Sollten Amateure Museen machen?
Vor zehn Jahren haben Wieland Giebel und ich nebeneinander Geschäfte in Berlin betrieben, nahe dem Brandenburger Tor. Er eine Buchhandlung mit wenigen Souvenirs, ich einen Souvenirladen mit wenigen Büchern. Und wir hatten das gleiche Problem: Unwissende Touristen fragten uns Löcher in den Bauch über die Geschichte Berlins und Deutschlands. Wir wollten dieses Publikum bilden. Ein Museum könnte eine Lösung sein. Doch hatten wir keine Ahnung davon. Sollten Amateure ein Museum betreiben?
Können wir das?
Keine Ahnung stimmt nicht. Wir haben beide viele verschiedene Projekte gemacht. Wieland hatte in den 1970er Jahren Soldatenreisen quer durch Europa organisiert. Die einfache Idee: Soldaten, die sich kennen, schießen nicht aufeinander. Wir haben zusammen Europas größtes Geschichtsfestival, die Historiale, erfunden und jahrelang organisiert. Wieland hat alle möglichen Ausstellungen (mit) aufgebaut.
Auch Verlage gehören zu einem großen Teil zur Kultur. Wir haben den Berlin Story Verlag. Ohne Förderung sind bisher 260 Titel zum Thema Berlin und Nationalsozialismus entstanden. Die Meinungsvielfalt in Deutschland leidet nicht darunter, dass es keine Verlagsförderung gibt und unserer Meinung nach auch nicht geben sollte.
Und wir sind beide Unternehmer. Wir können Grundrechenarten und wir wissen, was es heißt, mit dem eigenen Geld zu wirtschaften. Und wir wissen, dass es alle ist, wenn es alle ist. Wir können Google und Twitter benutzen, um die Lösung für ein Problem zu suchen. Das mag trivial klingen. Doch diese Grundlagen fehlen offensichtlich vielen.
Wie viel verdient man?
Wenn Menschen etwas beginnen ist heute die alles entscheidende Frage: Wie viel kann man damit verdienen? Diese Frage ist mir fremd. Ich komme aus Kinderarmut, habe etliche Ehrenämter gemacht und helfe bis heute noch gerne in meinem Urlaub in einem Waisenhaus in Kurdistan. Ich will Dinge tun. Ich will Leuten etwas vermitteln. Ich will etwas bewegen, die Welt zu einem besseren Ort machen. Rassisten, Antisemiten und Homophobe tun das Gegenteil.
Also ist es mir ein inneres Anliegen, gerade in diesem Bereich zu bilden. Ich demonstriere gegen diese Menschen auf der Straße, ich verachte sie in meinem Alltag. Das ist kein Geheimnis. Jeder kann mir auf X folgen. Ich stelle mich ihren Machtdemonstrationen entgegen, wenn ich kann. Bei den Protesten gegen diese Menschen treffe ich nur selten auf andere aus meiner Branche, für welche Antifaschismus nur ein Job ist und „never again“ ein Share-Pic auf Instagram. Wieland Giebel sieht es genau so. Wir hatten also nie eine solche Diskussion.
Daher ist für uns auch egal, ob der Berliner Kultursenator Joe Chialo derzeit als der „Verlierer“ im Haushalts-Streit im Berliner Senat angesehen und wie genau das Geld verteilt wird.
Ein Museum skizzieren
Also los geht’s. Passend dazu wird mir der ehemalige Anhalter Bunker, heute Berlin Story Bunker, in der Nähe des Potsdamer Platzes angeboten. 6.500 Quadratmeter auf fünf Etagen. Wir schauen uns um. Scheint alles zu passen. Es geht los.
In den Läden Unter den Linden hatten wir über viele Jahre mit ähnlichen Besuchern zu tun wie später im Bunker: Menschen, die Fragen haben, die sich für den Ort interessieren, den sie besuchen, die etwas lernen oder erfahren wollen. In einer leeren Etage des Bunkers habe ich über tausend Führungen gemacht, Wieland mehrere hundert. Dabei haben wir uns Wissen angeeignet, vor allem aber die Fragen der Besucher kennen gelernt, die wir bald sogar kategorisieren konnten: Was wissen die Amerikaner über den Nationalsozialismus und was interessiert sie? Wie sieht es bei den Dänen aus, bei den Niederländern?
Man könnte das als Besucherevaluation bezeichnen, aber eigentlich geht die Erkenntnis durch die eigene, tiefe Erfahrung weiter. Sie hat uns geholfen, bei der weiteren Konzeption das Spannungsfeld zwischen dem, was wir vermitteln wollen, und den Fragen der Besucher zu berücksichtigen. Man könnte sagen, wir haben dann ein FAQ-Museum konzipiert, also die Frequently Asked Questions berücksichtigt. Es war nicht so, dass eine Marketingfirma, ein Team von Historikern, Museumsarchitekten, Audioguide-Firmen und viele andere arbeitsteilig daran gearbeitet haben.
Alles kam aus zwei Köpfen – mit Hilfe von anderen und unter deren inhaltlicher Kontrolle. Das Ergebnis dieser Forschungs- und Entwicklungsarbeit sehen wir heute in den überaus positiven Bewertungen bei Google und in den täglichen Kommentaren auf dem Whiteboard am Ende der Dokumentation. So etwas kann man nicht an der Universität lernen und auch keine Marketingagentur damit beauftragen. Die Qualität wirkt sich direkt auf die Besucherzahlen und den Umsatz aus.
Wir beginnen also, das Museum zu skizzieren. Die meisten Fragen beziehen sich auf die Nazizeit: Wo kann man den Führerbunker besichtigen? Hat Hitler den Krieg überlebt? Warum hat er die Mauer gebaut? Wo kann man was von der Mauer sehen? Nein – ich meine es ernst. Das waren und sind die Top-Fragen. Bis heute. Ich weiß das, weil ich bis heute regelmäßig selbst an der Kasse stehe, ohne eine große Show daraus zu machen. Ich will die Besucherinnen und Besucher kennenlernen und ihren unverfälschten Eindruck erleben. Ich will sehen, welche Probleme es im Ablauf gibt und welche Fragen sie haben.
Es geht also darum, die Nazizeit und alles bis heute zu erklären. Und dann geht es los: Was genau ist die Nazizeit? Wo fängt sie an? Bei Hitler? Mit der DAP? Mit der NSDAP?
Wir zerbrechen uns den Schädel über all diese Dinge. Aber: Nach einer Nacht steht der Loop, also der Weg, den die Besucher gehen müssen. Und die groben Themen sind in den großen Räumen gesetzt. Nach einem Wochenende haben wir den ganzen Plan. Zu zweit. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt leider nicht, dass man das eigentlich über Wochen mit einem Team macht, auf zig Meetings und mit Beratern verteilt. Wir sind halt keine Profis. Wir haben uns einfach an dem orientiert, was wir aus unzähligen Gesprächen mit unseren Kunden gelernt haben.
Woher weiß man das?
Allerdings gehört mehr, als eine wilde Idee dazu. Glücklicherweise hat sich Wieland Giebel seit 50 Jahren mit diesem Thema befasst, mehr als 20 Buchtitel dazu geschrieben und weltweit mehr als 100 Vorträge dazu gehalten. Und um uns herum tummeln sich diverse Experten zu diesem Thema, wie der Historiker Sven-Felix Kellerhoff sowie die Hitler-Experten Harald Sandner, Professor Thomas Weber und der Filmemacher Hermann Pölking. Mein Wissen dazu war bis dahin durchschnittlich – dafür kenne ich mich mit der Organisation solcher Projekte und der Technik aus. Und ich wusste, was Leute von mir wissen wollen und welchen Horizont man bei den Besuchern voraussetzen kann. Aber wie baut man nun ein Museum?
Von Profis lernen?
Schauen wir uns also die Profis an. Förderanträge für Museen sind oft öffentlich zugänglich. Da kann man sich ein Bild davon machen, wie die Kalkulation der Profis aussieht. Wenn man einen Förderantrag sieht – dann wird man verrückt: Texte für einen Audioguide erstellen, Übersetzungen in vier Sprachen in Auftrag geben, im Tonstudio aufnehmen lassen und die Gerätehardware selbst, dann kommt man auf Kosten von 500 bis eher 1.000 Euro pro Audioguide. Wir gehen davon aus, dass wir 150 Audioguides brauchen, also 150.000 €. So viel Geld haben wir nicht rumliegen. Dann brauchen wir ein Beleuchtungskonzept. Das kostet 50.000€. Nur das Konzept. Davon kauft man keine Glühbirne.
Und natürlich gute Gehälter. Direktor und Kurator sechsstellig im Jahr. Die erste halbe Million Euro braucht man schon für die ersten Planungsschritte.
Dieser Direktor muss dann ein Team von Abteilungsleitern haben, die wiederum ihr Team haben. Regelmäßig sieht man am Ende von Ausstellungen die Liste derer, die mitgearbeitet haben. Das sind nicht selten 50 bis 100 Personen, die namentlich aufgeführt sind. Die Handwerker, die es aufgebaut haben, werden oft nur mit der Firma genannt. Recherche, Lektorat, Redaktion, Social Media Beratung, Social Media Konzept, Social Media Agentur und Social Media Controlling im eigenen Haus. Und immer so weiter.
Servicekräfte kann man über Zeitarbeitsfirmen buchen. Das hat den Vorteil, dass man keinen Schichtplan schreiben muss. Manche Museen machen das so, andere stellen direkt selbst ein. Wir haben Angebote eingeholt. Eine 35h Servicekraft an der Kasse wird von den gängigen Dienstleistern mit ca. 7.500€ im Monat berechnet. Stellt man aber für 2.500€ im Monat selber ein, sind dennoch alle zufrieden und man konnte zwei Drittel der Kosten sparen.
Unser Team bestand also aus Wieland und Enno. Beide in Teilzeit – wir mussten ja nebenbei noch unsere Firmen führen. Sowie die beratenden Experten. Und am Ende brauchten wir noch zwei Handwerker für alles: Niko und Marco. Die konnten und durften alles bauen, was wir brauchten.
Geht’s auch billiger? Nur als Beispiel Audioguides
Wir haben früher selbst Souvenirs in China produzieren und containerweise verschiffen lassen. Davor Handy-Zubehör in Shenzen (China) produzieren lassen. Heute ist das einfacher: Also AliExpress aufgemacht und nach Audioguide, Audio Tourguides, Museum Guides … halt nach allen Varianten des Gerätes gesucht. Es kommen hunderte Modelle. Da hilft nur eines: Kaufen und testen. Ein Händler fragt nach meiner EORI Nummer, die brauche er für den Import nach Deutschland. Google auf: „Wie bekomme ich eine EORI Nummer?“ … Aha so! Eine Woche Später liegen rund 60 unterschiedlich AudioGuides in meinem Büro.
Also spreche ich drei „Räume“ in Deutsch und Englisch auf meinem Handy ein, um ein paar Dateien zu haben. Wenig überraschend sind die hoch spezialisierten Audioguides am Ende einfache MP3 Player für 10-50 Euro, die man per USB Kabel selber füttern kann. Manche sind einfach mit den Dateien zu bespielen, andere nicht. Manche haben große Tasten, andere kleine. Am Ende ist das eigentlich egal. Es muss für eine normale Person benutzbar sein und funktionieren. Ein Audioguide kann alles, was ich brauche. Er kostet inklusive Versand und Steuern bei der Abnahme von 150 Stück 48€. Fehlt der Text, die Übersetzung und das Einsprechen.
Hier kommt uns zugute, dass wir schon immer Menschen und nicht Lebensläufe eingestellt haben. Schlechtes Deutsch? Drei Studien abgebrochen? Aber zwei Jahre durch die Welt gereist und ehrenamtlich tätig? Super, komm zu uns. So haben wir Muttersprachler für Englisch, Französisch und Spanisch im Team. Das reichte für den Anfang. Die Texte hatte Wieland geschrieben und auf deutsch gesprochen. Mit dem Handy als Aufnahmegerät. Am Stehpult im Konferenzraum. Es funktioniert. Die Kolleginnen und Kollegen übersetzen die jeweiligen Texte in ihre Sprache und sprechen sie ein. Alles während der ohnehin bezahlten Arbeitszeit. Zusatzkosten: Einmal Pizza bestellen für 50 Euro.
Und dann hatten wir den Audioguide in vier Sprachen. Aber: Wer will schon 150 Audioguides einzeln am Laptop ein- und ausschalten, um die Texte zu überspielen? Also bestellten wir eine USB-Kopierstation für 599€, die 16 Audioguides gleichzeitig kopieren kann. Diese benutzen wir bis heute.
Gesamtkosten: Statt 150.000€ nur 7.849€ oder anders ausgedrückt: 95% gespart. „Wenn es das eigene Geld ist, rechnet man plötzlich ganz anders“ – dachte ich mir.
Mittlerweile benötigen wir 750 Audioguides, um die vollen Tage abzudecken. Die Kosten wären mit den normalen Preisen kaum zu stemmen gewesen.
Wir können googeln
Aber es gibt so viele Dinge, die man einfach selbst machen muss, um voranzukommen. Als wir zu Weihnachten ein Schild ändern wollten, war der Designer mit seiner Familie im wohlverdienten Urlaub. Also habe ich mir auf YouTube angeschaut, wie man mit InDesign umgeht und die Tafel selbst bearbeiten kann. Nach einem 90-minütigen Videokurs hatte ich das Problem der Anpassung gelöst. Ich exportierte die Datei, lud sie bei der Online-Druckerei hoch und ein paar Tage später war sie bei uns. Aber ich hatte die Markierungen für die Bohrlöcher nicht richtig gesetzt, weil ich nicht wusste, wie ich sie in der Schablone anbringen sollte.
Also ging ich in unseren Werkzeugraum, fand den großen Makita Bohrhammer und den kleineren Akkuschrauber mit den entsprechenden Aufsätzen. Außerdem eine Wasserwaage und Dübel. Wieland und ich gingen 15 Minuten vor Öffnung in den Ausstellungsraum, in dem eine bisher kleinere Tafel hing. Wir nahmen Maß, bohrten das Loch, schlugen die Dübel in die Wand, hängten die neue Tafel auf. Sicher nicht so präzise und gerade wie die Handwerker. Aber gut genug, dass es keiner merkt.
Und: wieder Geld gespart! Irgendwo hätte es über die Feiertage einen Grafiker und einen Handwerker-Notdienst gegeben. Und wäre es nicht unser Geld gewesen, hätten wir uns nur gefragt, auf welche Kostenstelle wir es jetzt schieben. Aber wenn man jeden Tag auf sein Konto schaut und die Zahlen sieht, dann rechnet man ganz genau.
Selber ausprobieren, selber lernen, selber machen hat uns noch nie geschadet.
Aber Förderung ist wichtig!
Aber bevor wir weitermachen, kommen wir zum Punkt der Förderung. Sie ist wichtig, um Kunst und Kultur zu erhalten, die sich nicht selbst finanzieren kann. Wie Bildung im Allgemeinen. Wenn Schulen rein kommerziell und freiwillig wären, sähe es düster aus in unserem Land. Ohne Theater, Museen und Konzerte wäre unser Land deutlich weniger lebenswert. Darüber sind wir uns alle einig. Aber: Wird das Ziel, alle oder zumindest viele an die Kultur heranzuführen, mit der heutigen Förderung erreicht?
In der Schule muss man solche Dinge besuchen, man muss sie einmal gesehen haben, um sie zu verstehen. Wir haben immer wieder Schulklassen im Museum. Für manche ist es eine Chance, ein Museum zu sehen, das sie sich sonst nicht leisten könnten. Für andere ist es normal, Museen zu sehen, und sie lernen immer etwas Neues. Und für einige wenige ist es die Gelegenheit, als erste fertig und wieder am Ausgang zu sein und nichts zu sehen. Das ist auch in Ordnung, Menschen sind verschieden und können sich auch weiterentwickeln.
Doch wenn man sich die Zahlen anschaut, wird klar: Es ist eine große Förderung für eine Minderheit. Nur drei Prozent der Deutschen gehen regelmäßig ins Theater oder in die Oper. Siebzehn Prozent der Karten sind kostenlose „Ehrenkarten“. Tendenz steigend.
Nun gut. Der Pöbel weiß unsere Hochkultur wohl nicht zu schätzen, könnte man meinen. Doch eine Studie belegt: „Museumsaffine und Nichtmuseumsaffine unterscheiden sich in ihren demografischen Merkmalen kaum“. Von den befragten Nichtmuseumsaffinen haben 83% die Hochschulreife.
Sind die Museen voll? Zahlen …
Mehr als 90 Prozent der Museen in Deutschland haben weniger als 50.000 Besucherinnen und Besucher pro Jahr. Das ist weniger als ein großes Konzert oder ein Fußballspiel in drei Stunden. Hinzu kommt, dass 70 Prozent der Museumsbesucher Touristen sind, also von einem fremden Land subventioniert werden. Wir gönnen es ihnen. Und die letzte Zahl: Die 6.712 Museen in Deutschland hatten 2016 zusammen 111.877.085 Besucher. Das sind im Schnitt 46 Besucher pro Tag und Museum. Das ist leider nicht beeindruckend.
Man kann also davon ausgehen, dass wenige Museen viele Gäste anziehen, viele Museen aber nur wenige. Aus der Vielzahl der Förderprogramme lässt sich die Jahressumme aller Programme kaum ermitteln. Die öffentlichen Kulturausgaben betrugen 2020 rund 14,5 Milliarden Euro. Die Frage nach der genauen Fördersumme aller Programm ist jedoch so komplex, dass selbst die Google-KI aufgibt.
„Es ist leider nicht möglich, eine genaue Summe für alle Förderungen an Museen in Deutschland zu nennen. Wie bereits erwähnt, gibt es dafür mehrere Gründe:
- Vielzahl an Fördergebern: Von Bund über Länder bis hin zu Kommunen, Stiftungen und privaten Spendern – die Förderquellen sind vielfältig.
- Dynamische Förderlandschaft: Die Fördermittel schwanken von Jahr zu Jahr und hängen von politischen Entscheidungen, wirtschaftlicher Lage und den jeweiligen Förderprioritäten ab.
- Fehlende zentrale Erfassung: Es existiert keine zentrale Datenbank, die alle Förderungen für alle Museen zusammenfasst.“
Das Problem sollte jedoch nicht die Förderung an sich sein. Der Zugang zu Bildung, Kunst und Kultur ist nach wie vor sehr wichtig, um eine vielfältige und gebildete Gesellschaft zu erhalten. Es stellt sich aber die Frage, ob die bisherige Art und Verteilung richtig ist.
Arbeiten Museen wirtschaftlich?
Wir haben schon bei der Planung und den Audioguides gesehen, wie man sparen kann. Es ging in vielen anderen Bereichen weiter: Muss man jede Kundenanfrage ausführlich beantworten? Am Anfang würde man sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch aus pädagogischer Sicht sagen: Ja, natürlich. Bis man eine Woche lang das Telefon und die Mails eines Museums bedient hat.
Genau deshalb haben wir das alles selbst gemacht. Anruf: „Ja, hallo, wir kommen aus Hannover mit dem Zug. Wie kommen wir am besten vom Bahnhof zu Ihnen?“ – Nun. Es gibt viele Wege. Aber Google hat die Antwort. „Wir sollen für ein Seminar die wichtigsten Faktoren für den Erfolg der Nazis aufschreiben, etwa 2.000 Wörter. Was glauben Sie, kommt da rein? Könnten Sie das bitte für mich formulieren?“ Oder Leute, die anrufen und fragen, ob die Informationen auf der Homepage stimmen. Zum Beispiel die Öffnungszeiten. Ja, die sind richtig. Also die stehen auf der Homepage. Am Ende haben wir die telefonische Erreichbarkeit auf einen Anrufbeantworter reduziert. Alles andere per E-Mail. Das funktioniert gut. Wir haben etwa einen Anrufer pro Monat, der ein Anliegen auf den Anrufbeantworter spricht.
Wir hatten eine Facebook Seite mit mehreren tausend Fans und einiger Interaktion. Leider haben wir nicht einen einzigen Gast ausfindig machen können, der aufgrund dieses Auftrittes kam. Gleiches gilt für Twitter und Instagram. Nun könnte man sagen, dass es eine Dunkelziffer gibt. Sicherlich gibt es die. Doch haben wir mehr als 100 (!) Menschen gefunden, die angegeben haben, aufgrund eines Podcasts mit Tim Pritlove vorbeigekommen zu sein. Auch diese Umfragen machen wir einfach selbst. An der Kasse.
Deshalb haben wir unsere Präsenz in den sozialen Medien drastisch reduziert. Und nirgendwo Anzeigen gebucht. Und keine Plakatwerbung. Die Besucherzahlen sind gestiegen. Es scheint also keinen Zusammenhang zu geben. Die Einzigen, die uns davon abgeraten haben, waren die Werbeagenturen. Ich selbst habe lange im Marketing gearbeitet und damit – also mit dem Verkauf von Werbung – viel Geld verdient. Nicht mit dem Erfolg der Werbung. Was wir allerdings machen, sind gezielte Google-Anzeigen. Da zahlen wir pro Klick und können am Ende messen, welche Klicks zu Online-Ticketverkäufen geführt haben. Auch hier wird es eine Dunkelziffer geben. Aber im Moment ist das sehr wirtschaftlich.
Das Team
Als ich auf einer Museumskonferenz einen Vortrag zu diesem Thema hielt, wurde unsere Medienpräsenz gelobt. Also nicht bezahlte Werbung, sondern wir sind in Zeitungen, TV, Podcasts und so weiter. Ich wurde gefragt, welche Agentur das macht. Keine. Man kommt in die Zeitung, wenn man berichtenswert ist. Das passiert von selbst. Als wir einen abgeschossenen Panzer aus der Schlacht um Kyiv vor die russische Botschaft in Berlin gestellt haben, brauchten wir keine Agentur, um CNN vor Ort zu haben. „Ah, ihr habt also eine eigene Abteilung dafür?“ war die nächste Frage auf der Konferenz. Nicht ganz. Wieland und ich machen das.
Genau wie unseren Newsletter, den fast 10.000 Menschen lesen. Und wie die Pressearbeit. Immer wieder müssen wir für verschiedene Zwecke unsere Berufsbezeichnungen nennen. Wir haben keine. Ich weiß, dass das für andere fast lebenswichtig ist. Formal bin ich der Geschäftsführende Gesellschafter. Aber mein Titel? Irgendwann haben wir uns auf „Museumsdirektor“ für mich und „Kurator“ für Wieland geeinigt. Das ist uns ziemlich egal. In der Sache sind wir uns einig: Menschen bilden, Faschisten bekämpfen. Für beides braucht man keine Titel.
Dazu kommen natürlich ein Dutzend hervorragende Servicekräfte am Museums-Counter. Sie beraten, verkaufen Tickets, beantworten Fragen und helfen in der Buchhandlung. Alle haben unbefristete Vollzeitstellen – es sei denn, sie wollen von sich aus Teilzeit arbeiten. Alle sind direkt bei uns angestellt. Wir haben nie andere Verträge angeboten.
Haben wir etwas falsch gemacht?
Oh ja! Es gibt genug Leute, die uns im Laufe der Zeit kritisiert haben. Der Pressesprecher der Topographie des Terrors, Kay-Uwe von Damaros, nannte unsere Ausstellung gegenüber der DPA die „Disneyland-Variante“ einer Ausstellung. Nur hatte er sie nie gesehen. Dieses Urteil fällte er noch vor der Eröffnung. Ich habe versucht, mit ihm in Kontakt zu treten, um das zu verstehen, aber er hat nie geantwortet. Seine Meinung steht im krassen Gegensatz zu der von drei israelischen Botschaftern, die uns besucht und die Ausstellung gelobt haben.
Wir bekamen auch Kritik von Leuten, die Lichtkonzepte entwerfen und die Lichtfarben auf dem Treppenabsatz nicht als „tief genug“ empfanden. Oder die Kritik eines anderen Museumsdirektors, der nach 30 Minuten zu einer Kuratorenführung stieß und dann bemängelte, den Anfang verpasst zu haben.
Ein ständiger Kritikpunkt in Deutschland ist, dass wir uns auf die Seite der Opfer des Nationalsozialismus stellen und keine neutrale Position einnehmen. Es gibt eine Selbstverpflichtung einiger Museen und Gedenkstätten in Deutschland, in der sie sich auf Kontroversität und Überwältigungsverbot geeinigt haben. Das heißt, man soll beide Seiten zu Wort kommen lassen und keine Bilder oder Texte zeigen, die die Meinung der Besucher zu sehr in eine Richtung kippen. Ich verstehe den Sinn nicht. Ich spreche gebildete Menschen an. Die können sich selbst eine qualifizierte Meinung bilden.
Wir haben weder Schubladen, in denen sich etwas verbirgt, noch Touchscreens mit animierten Figuren. Wir haben immer wieder gehört, dass die Schülerinnen und Schüler genau das wahnsinnig spannend finden. Ich selbst habe mit Tausenden gesprochen. Kein einziger fand eine Schublade spannend. Unsere Besucherführung ist auch klar: ein Weg, chronologisch. Wie bei Ikea. Nichts Verrücktes. Das ist weder innovativ noch hoch gelobt. Aber es funktioniert und alle kommen gut zurecht. Und man verpasst nichts.
Allen Kritikern ist gemeinsam, dass sie noch nie als Besucher bei uns waren und sich das einfach mal angeschaut haben. Aber wir arbeiten nicht für nörgelnde Fachleute. Wir arbeiten für Gäste, die sich bilden wollen.
Haben wir alles richtig gemacht?
Der Boxer Mike Tyson hat einmal gesagt: „Jeder hat einen Plan, bis er einen Schlag ins Gesicht bekommt“. Bezogen auf das Museum heißt das: Jeder hat einen Plan – bis er auf Gäste trifft. Und wir wussten noch nicht, ob alles klappen würde. Bei uns war es eine Woche vor der Eröffnung, als dieser Moment kam. Es war Pessach, als ich zu Hause saß und einen Anruf von einer Kollegin bekam: Das Landeskriminalamt stehe vor dem Bunker und wolle etwas. Ich wunderte mich und konnte mir keinen Reim darauf machen. Vielleicht der Staatsschutz? Prüfen, ob wir nicht ein Disneyland für Nazis machen, statt ein seriöses Museum? Irgendwie unklar.
Wenige Minuten später traf ich ein. Es war die Vorhut des israelischen Botschafters, der an diesem Feiertag mit seiner Familie die Ausstellung besuchen wollte. Diese war noch nicht geöffnet, die Handwerker montierten die letzten Dinge, überall lagen Kleinigkeiten herum. Aber: Warum nicht? Wir sahen uns mehrere Stunden alles an. Ich erklärte die Idee, den Aufbau, alles. Er fragte viel und kritisch nach und ich konnte an seiner Gestik nicht ablesen, ob wir alles richtig gemacht hatten oder nicht.
Am Ende bedankte er sich sehr bei mir und sagte: „Die Ausstellung ist in ihrer intensiven, schonungslosen Darstellung außerordentlich beeindruckend. Danke“.
Eine Woche später haben wir eröffnet. Zur Pressekonferenz kamen 120 internationale Journalistinnen und Journalisten. Dann kamen die Gäste. Wieland und ich waren zwei Wochen lang jeden Tag vor Ort, von der Eröffnung bis zur Schließung. Wir sprachen Gäste an, die aus der Ausstellung kamen und sagten: „Hallo, ich habe das Museum gemacht. Was habe ich falsch gemacht und was könnte ich besser machen? Man muss zwei oder drei Mal nachfragen, weil die meisten Leute höflich sind. Dann kamen ein paar kleine Punkte. Die Amerikaner sagten zum Beispiel, das sei nur eine Kleinigkeit. Aber was ist „Jena“? Das stand auf einer Tafel. Wir schauten auf eine Karte. Er sagte „ahhh bei Weimar“ – das kannte er. Also haben wir auf Twitter gefragt, welchen Ort die Amerikaner besser kennen. 98% sagten „Weimar“. Also änderten wir die Karte in „Jena, ein Ort bei Weimar“. Zwei Tage später hing sie.
Bis heute führen wir beide solche Gespräche mehrmals pro Woche, wahllos mit Besucherinnen und Besuchern, die gerade Zeit haben.
Sollten Amateure Museen betreiben?
Am Anfang stand die Frage, ob Amateure ein Museum betreiben sollten. Und ob es erfolgreich sein kann. Laut dem offiziellen Hauptstadtportal ist der Berlin Story Bunker eines der Top 20 Museen in Berlin. Wir haben etwa 6.000 Bewertungen bei Google. Im Durchschnitt 4,7 von 5 Sternen. Als wir heute nach einer Besprechung für eine neue Ausstellung das Museum verließen, mussten wir Selfies mit Besuchern machen, die sich für unsere Arbeit bedankten.
Für unsere Arbeit dankten uns unter anderem der Bundespräsident, der chilenische Präsident, zwei US-Botschafter(innen) und drei israelische Botschafter. Da wir weltweit im Einsatz sind und aus Afghanistan, Kurdistan und der Ukraine berichten, sagte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner: „Ich möchte mich an dieser Stelle für Euren Mut und Eure weltweiten Einsätze bedanken und wünsche Euch weiterhin alles Gute.“
Ja – wir haben Erfolg. Formal und bei der „Masse“. Wir sprechen weltweit auf Museumskonferenzen und beraten andere Museen in verschiedenen Ländern. Wir haben Erfolg, weil wir tun, was wir tun wollen. Vermitteln.
Amateur kommt vom lateinischen „amator“, dem „Liebhaber“. Wir machen es aus Liebe, aus Interesse an der Sache. Nicht als Beruf. Und deshalb ist die Antwort einfach: Ja, Amateure sollten Museen machen. Das ist eigentlich der einzige Grund, warum man Museen machen sollte.