Kurdistan

Kommt der Staat Kurdistan?

Am 25.09.2017 sollte abstimmt werden, ob die kurdische Regionalregierung mit der irakischen Zentralregierung über einen unabhängigen kurdischen Staat innerhalb der Grenzen der jetzigen Autonomen Region Kurdistan verhandeln soll. Nicht mehr und nicht weniger. Der IS war gerade erst „besiegt“ worden, aber eine Stunde weiter in Mosel konnte man noch die Explosionen hören. Eine schwierige Zeit.

Am Morgen des Referendums waren Erbils Straßen waren leer, aber die wenigen Autos, die herum fuhren, machten einen wahnsinnigen Lärm. Dei Menschen Schwenkten Fahren, hupten und freuten sich. Es schein, als bereiten sich schon alle auf eine große Party vor. Immer wieder streckten uns Menschen ihren in Tinte getränkten Zeigefinger entgegen. Die schwer zu entfernende Tine zeigt, dass man bereits abgestimmt hat. In einem Land ohne Melderecht und Wählerregister sehr hilfreich, um doppelte Abstimmungen zu verhindern.

Wir besuchten die Wahllokale. Durchweg herrschte überschwängliche Stimmung, Beobachter und Journalisten waren willkommen. Die Leuten wollten an diesem historischen Tag Selfies mit allem und jedem machen.

Gleichzeitig überschlugen sich die Meldungen aus Bagdad. Dort setzte man die Armee in Alarmbereitschaft und drohte, sie in die “Disputed Areas” zu schicken – also Gebiete, die unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen und somit von den Peschmerga gesichert werden, die aber laut irakischer Verfassung nicht zu Kurdistan zählen. Zu diesen Gebieten zählt Shingal, aber auch die Großstadt Kirkuk. Der Gouverneur von Kirkuk, Dr. Najmaldin Karim, den ich 2015 kennenlernte, wurde bereits vor einigen Tagen ohne Rechtsgrundlage aus dem Amt gehoben. Die Entscheidung kam vom irakischen Parlament, welches für diese Frage aber gar nicht zuständig ist. Er dürfte derzeit der einzige amtierende arbeitslose Gouverneur sein – er ignorierte diese Entscheidung schlichtweg.

Peschmerga-General Kaka Hama wurde sofort nach Kirkuk verlegt. Er hat mehr als vierzig Jahre Erfahrung auf dem Schlachtfeld und seine Soldaten gelten ihm gegenüber als extrem Loyal. Es hiess, es würden 30.000 Peschmerga an die Kurdisch-Iraksiche Linie verlegt. Wir packen alles Material zusammen: Schusssichere Westen und Helme, einen Rucksack mit medizinischem Equipment, vier Kameras, zwei Stative, acht Objektive, Essen, Trinken, Handtücher und Deo. Es mag unsinnig sein, damit den ganzen Tag durch die Hauptstadt zu fahren, aber sollte die Lage in Kirkuk eskalieren, wären wir als erste dort.

An der Zitadelle im Stadtzentrum Erbils waren gegen Mittag mehrere Straßen abgesperrt und es fuhr ein großer Autokorso vorbei – viele der Wagen fuhren einfach immer im Kreis. Die Leute standen in Kostümen auf den Wagen, wedelten mit Flaggen und hupten.

Der Mann neben mir sagte, er wisse nicht, ob er sich freuen solle oder nicht. Die Unabhängigkeit sei wichtig, aber der Blutzoll dafür sei so hoch gewesen. Alleine im Kampf gegen Saddam sind mehr als 200.000 Menschen ermordet worden. Saddam wollte die Kurden vollständig auslöschen. Sie wurden zu Tode gefoltert, vergast, lebendig begraben und im Winter in die Berge getrieben, damit sie dort umkommen sollten. Und das ist erst so lange her, wie bei uns der Mauerfall.

Um 23:30 fuhr das letzte Auto des Autokorsos vorbei – die Party lief aber noch bis spät in die Nacht. Das erste Ergebnis kam nach Mitternacht: Rund 90% sollen mit „Ja“ gestimmt haben.

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