Yuliia über den Krieg in der Ukraine
Im September 2022 gerieten wir in einen russischen Hinterhalt. Ich verlor 80 Freunde. Mein schlimmster Tag. Ich habe das Militär verlassen, weil meine Mutter einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall zur gleichen Zeit hatte – und ich niemanden mehr für die Kinder.
Yuliia (42 Jahre alt, drei Kinder) arbeitet in der Veteranenorganisation für Frauen, einem Zusammenschluss von mehr als 2.000 Frauen. „Die meisten konnten nicht glauben, dass so etwas im 21. Jahrhundert möglich ist. Ich bin 2013 und 2014 extra aus Luhansk auf den Maidan gekommen, um zu sehen, was überhaupt passiert. Ich bin ein sehr praktischer Mensch, ich muss selbst sehen. Einen Monat lang war ich aus Luhansk weg und kehrte dann zu meinen Kindern zurück. Im Sommer 2014, nachdem ich meine Mutter mit den Kindern in Sicherheit gebracht hatte, schloss ich mich dem Bataillon Aigner an und war für den Nachschub zuständig. Am 5. September 2022 gerieten wir in einen Hinterhalt der Russen und verloren viele Männer. Es war mein schrecklichster Tag. Ich verlor mehr als 80 Freunde.
Dann traf ich in Gefangenschaft meinen Ehemann. Das habe ich kein einziges Mal bereut.
Meine Kinder waren damals drei und vier Jahre alt. Sie waren sehr verängstigt. Alina hatte noch fünf Jahre lang Panik, wenn sie ein Flugzeug hörte. Als 2022 das erste Flugzeug über unserem Haus zu hören war, verkroch sie sich und versteckte sich eine Woche lang wie eine Maus. Yaroslav liebte seinen Vater sehr, der in den besetzten Gebieten blieb. Ihm ging es nicht gut.
Arthur hat sich schnell angepasst. Freunde, Computer, das ging ganz gut. Wir mussten oft umziehen und die Schulen wechseln, aber sie haben sich gut angepasst. Und jetzt können sich alle Kinder organisieren wie in der Armee. Es tat mir weh, als meine Kinder im Kindergarten statt Blumen und Bäumen Checkpoints zeichneten. Sie haben mir nicht übel genommen, dass ich zwei Jahre an der Front war. Ich habe versucht, das mit ständigen Anrufen auszugleichen. Es geht um Emotionen – und zu Weihnachten ist es ein Strudel von Emotionen.
Yaroslav ist jetzt 16, er baut Drohnen und möchte unbedingt Soldat werden. Alina will Journalistin werden. Arthur, der Älteste, ist 22 Jahre alt. Er hatte die Möglichkeit zu gehen, aber er wollte bleiben.
Vor dem Krieg war ich Lehrerin im Haus der Kreativität, danach Buchhalterin. Mein Großvater wollte, dass ich in die Armee gehe. Wir haben eine Cousine, die in der israelischen Armee war, und darauf war er stolz. Ich habe einen leiblichen Bruder, der hat die andere Seite gewählt. Er lebt derzeit in Moskau.
Am 5. September 2014, also während der Amtszeit von Poroschenko, trat um 17 Uhr ein Friedensabkommen in Kraft. Russen kamen zu unserem Kontrollpunkt und erschossen unsere Jungs. Die Propaganda in den besetzten Gebieten beginnt im Kindergarten. Dort sind wir Nazis, Faschisten, aber keine Ukrainer.
Es sind so viele meiner Kameraden gefallen. Ich lösche niemals ihre Nummern. Ich möchte mich an sie als Lebende erinnern.
Ich habe das Militär verlassen, weil meine Mutter es nicht mehr ertragen konnte. Sie hatte einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall zur gleichen Zeit. Deshalb hatte ich keinen mehr für die Kinder.
Heute werden viel mehr Leute mobilisiert als 2014, aber die Motivation der Neuen ist gleich null.
Meine Mutter hat ihr ganzes Leben in ihrem Haus verbracht. Jetzt schiebt sie mir die Schuld zu, dass sie woanders ist. Viele Jahre habe ich niemandem die Dokumente gezeigt, die mich als Veteranin ausweisen, weil immer wieder gesagt wurde: „Du bist eine schlechte Mutter!” Es wurde unangenehm, weil man auch die Worte hört, die eigentlich hinter deinem Rücken gesprochen werden.
Dieses Jahr konnte ich dank eines staatlichen Programms eine Dreizimmerwohnung in Kiew kaufen. Meine Kinder haben ein Zuhause.
Die Bewegung der Veteranen wurde von meinen Schwestern ins Leben gerufen. Adriana hat 2021 drei Tage lang mit mir geredet, und der ganze Schmerz kam heraus. In dieser Gemeinschaft von 60 Veteranen empfand ich keine Scham. Danach kamen immer neue Frauen hinzu. Als 2022 alles begann, waren wir schon da. Alle haben geholfen. Du fragst etwas im Chat und bekommst eine Antwort. Nie hat jemand jemanden verurteilt.
Im Jahr 2022 wurde ich in Kiew behandelt. Katherina, die in diesem Fall die Fragen übersetzt hat und früher bei Vitsche in Berlin gearbeitet hat, hatte mir vorgeschlagen, Managerin der Gemeinschaft zu werden. Ich hatte große Angst, weil ich vorher acht Jahre zu Hause gesessen hatte. Man hat den Eindruck, etwas am Stand der Gesellschaft zurückgeblieben zu sein. Es gibt neue Technik, neue Worte. Katharina sagte: „Du wirst alles lernen.” Ein Monat lang habe ich ein Praktikum gemacht. Brauchst du das? Brauchst du das nicht? Ich war im Streit mit mir selbst.
Jetzt bedanken sie sich bei mir, dass ich die Managerin bin. Das sagten sie dauernd. Sie sehen mich als jemanden, der weiß, wovon sie sprechen.
Unsere Bewegung VETERANKA betreibt alles zur Zusammenarbeit. Wir haben über militärische Fachrichtungen für Mädchen gebloggt. Wir bloggen über Drohnen und kaufen leichte Schutzwesten. In der Werkstatt nebenan werden Uniformen geschneidert, die den Mädchen (also jungen Frauen) passen.
Außerdem helfen wir bei der Anpassung nach der Entlassung, bieten psychologische Hilfe an, schicken zur Erholung weg und bieten Weiterbildungskurse an. Unsere Gemeinschaft zählt inzwischen mehr als 2.000 Frauen. Das sind Frauen mit Kampferfahrung. Jeden Tag werden es mehr. Es tut mir weh, dass die Welt nicht ausreichend hilft. Manchmal scheint es, als wären wir nur ein Übungsplatz für Waffentests und man wartet ab, ob wir es aushalten oder nicht. Ich sehe, wie unsere Jungs sterben.
Wir erweitern unsere Gemeinschaft. Kürzlich waren wir in Winnyzja, wo Aspekte auftauchten, über die wir uns noch gar keine Gedanken gemacht hatten.
Es gab Orte, an denen es keine Schweigeminute und keine angemessene Ehrung für unsere Helden gab. Wir schreiben Politiker und die Verwaltung an. Die meisten Veteraninnen wollen nicht in ihren alten Job zurück, sondern sich weiterentwickeln. Deswegen helfen wir ihnen dabei, Stipendien zu erhalten. Wir stehen ihnen bis zur vollständigen Unabhängigkeit zur Seite, damit sie das Selbstvertrauen entwickeln, sich und ihre Familien selbst zu versorgen.