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Wie US-Chips in russischen Drohnen landen

Wie kommen Mikrochips aus Texas und Deutschland in russische „Shahed“ Angriffsdrohnen, welche auf ukrainische Krankenhäuser geschossen werden? Nach einjähriger Recherche konnten wir nicht nur viele Chips finden, sondern auch den Weg einzelner Chargen nachvollziehen. Aber es war ein langer Weg.

Sammelsurium russischer Dinge in unserem Lager

Bereits im März 2022 waren wir in der Ukraine. Anfang April fuhren wir auf der Autobahn zwischen Lviv und Kyiv und kamen an einem uns bis dahin unbekannten Ort vorbei: „Bucha“. Einen Tag später sollte der Ort traurige Berühmtheit erlangen und neben Orten, wie „Srebrenica“ im Gedächtnis bleiben. Wir begannen sofort, alles zu dokumentieren und auszuwerten. Doch erst zwei Jahre später, im März 2024, war es uns erstmals möglich, Teile russischer Waffensysteme nach Berlin zu bringen und von unseren Analysten begutachten zu lassen. Zunächst fanden wir Chips des Typs Onsemi NCP51530 sowie irfb4321des deutschen Herstellers Infineon. Cent Artikel, die für den Bau der Drohne nicht wirklich relevant sind. Einfach und ersetzbar und ohne Wissen der Hersteller. 

Russische Kriegstechnik in Berlin

Infineon irfb4321 MOSFET
Infineon irfb4321 MOSFET

Im Herbst 2024 konnten wir jedoch weiter größere Technik analysieren. In Zusammenarbeit mit dem General Staff of the Ukrainian Armed Forces brachten wir einen ganzen Van voller Technik nach Berlin. Darin auch das Innenleben der iranischen Shahed 139 Drohne sowie des russischen Lizenzbaus Geran-2. Zusätzlich die Steuergeräte („MCUs“) und viele Sensoren von Marschflugkörpern wie der KH-101 sowie der ballistischen Rakete Toshka-U. Einige Kisten beinhalteten Minensuchgeräte und persönliche Gegenstände, wie GPS/Glosnas Navigationsgeräte. Dazu Anti-Drohnen-Waffen, Körperschutzsysteme, Thermaloptiken der T-90 Panzer und Motoren der Drohnen.  Mehrere Wochen dauerte die Auswertung. Aber wir wurden fündig. 

Wie findet man die Chips?

Geräte vorsichtig zerlegen

Die Chips zu finden und zu analysieren, ist nicht immer einfach. Zunächst müssen die Geräte zerlegt werden, dann die Chips gereinigt. Im besten Fall steht der Produzent und die Teilenummer direkt drauf. In noch selteneren Fällen sogar eine Chargennummer / Lot-Nummer. In der Toshka-U fanden wir Bauteile aus Sowjetzeiten, diese waren klar beschriftet. Doch je neuer die Bauteile werden, desto besser versucht man, die Herkunft zu verstecken. Einige mussten frei geätzt werden, andere mit Röntgengeräten untersucht werden.

Experten sehen es: iranisches Design mit US-Chips

Aber einige Dinge sahen unsere Analysten sofort: „Ah! Iranisches Design! In China gebaut! Mit US-Chips von Texas Instruments“! Sagte einer nach einem kurzen Blick auf eine der Platinen des Shahed Bordcomputers. Die These war aus seiner Sicht einfach, die Beweisführung kostete Monate. Dem Design nach stammt das Steuergerät aus einem iranischen Büro. Es ist aufgebaut wie typische Industriesteuerung oder Labortechnik für Universitäten. Solide, wartungsfreundlich, gut zu verstehen. Doch all das gibt für eine Einwegdrohne wenig Sinn. Das Design ging dann an einen chinesischen Platinenhersteller. Das erkennt man an Markierungen einzelner Teile. „Gut möglich, dass der das gar nicht verstanden hat. Sensoren rein, Daten raus. Das sieht aus wie eine normale Steuerung. Dann könnte der chinesische Produzent die Chips sogar selbst in den USA gekauft haben, ohne dass jemand das Problem gesehen hat“. 

Teil der Steuerung der KH-101

Auch die Anti-Drohnen-Waffe ist schnell erklärt: „Sowjetdesign! Mit viel Wissen solide entwickelt – und dann mit billigsten Bauteilen gebaut. Hier auch westliche Technik: Das Rohr, welches die Antenne schützt, ist ein italienisches Abflussrohr!“. 

Platinen einer Lancet Drohne

So weit waren wir bereits im Juni 2024 und zeigten die Ergebnisse unserer Arbeit öffentlich in unserer Sonderausstellung „Know Your Enemy“ im Berlin Story Bunker.

Nun auch den Weg der Chips

Teil des Suchkopfes der KH-101

Doch obwohl wir die Chargennummern hatten, konnten wir den Weg der Chips nicht einfach nachvollziehen. Die Hersteller konnten nur den legalen Verkauf an den ersten Handelspartner nachvollziehen, danach wurde es unklar. Doch eine amerikanische Stelle half uns, den Weg einzelner Chips nachzuvollziehen. Die Texas Instruments TMS320 Chips waren für einen Kfz-Hersteller in Mexiko gedacht, als dieser den Auftrag stornierte. Die erwarteten Bestellungen von Fahrzeugen bleiben aus. Einige sollen sogar schon in Mexiko gewesen sein – jedoch ist dieses Detail unklar, aber auch unwichtig. Es mussten also neue Käufer her. Ein Automotive-Unternehmen in Georgien und eines in Kasachstan nahmen einen Teil der Bestellung ab. Beide sehen auf den ersten Blick valide aus. Die Ware kam auf ein in einer Steueroase registriertes Frachtschiff, welches auf seinem Weg in einen EU-Staat etwas ablud und seinen Weg dann in die Türkei fortsetzte. Einige Chips kamen auf Lkw nach Georgien und Kasachstan. Bei einem Teil der Ladung verliert sich die Spur. Diese Chips tauchten dann in einer Drohne auf, welche über Kyiv abgeschossen worden ist und deren Steuergerät bei uns in Berlin landete. 

Texas Instruments arbeitet bei allen Fragen offen und schnell mit uns zusammen und erklärte: „TI lehnt die Verwendung unserer Chips in russischer Militärausrüstung und die illegale Abzweigung unserer Produkte nach Russland entschieden ab. Wir haben den Verkauf von Produkten nach Russland im Februar 2022 eingestellt. Jegliche Lieferung von TI-Chips nach Russland ist illegal und nicht autorisiert. TI investiert viel Zeit und Ressourcen in die Bekämpfung der illegalen Abzweigung von Chips und ist bestrebt, seine Bemühungen ständig weiterzuentwickeln und zu verbessern.“

Nächste Projekte

Derzeit befinden sich Teile der russischen Stealth-Drohen Sukhoi S-70 sowie Teile des russischen Kampfhubschraubers KA-52 und weitere Drohnenteile bei uns. Diese werden Gegenstand unserer kommenden Veröffentlichungen.