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Shabbat in der Synagoge

Mir war gerade die erste Frage eines Interviews gestellt worden, als mich ein Freund anrief und fragte „Hey hier ist Eliyah! Kommst Du morgen mit in die Synagoge?“. Das klang interessant „Gerne, aber können wir das später besprechen?“ Fragte ich. „Nein“ war seine klare Antwort, „der Shabbat beginnt gleich, dann kann ich das Handy nicht mehr benutzen“. Also machten wir die Uhrzeit und den Treffpunkt aus, so dass keine weitere Absprache mehr notwendig war. Auch wenn mir diese Regel seines Lebens im Prinzip bekannt ist, vergesse ich in der Praxis immer wieder, welche Auswirkungen das haben kann. Er ist aschkenasischer Jude und hält sich streng an diese Regeln. Sie sind vielfältig und zu jeder Regel gibt es eine historische Begründung. Doch vieles, was in unserer modernen Welt normal ist, existierte nicht, als diese Regeln geschaffen wurden.

Ist ein E-Herd Feuer oder Wasser?

So musste irgendwann entschieden werden, ob ein Elektroherd zu Feuer oder zu Wasser zählt. Man darf am Shabbat kein Feuer machen, aber Wasser benutzen. Die Begrifflichkeit der Elektrotechnik stammen zum Teil aus der Hydrologie: Strom fließt. Er fährt nicht, er brennt nicht, er reist nicht. Demnach könnte es Wasser sein. Aber der Zweck eines Elektroherdes ist, Essen zu garen. Er wird warm und er ersetzt das Feuer. Somit wird er heute dem Feuer zugerechnet und darf nicht benutzt werden. Bei Glühbirnen wird es kompliziert. Eine Glühbirne mit einem Leuchtdraht wird warm und „brennt“. Aber eine LED-Glühlampe hat außer Helligkeit nicht viel mit Feuer gemein und ersetzt dieses auch nur teilweise – dennoch gilt sie im Allgemeinen als verboten. Doch wie so oft bei religiösen Fragen gibt es eine große Spanne von Auslegungen. Die groben Gruppen, in die man sie in diesem Fall unterscheiden kann sind: Kein „Feuer“ machen und keine Schalter betätigen (also keine Stromkreise schließen) oder jegliche Elektrizität nutzen.

Während der letzte Fall relativ einfach zu verstehen ist, kommt es in Haushalten, welche „passive“ Elektrizität erlauben, auf einige Details an. So darf man z.B. Warmhalteplatten benutzen, welche an einer Zeitschaltuhr hängen, die vor dem Shabbat eingerichtet wurde. Diese darf Speisen erwärmen, nicht aber zum Kochen bringen. Ich darf auch Kleinkinder im Fahrstuhl mitnehmen, sofern ich diesen auch ohne sie benutzt hätte. Man darf mich aber nicht dazu verleiten den Fahrstuhl zu benutzen, um dann mitzufahren. Noch viel grundlegender ist die Frage, ob man am Shabbat ein Stromkraftwerk betreiben darf. Auf der einen Seite ist es in der heutigen Welt einfach notwendig, auf der anderen Seite verleitet man dadurch Menschen zu Arbeit und zur Stromerzeugung. Im Allgemeinen wird dies aber als erlaubt angesehen.

Für mich spielen all diese Fragen zum Glück keine große Rolle, da ich nicht nach diesen Regeln lebe und mein Umfeld auch nicht erwartet, dass ich mich in ihrer Gegenwart daran halte. Es gibt nur einige Regeln, welche allgemein in der Synagoge gelten. Dazu gehört unter anderem das Verbot, das Handy zu nutzen oder kreative Arbeit durch Aufzeichnungen zu fertigen, sei es per Stift oder durch Fotografie.

Für Ausstenstehende wirken solche Regeln oft wie aus einer anderen Zeit. Und warum sollten Religionen Einfluss auf weite Teile des öffentlichen Lebens haben? Dann noch welche, bei denen man sich scheinbar ohne Not selber in seiner Handlungsfreiheit einschränkt? Aus dem westlichem Umfeld kommt auch immer wieder die Frage auf, ob die Darstellung der Netflix-Serie „Unorthodox“ korrekt sei. Aber diese Serie behandelt eine Gruppe von Juden in New York, welche den Kontakt zur restlichen Gesellschaft meiden. Das hat mit den Juden in Deutschland oder Israel wenig zu tun. Und wie bereits oben beschrieben ist das Judentum extrem vielfältig, die Auslegungen der Regeln auch. Man kann wirklich kaum sagen was „typisch“ ist.

Auf der anderen Seite sieht die christlich-deutsche Gesellschaft für Aussenstehende auch sehr merkwürdig aus. Als ich als Kind nach Deutschland kam fragte ich mich, warum überall nur Straßen seien, während sich alle darüber aufregten, dass es zu viele Straßen gibt … obwohl sie diese gerade gebaut haben. Bis heute ruht in Deutschland ein Teil des Lebens am Sonntag, weil dies vor Jahrhunderten von einer Kirche entschieden wurde. Und warum fährt man Weihnachten zur Familie nach Hause – wohlwissend, dass man sich mit einzelnen Leuten eh nur wieder streitet? Menschen sind verschieden, Gesellschaften sind verschieden, die historischen Gründe für ihr Handeln sind verschieden.

Ein Querschnitt der Gesellschaft

Die Menschen in dieser Synagoge leben nicht abgeschieden vom Rest der Gesellschaft. Sie wollen es auch gar nicht. Sie freuen sich über meinen Besuch, über meine Fragen und mein Interesse. Es sind Menschen aus allen Ecken der Gesellschaft: Ein Unternehmer, welcher um die Welt reist, ein Kampfjetpilot, eine Anwältin, eine Ex-Abgeordnete, ein KFZ-Mechaniker und viele mehr. Eliyah selber arbeitet in der IT-Industrie, seine Frau ist Unternehmerin.

Die Synagoge ist unter der Woche eine High School und wird nur am Shabbat von dieser Gemeinde genutzt. Im Außenbereich ist ein gigantisches Buffet aufgebaut, denn es wird die Bar Mizwa eines Jungen gefeiert. Mit dreizehn Jahren ist er für sein Handeln selbst verantwortlich und fällt der historischen Bedeutung des Begriffes nach „unter das Gesetz“. Er wird sozusagen erwachsen, ein vollwertiges Mitglied der Gemeinde. Dies ist der wichtigste Tag im bisherigen Leben. Die Jugendlichen in der Synagoge nutzen Facebook, Instagram oder TikTok – nur eben nicht heute. Es gibt kein Foto, kein Video, keinen Post von diesem Ereignis. Es ist für die Anwesenden, für die eigene Erinnerung. Die Tische und Stühle wurden am Vortag geliefert, das Essen darf von den Beteiligten jedoch auch am Shabbat serviert werden. Es gibt eine Liste von vierzig Arbeiten, welche verboten sind. Die Liste umfasst zum Beispiel handwerkliche Tätigkeiten, wie Pflügen, Mahlen, Nähen, Gerben, aber auch kreative Arbeiten wie Beschriften und eben Dinge entzünden. Alle anderen Tätigkeiten sind weiterhin erlaubt.

Feiern ohne Selfies

Man feiert also ein großes Fest mit vielen Menschen, ohne dass ein Telefon klingelt, ohne dass jemand vermeintlich lustige Bilder aus einer Whatsapp-Gruppe rumreicht und ohne dass man dauernd für das nächste Selfie posieren muss. Es ist auf eine Art wesentlich angenehmer. Die Gespräche werden nicht dauernd von jemandem unterbrochen, der dem Verlauf bisher nicht gefolgt hat und man wird nicht auf Dinge hingewiesen, die man sich ganz dringend in irgendeiner Instagram-Story angucken müsse. Und manchen, die an diesem Tag nicht anwesend waren, müssen eben fragen wie es war. Sie bekommen es dann ausführlich erzählt.

Vom Essen in der Synagoge geht es zum Essen nach Hause. Das Essen wird am Vortag zubereitet und am Shabbat nur noch gegessen. Man wäscht sich die Hände auf eine bestimmte Weise und spricht ein Tischgebet. Dieses kann je nach Feiertag und je nach Essen variieren. Sofern diese Abläufe allen bekannt und etabliert sind, nehmen sie nicht mal viel Zeit ein. Deutlich länger dauert es, mir die einzelnen Schritte und die Geschichten dazu zu erklären.

Die Sonne näherte sich dem Untergang, was das Ende des Shabbat bedeutete. Es war ein interessanter Tag im Leben anderer. Eine Welt, die aus der Distanz wunderlich erscheint, aber verständlicher wird, je dichter man rankommt. Ich schaltete mein Handy wieder ein und musste feststellen: Ich hatte rein gar nichts verpasst: Kein Anruf, nicht eine private Nachricht und immer noch keine neue Regierung in Israel. Es ergab sich für mich also kein Nachteil daraus, einfach mal einen Tag auf einige Details der modernen Welt zu verzichten.

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