleich wirkt es dadurch jedoch eher wie ein Vortrag, nicht wie ein Event.
Nachdem man sich auf der Homepage der demokratischen Partei angemeldet hatte, erhält man die E-Mail mit den Details. Man möge sich ab 15 Uhr an der Ecke Constitution Ave NW und 17. Straße NW einfinden. Das Event soll um 17 Uhr starten, Kamala Harris soll um 19 Uhr sprechen. Da lange Schlangen und Zehntausende Besucherinnen und Besucher erwartet werden, wage ich um 12 Uhr einen ersten Blick: Es gibt eine rund hundert Meter lange Schlange. Kein Problem. Die Sonne scheint, das Thermometer steigt im Laufe des Tages bis auf 20 Grad. Es werden Merchandising-Artikel aller Art von fliegenden Händlern angeboten. Leute unterhalten sich über die Gründe ihres Besuchs. Manche sind hunderte Kilometer angereist, um Kamala Harris in Washington zu sehen. Es sind einige Sicherheitskräfte vor Ort – überall steht irgendjemand herum. Man fühlt sich jedoch nicht immerzu beobachtet oder kontrolliert.
Langes Warten
Gegen 15:30 Uhr öffnen sich die Türen, wir kommen rein. Es folgt die für solche Veranstaltungen übliche Kontrolle durch die vom Flughafen bekannte TSA sowie den Secret Service. Dann geht es weiter. Freiwillige geben einem Poster und ein leuchtendes LED-Armband. Dieses ist von Konzerten bekannt und kann am Ende zentral von einem Lichttechniker angesteuert werden. Auf dem Weg zum Gitter vor der Bühne werden noch Wasser und Müsliriegel verteilt. Es gibt Baustellentoiletten und ein paar Sitzbänke, die zur Grünanlage gehören. Und eine große, aber nicht zu hohe, Bühne. Ich kann problemlos einen Platz in der ersten Reihe der normalen Besucher ergattern. Davor gibt es einen Bereich für geladene Gäste und die Tribünen für besonders wichtige. Die Kameras der Nachrichtensender sind so platziert, dass sie die geladenen Gäste auf den Sitzen vor der Bühne zeigen. Die Vizepräsidentin umrahmt von USA-Flaggen und im Hintergrund das Weiße Haus. Perfekt inszeniert. Doch erst mal hieß es warten.
Musik statt Redebeiträge
Die Wartezeit wurde mit Musik überbrückt. Nicht von einer Band, sondern eingespielt. Partylieder, Gute-Laune-Musik. Später dann auch von einer Animateurin unterstützt welche das Publikum zur Bewegung und zum Mitmachen animieren soll. Es sind auffällig viele Gruppen junger Frauen bis hin zu Teenagern im Publikum. Teilweise gut vorbereitet mit Kartenspielen und Decken, um die Wartezeit zu überbrücken. Nachdem USA-Flaggen, Kamala-Schilder und Wasser verteilt sind, folgt Zuckerwatte. Der eine oder andere Foodtruck wäre bei der langen Wartezeit aber auch nicht schlecht gewesen.
Das Animationsprogramm mit Musik läuft am Ende bis fast 17 Uhr. Man muss sagen: Ein Hulk Hogan, welcher sich vor Trump-Fans das T-Shirt zerreißt, bringt mehr Bewegung ins Publikum. Auf der anderen Seite eben die Frage: Möchte man das? Geht es immer um die verrückten Bilder und das bebende Publikum? Hier offensichtlich nicht – und dem Publikum gefällt das gebotene Programm. Doch es wird nicht richtig voll. Steht man in der Menge, hat man das Gefühl, dass einfach nicht genug Menschen da sind.
Redebeiträge beginnen
Die Redebeiträge beginnen. Einzelschicksale, welche Probleme der Trump-Politik beschrieben sollen. Ein Paar berichtet, wie sie das gemeinsame Kind verloren haben und die Frau abtreiben musste. Diese schwere Entscheidung solle bei Ihnen liegen, nicht bei Trump. Großer Applaus.
Craig Sicknick, Bruder des beim Sturm auf das Capitol getöteten Polizisten Brian D. Sicknick berichtet vom Verlust eines geliebten Menschen. Später treten Farmer auf und sprechen über ihr Leben. Es regt zum Nachdenken an, aber die Geschichten sind traurig. Sie sollen zeigen, was verhindert werden soll, was man nicht mehr möchte. Dann wird Kamala Harris angekündigt. Doch es folgen weitere dreißig Minuten Musik vom Band.
Eine Frage der Perspektive
Ob es voll war oder nicht, ist eine Frage der Perspektive. Laut der Polizei waren rund 50.000 Personen dort. Mehr als bei Trump (inklusive derer, die es nicht hereingeschafft haben). Gefühlt war es leer.
Doch dies ergibt sich aus der Perspektive. Aus Sicht der CNN Kameras, vor mir, etwas erhöht, ergibt sich dieses Bild.
Erst später sehe ich, dass verdeckt von den Toiletten, einem Zaun und der Straße ein riesiger zweiter Bereich existiert, auf welchem Bildschirme stehen. Von dort höre ich auch mehr und mehr Trommeln, Tröten und Rufe, die wohl die Veranstaltung stören sollen.
Zu guter Letzt merkt man aber, dass die Veranstaltung vor allem für die TV-Kameras und nicht für die Menschen vor Ort geplant wurde. Ich stehe im Bereich derer, die lange anstanden und reingekommen sind. Nun zeigt sich, dass die Bühne für Zuschauer zu niedrig ist. Aus der Mitte der Menge, mit einem aktuellen iPhone und mit hochgestreckten Händen, kann ich ein solches Foto ergattern. Mehr geht nicht. Im Vergleich zum CNN-Bild oben eine ganz andere Welt
Kamala Harris tritt auf
Dann tritt Kamala Harris auf. Es ist bereits nach 19 Uhr. Leute warten teilweise seit sieben Stunden. Es ist kühl geworden. Kein Essen, keine warmen Getränke, kein Koffein. Das Publikum hält aber durch. Ihrer Rede fehlt aus meiner Sicht die Schlagkraft. Es klingt alles, wie oft gehört. Viele Punkte hatten ihre Vorrednerinnen und Vorredner genau so gesagt. Sozusagen eine vorsichtige Politikrede. Bei den Fans nicht anecken. So kurz vor der Wahl nur das ansprechen, was Applaus gibt. Und dafür entsprechende Pausen einplanen. Alles genau so, wie man es von einer Spitzenpolitikerin erwartet, die nichts dem Zufall überlässt und ein gutes Team dafür hat.
Dass die Rede direkt für viele der Angereisten auch nicht der entscheidende Punkt war, zeigt sich schnell. Nachdem Kamala Harris 15 Minuten gesprochen und man sie gesehen hat, gehen mehr und mehr Menschen. Noch während sie spricht, entsteht am engen Ausgang ein 50 Meter langer Stau.
Auswirkungen auf die Wahl?
Am Ende bezweifle ich, dass eines der Events Auswirkungen auf die Wahl hat. Die jeweiligen Fans stehen zu ihren Politikerinnen und Politikern. Die jeweils andere Seite wird als die falsche gesehen, die das Land zugrunde richtet. Die Veranstaltungen waren so unterschiedlich, wie sie nur sein können – aber beide optimiert auf die jeweiligen Besucher. Und beide exakt durch choreografiert. Im Wahlkampf überlässt man eben nichts dem Zufall.