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Rede von Außenminister Heiko Maas vor dem Deutschen Bundestag zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der militärischen Krisenbewältigungsoperation der EU im Mittelmeer EUNAVFOR MED IRINI

Wir reden heute viel von Social Distancing, von Physical Distancing. Mittlerweile gibt es auch so was wie Reality Distancing. Mit Letzterem meine ich, dass eine Krise, ein Krieg, ein Konflikt – davon gibt viel zu viele auf der Welt – nicht verschwindet, nur weil sich das Scheinwerferlicht der internationalen Aufmerksamkeit verlagert. Ganz im Gegenteil: Die Coronapandemie droht, gerade die globalen Krisenherde zu ganz besonders gefährlichen Infektionsherden zu machen, und das im wahrsten Sinne des Wortes in allen Beziehungen. Selbst jetzt, wo das Coronavirus Kämpfer und Zivilisten gleichermaßen bedroht, geht etwa der Konflikt in Libyen mit unverminderter Härte weiter und erschwert die Pandemiebekämpfung, und zwar mit unkalkulierbaren humanitären und politischen Konsequenzen.

Meine Damen und Herren, wenn man sich anschaut – und das trifft ja nicht nur für Libyen zu, sondern das trifft auch für Syrien zu und das trifft auch für Afghanistan zu -, dass es auf der Welt anscheinend einige gibt, die diese Krise nutzen wollen, um in dem Konflikt, in dem sie engagiert sind, militärische Vorteile zu erzielen, dann kann man das nicht anders als pervers bezeichnen. Deshalb sollten all diejenigen, die versuchen, die Coronakrise auszunutzen, um militärische Fakten zu schaffen, wissen, dass die internationale Staatengemeinschaft nach der Krise nicht bereit sein wird, diese Fakten anzuerkennen.

Meine Damen und Herren, das gilt auch für Libyen. Man muss in aller Offenheit sagen, dass sich die Erwartungen, die wir angesichts der Libyen-Konferenz in Berlin und des Berliner Prozesses insgesamt hatten, in den letzten Wochen und Monaten nicht erfüllt haben. Die Coronakrise – das Virus verbreitet sich auch in Libyen mit rasender Geschwindigkeit – hat daran ihren Anteil.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn all diese Probleme, die es gibt, und all die Dinge, die nicht umgesetzt worden sind, zu beklagen sind, will ich trotzdem darauf hinweisen – es gibt viele, die jetzt diskutieren: Ist dies das Ende des Prozesses? nein, das ist es nicht -: Wir haben bei Weitem nicht all das erreicht, was wir erreichen wollten, aber es gibt Dinge, die umgesetzt worden sind. Und die sollte man noch einmal erwähnen.

Trotz der Coronakrise hat das internationale Follow-up-Komitee der Berliner Konferenz längst seine Arbeit aufgenommen, auch wenn in der Coronakrise physische Treffen nicht mehr möglich sind. Es gab dazu gerade erst Anfang dieses Monats ein virtuelles Treffen.

Es hat auch Verhandlungen gegeben, und zwar zwischen den libyschen Konfliktparteien: über einen Waffenstillstand, über wirtschaftliche und politische Themen. Die Komitees, die wir bei der Konferenz vereinbart haben, sind einberufen worden. Und sogar zum Waffenstillstand liegt ein beschlussfähiges Papier vor, bei dem nur noch die Unterschriften beider Seiten fehlen.

Letztlich, meine Damen und Herren, sind auch beim Treffen der Außenminister am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz die einzelnen Schritte weiter konkretisiert worden, und es wird weiter an ihnen gearbeitet.

Dennoch – auch das muss man sagen -: Wenn man regelmäßig bei solchen Treffen dabei ist und Leuten gegenübersitzt, die Verstöße gegen das Waffenembargo beklagen, aber man ganz genau weiß, dass sie diejenigen sind, die gegen das Waffenembargo verstoßen, dann hat man irgendwann die Nase voll von all diesen Lippenbekenntnissen.

Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt Instrumente schaffen, die effektiv geeignet sind, dieses Waffenembargo besser zu überwachen. Das tun wir mit dieser Mission, über die wir heute diskutieren und entscheiden.

Meine Damen und Herren, die Europäische Union hat sich in den letzten Wochen nach zugegebenermaßen schwierigen Beratungen darauf verständigt, eine führende Rolle zu übernehmen. Dem dient die neue Mission Irini, die das Waffenembargo überwachen und Verstöße aufdecken soll. Darüber hinaus soll die Mission gegen den Ölschmuggel vorgehen und auch das grausame Geschäft der Menschenhändler stoppen. Darauf liegt das ganze Augenmerk auch bei der Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, als Initiator des Berliner Prozesses – und das sind wir von der Bundesregierung gewesen – tut auch Deutschland gut daran, sich an dieser europäischen Mission zu beteiligen, zunächst mit einem Aufklärungsflugzeug und Stabspersonal, später aber auch mit einem Schiff der Marine. Wenn wir darüber reden, wo wir Verantwortung übernehmen können oder dass wir mehr Verantwortung auf der Welt übernehmen müssen, ist dies ein Beispiel dafür, dass wir es tun, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Das ist nicht nur ein essenzieller Beitrag zur Stabilität in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, sondern es ist auch ein wichtiges Signal europäischer Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit, gerade in Zeiten wie diesen.

Meine Damen und Herren, bei alldem haben wir aber auch diejenigen im Blick, die am meisten unter dem Konflikt leiden: Es sind Zehntausende Flüchtlinge und die libysche Zivilbevölkerung. Über den UNHCR hat Deutschland deshalb in den letzten Jahren mehr als 40 Millionen Euro zum Schutz von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Hunderte besonders Schutzbedürftige – das wird teilweise in der aufgeregten Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr wahrgenommen – haben durch die Vermittlung des UNHCR einen sicheren Zufluchtsort in Deutschland gefunden, und die Aufnahme von 300 weiteren steht kurz bevor. Über den EU-Nothilfefonds für Afrika unterstützen wir mit mehr als 70 Millionen Euro die Arbeit von IOM und geben damit Hilfen bei der freiwilligen Rückkehr von Migranten und für Schutzmaßnahmen in Libyen.

Natürlich kann eine solche Hilfe das Leid der Menschen in Libyen bestenfalls lindern. Umso wichtiger bleibt deshalb der Einsatz für einen dauerhaften Frieden; denn wir wissen, dass all das, was wir dort tun und was wir humanitär umsetzen wollen, und all das, was wir zur Bekämpfung des Virus in Libyen beitragen wollen – entsprechende Angebote haben wir gemacht -, voraussetzt, dass vor Ort die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Und die Voraussetzung dafür ist, dass die Waffen schweigen. Mit der Libyen-Konferenz in Berlin haben wir dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Wir haben weiterhin viel Arbeit vor uns. Damit die Ergebnisse jetzt auch greifen, müssen wir vor allen Dingen die Einhaltung des Waffenembargos überwachen. Den Worten müssen endlich Taten folgen. Deshalb bitte ich Sie um die Unterstützung dieses Mandates.

Herzlichen Dank.

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