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Jenin, Brennpunkt der Gewalt

Malte Ian Lauterbach berichtet für Berlin Story News aus dem Westjordanland über die Situation in Jenin und dem naheliegenden Flüchtlingslager, wo es jeden Tag zu Gefechten kommt, wo 20.000 Leute auf einer winzigen Fläche in Armut und ohne Hoffnung leben.

Israel, 23.11.2022.

Zwei heftige Explosionen erschüttern mit wenigen Minuten Abstand Jerusalem. An zwei Bushaltestellen explodieren Sprengsätze, ein 16-jähriger Jude aus Kanada wird tödlich verwundet und verstirbt noch am selben Tag in einem Krankenhaus in Jerusalem. Ein weiterer verstirbt wenige Tage nach dem Anschlag an seinen schweren Verletzungen.

Dutzend weitere schweben viele Tage später noch in Lebensgefahr, schwer verwundet durch das Schrapnell der Bomben, die nach Aussage eines Sprechers der israelischen Armee „extrem hohe“ Qualität hatten. Knapp 80 Kilometer entfernt, in der palästinensischen Stadt Jenin, liegt ein junger israelischer Druse im Krankenhaus auf Intensivstation. Sein Vater und engste Familie sind mit ihm im Raum, als sie auf dem Flur tumultartige Geräusche wahrnehmen. Sein Vater begibt sich zur Tür, als plötzlich zehn schwer bewaffnete Männer in das Zimmer eindringen, den jungen Mann von seinen lebenserhaltenden Instrumenten abtrennen und ihn in das naheliegende Flüchtlingslager entführen.
An dieser Stelle trennen sich die Narrative – die israelische Armee insistiert, der Mann wäre bereits im Krankenhaus verstorben. Die Familie beschreibt jedoch, dass der Mann noch gelebt hätte, als die lebenserhaltenden Instrumente abgetrennt wurden.
Die zehn Männer gehören zu der Gruppe Islamischer Dschihad in Palästina (PIJ), die im Frühling des Jahres 19 Israelis in der schlimmsten Terrorwelle seit der zweiten Intifada tötete. Im August feuerte die Gruppe mehr als 2000 Raketen auf den Süden des Israel ab. Seit der Terrorwelle Anfangs des Jahres hat die israelische Armee ihre Aktivität in der Westbank deutlich verstärkt, quasi jeden Tag kommt es zu Verhaftungen und Gefechten in den Straßen.
Die beiden – eng miteinander verknüpften Ereignisse – schocken das ganze Land, ohne Ausnahme. Nicht nur der Sprengstoffanschlag mit extremer Präzision, der explizit gegen orthodoxe Juden gerichtet waren, sondern auch die Entführung in Jenin besorgen insbesondere das Militär. Ein Offizier der Armee, der am Abend mit mir spricht, vergleicht die Ereignisse in Jenin mit denen während der zweiten Intifada, einer schmerzhaften Zäsur für Israel und den Offizier selbst, der bei Gefechten verletzt wurde und wochenlang im Krankenhaus lag.
Schon lange war die Lage in der Region nicht mehr so angespannt wie an diesem Abend.

Schild auf der Straße nach Jenin


Am selben Abend erscheint in den sozialen Medien ein kurzer Videoclip, in dem fünf vermummte Männer der Kamera ihre Waffen präsentieren. Der kurze Einspieler mit arabischer Musik wird unterbrochen, und einer der Männer deklariert auf Arabisch, dass wenn der Palästinensische Jihad den Leichnam nicht ausliefern würde, Jenin auf die Grundmauern niedergebrannt werden würde.
Auch sie erinnern sich an die blutigen Tage der letzten Dekade, als Palästinenser die Leiche eines israelischen Soldaten durch die Straßen Ramallahs zogen, nach dem sie ihn brutal zu Tode gefoltert hatten.
Ob es diese Drohungen oder die hastigen israelischen Gespräche mit Palästinenserführer Abbas waren, die dafür sorgten, dass die Leiche noch vor Sonnenaufgang ausgeliefert wurde, weiß im Grunde nur die Zeit. Noch am selben Morgen wird der junge Mann begraben, er wäre wenige Tag später 18 geworden.
Ein dunkler Tag für Israel und den ganzen Nahen Osten.
Kurz vor diesen Ereignissen war ich, eigentlich im Rahmen meiner Recherche zu der Artikelserie „Spuren des Terrors“ selbst in Jenin und dem besagten Flüchtlingslager, auch an besagter Bushaltestelle habe ich auch schon gewartet, wie tausende andere auch. Um zu erklären, wie es zu den Ereignissen in Jenin kommen konnte, muss man nur einen Blick auf die Situation vor Ort werfen.

Nablus, Westjordanland. 10.11.2022

„Also, eigentlich ist die Situation ganz einfach. Die töten einen unserer Männer, wir töten einen ihrer Männer. So ist das Leben“, meint der Taxifahrer lachend, als ich ihn auf einen Anschlag auf einen Grenzübergang im Norden des Landes anspreche. Ein oder mehrere Männer hatten am vorherigen Abend mit einem schweren Maschinengewehr das Feuer eröffnet, neben leichten Schäden an einem Gebäude war niemand zu Leide gekommen. Mit wir, erklärt er mir wenig später, meint er die Gruppe Islamischer Dschihad in Palästina (PIJ), eine Gruppierung, die 1987 im Gazastreifen entstanden war, die in den vergangenen Monaten mehrere Anschläge auf Zivilisten und Soldaten in Israel durchgeführt hatte, bei denen mehr als 20 Leute ums Leben gekommen waren. Mit die meint er die israelische Armee, die regelmäßig im Westjordanland mutmaßliche Mitglieder des Islamischer Dschihad in Palästina verhaftet, die Anschläge in Israel geplant oder durchgeführt hatten oder durch andere Kriterien auffällig geworden waren.

Qalandiya im Westjordanland – im Hintergrund ausgebombte Gebäude, im Vordergrund Verkehrschaos.

Der langsam untergehenden Sonne entgegen sind wir auf dem Weg in die palästinensische Stadt Nablus. An uns vorbeizieht eine Mischung aus Geschäften, an denen gehäutete Kühe zum Kauf angeboten werden, Männern, denen die Sonne tiefe Falten ins Gesicht und die Armut Löcher ins Gebiss gebrannt hat; brennenden Müllbergen begleitet von eingestürzten oder anders zerstörten, aber weiterhin bewohnten Gebäuden und im totalen Kontrast dazu, einem Sportwagenhandel, der teure Sportwägen verkauft, die mehr kosten als 99.9 % der Einwohner in ihrem Leben verdienen werden.

In wenigen Regionen ist das Gefälle zwischen Arm und Reich so extrem und so deutlich zu erkennen wie hier. Kein Wunder, dass die palästinensische Regierung, die aus der reichen Stadt Ramallah regiert, hier kaum Fuß findet.

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Nablus wurde vor knapp 2000 Jahren von den Römern gegründet und in der historischen Altstadt reihen sich Sandsteinbauten aus der Hochzeit des islamischen Reichs und der Römer aneinander.
Nablus selber gilt als eins der kommerziellen und kulturellen Zentren des Westjordanlands, mit einer international bekannten Universität und gigantischen Einkaufszentren.

Einkaufszentrum in Nablus


Diese scheinbare Idylle bricht jedoch bei genauerer Beobachtung schnell auseinander. Quasi täglich kommt es zu Gefechten auf den Straßen der Altstadt und erst kürzlich gab es einen versuchten Anschlag auf eine Gruppe Pilger, der in letzter Sekunde vereitelt wurde, weil die Sprengladung des Attentäters nicht explodierte.
Nach 21 Uhr wird es in Nablus auf den Straßen leerer, die Straßen teilen sich vereinzelte Gestalten mit den Ratten, die mit ihren büschigen Schwänzen die Mülleimer nach Verwertbarem durchwühlen.

Die andere Seite von Nablus: Auf den Straßen Müll und Ratten

„Wir gehen bei Nacht nicht mehr raus, es ist einfach nicht sicher genug“, erklärt mir ein Mann, der ein kleines Hotel in Nablus führt. Auch bei ihm wird es leerer, nur noch wenige Touristen kommen nach Nablus und bleiben über Nacht. Insgesamt hat sich die Sicherheitslage in Nablus sowohl auf die örtliche Bevölkerung als auch auf die Wirtschaft der Stadt nachteilig ausgewirkt.

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Erklärung: Westjordanland, West Bank, Palästina und Siedlungen

Bei Palästina und dem Westjordanland handelt es sich um zwei unterschiedliche Gebiete, auch wenn sie oft verwechselt und austauschbar verwendet werden. Palästina ist ein historischer und politischer Begriff, der sich auf die Region bezieht, die früher als britisches Mandatsgebiet Palästina bekannt war. Der Begriff wird von Palästinensern häufig verwendet, um das Land zu bezeichnen, das sie als ihr Heimatland betrachten.
Das Westjordanland hingegen ist eine geografische Region am Westufer des Jordans. Das Westjordanland gehört zu den Gebieten, die nach dem Sechstagekrieg 1967 von Israel besetzt wurden, und steht derzeit zum Teil unter israelischer Militärkontrolle. Im Westjordanland befinden sich viele palästinensische Orte, darunter auch das Flüchtlingslager Jenin und Nablus, sowohl als auch israelische Siedlungen, die insbesondere in den letzten Jahren wiederholt für Konflikte gesorgt haben.
Der Konflikt über die israelischen Siedlungen im Westjordanland rührt daher, dass das Land von den Palästinensern als integraler Bestandteil eines künftigen palästinensischen Staates betrachtet wird. Die israelische Regierung hat jedoch jüdischen Siedlern erlaubt, im Westjordanland Häuser zu bauen und Gemeinden zu gründen, was zu Spannungen und Konflikten mit der palästinensischen Bevölkerung geführt hat.

Eine der größten Herausforderungen bei der Lösung des Konflikts um die israelischen Siedlungen im Westjordanland ist die Tatsache, dass sowohl Israelis als auch Palästinenser eine historische und religiöse Verbindung zu dem Land beziehen.
Es gibt eine Reihe von Gründen, warum sich jüdische Siedler im Westjordanland niederlassen. Einige sind religiös motiviert und wollen in dem Land leben, das dem jüdischen Volk heilig ist. Andere wiederum fühlen sich von der Idee angezogen, eine neue Gemeinschaft in einem überwiegend jüdischen Gebiet aufzubauen. Einige jüdische Siedler werden auch durch politische Erwägungen und den Wunsch motiviert, die israelische Kontrolle über das Westjordanland durchzusetzen. In einigen Fällen sehen die Siedler das Westjordanland als einen strategischen Standort, der für die Verteidigung Israels wichtig ist.

Der Unterschied zwischen Palästina und dem Westjordanland ist wichtig, weil er die komplexe politische Situation in der Region verdeutlicht. Palästina ist ein symbolischer und emotionaler Begriff, der tief in der nationalen Identität des palästinensischen Volkes verwurzelt ist. Das Westjordanland hingegen ist eine bestimmte geografische Region, die zum Teil von Israel kontrolliert wird. Das Verständnis des Unterschieds zwischen diesen beiden Begriffen ist wichtig für das Verständnis des Konflikts in der Region und kompliziert genug, dass sich dazu eine ganze Artikelserie schreiben ließe.

Lions Den
Auch an diesem Abend findet Nablus keinen Frieden, immer wieder hallen Schüsse durch die Nacht und die Mündungsblitze von Gewehrfeuer erleuchten den Nachthimmel.
In der Altstadt wacht ein Mann und sein schweres Maschinengewehr von dem Dach eines uralten Gebäudes über die uralten Straßen. Er gehört zu der Gruppe Lions’Den, die in Nablus besonders aktiv ist.

„Gedenkstein“ in Nablus Altstadt


Lions’Den gilt als neue Gruppierung, die sich erst im Juni dieses Jahres nach Gefechten mit israelischen Truppen formierte. Bei vielen jungen Leuten in Nablus ist Lions’Den beliebt, quasi jeder hat schonmal ein Video von ihnen auf TikTok gesehen. Die Altstadt von Nablus säumen Plakate, die ‚Märtyrer‘ für Lions’Den propagieren.
Diese Plakate sind alle gleich, junge Männer, bewaffnet mit Gewehren und oft dem klassischen Keffiyeh, das schon ihre Großeltern in dem gleichen Konflikt getragen haben und einem stoischen Blick. Sie alle sind entweder tot oder in israelischer Gefangenschaft.

Banner in Nablus
Plakate in der Altstadt


Auch diese jungen Männer hatten Familie, Träume, Hoffnungen und so viel mehr.

Ich wollte dem – aus meinen Augen sinnlosen – Konflikt einen Sinn geben, verstehen, warum junge Männer sich so leicht radikalisieren lassen, und sterben für einen Konflikt, den sie selber nicht überblicken können, der angefangen hat, lange bevor sie auf die Welt gekommen waren.
Ein Bekannter sagte einst zu mir „In situ veritas – Vor Ort, die Wahrheit.“ Wenn man Kontext über Entwicklungen in der Welt haben will, muss man sich selber vor Ort begeben. Meine Kontakte in der Region hatten mir geraten, mich mit dem Büro der Vereinten Nationen im Flüchtlingslager in Jenin zu treffen und mit ihnen über die Situation vor Ort zu reden.

So machte ich mich am nächsten Morgen auf die Suche nach der “Wahrheit”.

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Jenin, 24.11.2022

Meine Ansprechpartner bei der UNRWA – dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, erzählten mir über die Lage im Flüchtlingslager in Jenin.

Sie sprachen von einer „humanitäre Katastrophe“ und während meiner Fahrt durch das Lager ließ sich dies leicht nachvollziehen – die Hoffnungslosigkeit, die in der Luft lag, war quasi mit Händen zu greifen.

Das Lager, in dem 23.000 Menschen auf weniger als einem halben Quadratkilometer leben, ist überfüllt und es fehlt an grundlegenden Dienstleistungen wie sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Die meisten Menschen sind verarmt, und mehr als ein Drittel besitzen keine Arbeit.
Auch an anderer Infrastruktur mangelt es, viele junge Menschen im Lager haben keinen Zugang zu Bildung und sind der Gefahr ausgesetzt, leicht von extremistischen Gruppen rekrutiert zu werden. Für über 3000 Jugendliche gibt es vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten geleitete Schulen, die aber überwiegend stark überfüllt sind.
So sprach ich mit Samir (Name geändert), der in dem Lager lebt. Er erzählte mir, dass er alle Hoffnung und Träume von einer besseren Zukunft verloren hat. „Hier gibt es keine Zukunft für uns“, sagte er mit vor Rührung erstickter Stimme. „Wir haben keine Chancen, keine Ausbildung, keine Arbeit. Wir sind hier wie gefangen, leben in Angst und Armut“.

Flüchtlingslager in Jenin

Der palästinensisch-israelische Konflikt dauert schon seit Jahrzehnten an, aber die Schlacht um Jenin im Jahr 2002 führte endgültig zur Radikalisierung der Bewohner im Lager. Die zunehmende Gewalt und die terroristischen Anschläge in der Region haben dazu geführt, dass sich viele Bewohner des Lagers verängstigt und verletzlich fühlen.
Das Lager selbst entstand 1953, um palästinensischen Flüchtlingen, die während des arabisch-israelischen Krieges 1948 vertrieben wurden, eine vorübergehende Unterkunft zu bieten. Im Laufe der Zeit wurde das Lager zu einer dauerhaften Siedlung und ist heute eines der größten Flüchtlingslager im Westjordanland.

Kontext: Schlacht von Jenin

Die Schlacht von Jenin fand im April 2002 während der zweiten Intifada statt. Die durch eine israelische Militäroperation im Flüchtlingslager Jenin ausgelösten Kämpfe, in dem sich die de facto Hochburg militanter Palästinenser befand, dauerten mehrere Tage an. Durch die heftigen Kämpfe kam es auf beiden Seiten zu schweren Verlusten.
Im Nachhinein löste die Schlacht eine Kontroverse und internationale Verurteilung aus, da die israelische Armee beschuldigt wurde, übermäßige Gewalt angewendet zu haben und Opfer unter der Zivilbevölkerung verursacht hatte. Am Ende des Kampfes waren große Teile des Lagers zerstört.
Schlussendlich fand eine Untersuchung der Fakten durch die Vereinten Nationen, dass es keine Beweise für ein Massaker gab, dass aber einige IDF-Aktionen möglicherweise gegen das Völkerrecht verstoßen hatten. Die Schlacht hatte erhebliche Auswirkungen auf den Konflikt und verschärfte die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern weiter. Auch in israelischer Militärdoktrin stellte die Schlacht einen Wendepunkt dar, da man seit heutzutage städtische Operationen in umkämpften Gebieten als deutlich gefährlicher ansieht.

Das Lager ist auch heute immer noch Hochburg und Heimat von terroristischen Milizen und Schmugglern und ist daher häufig Ziel israelischer Militäroperationen.
Die Lage in Jenin ist so angespannt, dass die Ansprechpartner der UNRWA den „24/7-Notstand“ ausgerufen haben, denn durch die mangelnde Infrastruktur ist das Lager zu einem Nährboden für Gewalt und Radikalisierung geworden, auch für Gruppen wie den Palästinensischen Jihad. Ohne wirksame Kontrolle durch die palästinensischen Behörden und die IDF erschwert es auch den humanitären Organisationen, den Bewohnern des Lagers Hilfe zu leisten. De angespannte Lage sorgt oft dafür, dass die Menschen im Lager nervös und misstrauisch gegenüber Außenstehenden sind und unbekannte Personen schnell für israelische Spione gehalten werden. So war mir das Fotografieren im Lager selbst nur verdeckt, mithilfe einer schwarzen Mülltüte möglich.

Die Hoffnungen und Träume der Bewohner des Lagers selbst sind deutlich – eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder. Immer wieder wird verwiesen auf die israelische Armee und ihre Operation. Fest manifestiert ist hier der Glauben, dass Frieden nur ohne israelische Einmischung und durch die Bereitstellung von Arbeit und Hoffnung erreicht werden kann.

Aber auch die palästinensische Autonomiebehörde wurde für ihre Untätigkeit und mangelnde Unterstützung für die Bewohner des Lagers kritisiert, auch hier kennt man die Bilder des Wohlstandes aus Ramallah. Ein weiterer Bewohner des Lagers erzählte mir, sie wären enttäuscht von Abbas und seinen Leuten, denn sie würden die Leute in Jenin als “Ratten im Dreck” ansehen.
Auch die Vereinten Nationen haben sowohl die Palästinensische Autonomiebehörde als auch die israelische Regierung aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um die Situation im Lager zu verbessern und auf die Bedürfnisse der Bewohner einzugehen.
Es ist klar, dass sich die Lage in Jenin ohne dringende Maßnahmen nur weiter verschlechtern und der Kreislauf von Gewalt und Radikalisierung weitergehen wird – tragische Ereignisse wie die Entführung im Krankenhaus sind nur ein weiterer Teil in der endlosen Gewaltspirale.

Trotz der Herausforderungen und Entbehrungen, mit denen die Bewohner des Flüchtlingslagers in Jenin konfrontiert sind, gibt es noch Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die nur durch internationale Zusammenarbeit möglich ist. Auch die Palästinensische Autonomiebehörde und die israelische Regierung müssen Maßnahmen ergreifen, um die Situation im Lager zu verbessern und den Bewohnern die notwendige Unterstützung und Hilfe zukommen zu lassen – der erste Schritt wäre engere Kooperation zwischen der israelischen Regierung und der Palästinensischen Autonomiebehörde, um humanitäre Maßnahmen zu ermöglichen und richtig zu koordinieren.

Ein Gespräch entlang des Gemüsemarktes – Hoffnung, Hummus und Humor.

Nach meinem Treffen mit dem UN-Hilfswerk hatte man mir geraten, mich in den belebten Straßen Jenins umzuschauen. Quasi nicht zu übersehen – und zu überhören – war der Lebensmittelmarkt in Jenin, ein lebendiger und geschäftiger Ort, erfüllt von den Geräuschen schreiender Verkäufer und dem Duft von frischem Obst, Gemüse und Backwaren. Selten habe ich einen Ort gesehen, der so durchdrungen war von Lebe. Auch hier fiel ich als Außenstehender schnell auf – schnell sprach sich in der eng gestrickten Stadt herum, dass ich als deutscher Journalist über Jenin schrieb. Neben den täglichen Geschäften dient der Markt auch als Austausch für Nachrichten und Gerüchten.

Geschäftiges Treiben in Jenin.

So traf ich Said (auch dieser Name ist geändert), einen Mann, der in Jenin geboren wurde und, so meinte er, hoffentlich auch dort sterben würde, an seinem Gemüsestand.
Wir setzten uns zusammen und tauschten bei einem Teller Hummus und Pita Geschichten aus, und trotz unserer Unterschiede – und der Sprachbarriere – fanden wir Gemeinsamkeit in unserem Lachen und der Lebendigkeit des Marktes.

Said erzählte mir von seinen beiden Söhnen, von dem der eine in dem anhaltenden Konflikt getötet worden war und der andere auf der Suche nach einem besseren Leben in den Libanon gezogen war. Seine Augen waren voller Traurigkeit, als er von seinen verlorenen Angehörigen sprach, und erzählte, wie leise es in seinem Haus geworden war.

Said an seinem Gemüsestand in Jenin. (Name geändert)


Auch er erwähnte die Gewaltspirale, sprach mit ruhiger Stimme über die Konflikte zwischen Israelis und Palästinensern und zusammen stellten wir fest, dass alle Beteiligten immer nur die Gewalt der anderen sehen. Kaum jemand, so merkten wir, hat die Chance, sich bei Hummus und Pita über die jeweilige Situation zu unterhalten.
Als es am Nachmittag für mich Zeit zu gehen war – die Situation war im Laufe des Tages instabiler geworden, machte ich mich auf den Weg, aus der Stadt heraus. Ich passierte den israelischen Kontrollpunkt ohne Zwischenfälle, und ich beobachtete, wie die Soldaten ihre eigenen Witze erzählten und miteinander scherzten.
Im Grunde genommen, so wurde mir klar, vereint der Humor alle Menschen. Wenn sonst nichts mehr bleibt, bleibt Geschichten erzählen.

Checkpoint in Jerusalem.

Fazit

Trotz den beiden tragischen Ereignissen in Jenin und Jerusalem geht das Leben im Nahen Osten weiter, täglich kommt es zu Gefechten zwischen der israelischen Armee und verschiedenen Milizen, immer wieder sterben Zivilisten in dem Konflikt. Und bis sich die Lage in Jenin nicht drastisch ändert, werden dort immer noch jeden Tag Menschen radikalisiert werden. Jeden Tag werden Menschen in Betracht ziehen, sich dem „Heiligen Krieg“ anzuschließen. Einfach, weil sie keine anderen Möglichkeiten mehr sehen, weil Armut und der Konflikt ihnen alles genommen hat.

Der Autor bedankt sich bei der UNRWA und diverse palästinensische Journalisten, die geholfen haben, für diesen Artikel zu recherchieren und sich darum gekümmert haben, dass er in Jenin überhaupt fotografieren und recherchieren durfte.

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