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Wir fanden deutsche Elektronik in russischer Shahed-Drohne

Im März wurde im Donbas eine im Iran entwickelte und in Russland in Lizenz gebaute Shahed-136 Drohne abgeschossen. Teile der Drohne wurden nun in Berlin von unseren Experten analysiert und werden anschließend in der Sonderausstellung im Berlin Story Bunker zu sehen sein.

Was die Experten fanden, war nicht überraschend, aber weiterhin interessant und relevant.

Das Rumpfteil einer Shahed-136-Drohne, die im Donbas abgeschossen wurde. Die Farbskala misst 10 Zentimeter.

Der Aufbau der Shahed-136 Drohne offenbart die komplexe Beziehung zwischen iranischer Innovation und westlichen Elektronikkomponenten, was eine Diskussion über die globalen Auswirkungen dieser Technologien und die Rolle internationaler Sanktionen entfacht hat.

Die Shahed-136 Drohne stellt eine signifikante Entwicklung in der Drohnentechnologie dar, charakterisiert durch ihre Einmal-Verwendung und ihre Fähigkeit, gezielt Bodenziele zu attackieren. Diese 2,5 Meter breite Drohne wiegt etwa 200 Kilogramm und ist für ihre Kamikaze-Missionen bekannt, wobei sie eine Last von bis zu 60 kg tragen kann, die bei Aufprall detoniert.

Die Rolle westlicher Elektronik in der Shahed-136

Das Bauteil „Onsemi NCP51530“ in der Shahed-136

Die Shahed-136 Drohne, auch bekannt als Geran-2, offenbart eine tiefgreifende Verflechtung mit westlicher Technologie, insbesondere in ihren elektronischen Komponenten. Etwa 80% der bisher gefundenen Komponenten kommen aus den USA, Japan, der Schweiz und Deutschland.

Die Hülle der Drohne besteht aus einer sehr leichten, aber stabilen Kohlefaser-Honigwaben-Struktur. Das ist derzeit der Stand der Technik bei allen fortschrittlichen Drohnenherstellern. Das zeigt, dass der Iran weiterhin am Puls der Zeit ist und in den vergangenen Jahrzehnten genau gelernt hat, mit Sanktionen zu leben.

Dies mag aus heutiger Sicht normal und naheliegend erscheinen. Als Deutschland noch geteilt war, sah man jedoch, wie die DDR permanent abgehängt war und mit veralteter Technik beeindrucken wollte. Die Welt ändert sich. Staaten erfolgreich zu sanktionieren und abzuhängen, ist kaum noch möglich.

Im Inneren der Elektronik der Shahed-136 finden sich viele westliche Bauteile. Viele davon haben keinen direkten Einfluss auf den Krieg und wären auch durch andere zu ersetzen. Es sind Artikel mit einem Wert von wenigen Cents, welche simple Aufgaben übernehmen.

Dennoch sollte man eigentlich keine westlichen Komponenten in Waffen finden, mit denen Russland Zivilisten in Europa tötet.

Infineon irfb4321 MOSFET
In der Shahed-136 fanden die Experten auch einen „Infineon irfb4321“-MOSFET

In der Drohne findet man unter anderem einen amerikanischen „Onsemi NCP51530“-Side Gate Driver. Dabei handelt es sich um ein kleines Bauteil, welches nicht viel mehr als ein besserer elektronischer Schalter ist.

Im Netzteil befindet sich auch ein sogenannter Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistor, kurz: MOSFET, (Infineon irfb4321) des deutschen Herstellers Infineon. Dieses kleine Bauteil wird verwendet, um elektrische Signale zu verstärken, zu schalten oder zu regeln.

Wir kontaktierten den Hersteller und baten um eine Stellungnahme.

Infineon: Einhaltung der Gesetze hat „sehr hohe Bedeutung“

Nach wenigen Stunden antwortete Infineon bereits ausführlich: „Infineon liefert keine Produkte oder Dienstleistungen an Iran und hat das auch in der Vergangenheit nicht getan. Die Einhaltung der geltenden Gesetze hat für Infineon eine sehr hohe Bedeutung, und wir haben zuverlässige Richtlinien und Prozesse zu ihrer Einhaltung eingeführt.“

Infineon sagt weiter: „Es ist äußerst schwierig, den Weiterverkauf eines Produkts über den gesamten Lebenszyklus hinweg zu kontrollieren. Dennoch haben wir umfassende Maßnahmen ergriffen, um die Einhaltung der Sanktionen nicht nur gemäß dem Wortlaut, sondern auch im Einklang mit ihrem Geist zu gewährleisten. Unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Infineon umfassende Maßnahmen ergriffen, um alle direkten und indirekten Lieferungen nach Russland zu stoppen; ungeachtet der rechtlichen Möglichkeit, bestimmte Geschäfte weiterzuführen.“

Infineon verließ Russland im März 2022. „Infineon hat alle Vertriebspartner weltweit angewiesen, verlässliche Maßnahmen zu ergreifen, die eine Lieferungen von Produkten bzw. die Erbringung von Leistungen im Namen von Infineon, die gegen die Sanktionen verstoßen, zu unterbinden. Diese klare Position hat Infineon mehrmals in Mitteilungen an die Vertriebspartner bekräftigt bzw. konkretisiert“, so das Unternehmen auf Anfrage.

Infineon-Bauteil in Drohne: Ein Skandal?

Netzteil einer Shahed 136 Drohne
Netzteil einer Shahed 136 Drohne

Das von Infineon gefundene Bauteil kostet im deutschen Einzelhandel für Endkunden ca. zwei Euro. Der Industriepreis dürfte also ein Bruchteil davon sein. Es gibt unzählige Hersteller, welche vergleichbare Bauteile liefern. Es ist vereinfacht, mit einem Lichtschalter zu vergleichen.

Wenn in einer russischen Militäranlage ein Lichtschalter eines deutschen Herstellers gefunden werden würde, wäre es auch unwahrscheinlich, dass der Hersteller mit dem Militär unter einer Decke steckt. Wahrscheinlicher ist, dass der Schalter einfach von einem Händler zum anderen ging. 

Der Aufbau des Netzteils, in dem das Infineon Bauteil steckt, deutet auch darauf hin, dass die Platine als Komplettbauteil so gekauft wurde. Vermutlich bei einem Hersteller in China, welcher die Einzelteile auf dem Weltmarkt kauft und dann sein Produkt nach den in China geltenden Regeln auf dem Weltmarkt anbietet. 

Was wir hier sehen, ist also kein Skandal, sondern die Auswirkungen der Globalisierung. Teile wandern. Am Ende kann man den Weg nicht mehr kontrollieren. Auch, wenn solche Bauteile sanktioniert und die Sanktionen durchgesetzt werden würden, dann würde Russland diese Teile einfach selbst bauen. 

Produktion der Shahed-136 in Russland

Die Produktion der Shahed-136 Drohnen findet hauptsächlich in den Einrichtungen der JSC Alabuga in Russland statt, mit Unterstützung aus dem Iran. Ab dem nächsten Jahr verpflichtet sich Alabuga, die Shahed-136 Drohnen mit elektronischen Komponenten auszustatten, die es eigenständig erwirbt.

Diese Entwicklung stellt eine erhebliche Bedrohung dar und sollte Regierungen dazu veranlassen, Sanktionen und andere restriktive Maßnahmen gegen Alabuga und verbundene Unternehmen zu ergreifen.

  • Produktionsstandorte und Kapazitäten:
    • Hauptproduktionsstätte: Alabuga Sonderwirtschaftszone in Yelabuga, Russland
    • Geschätzte Produktionskapazität: Bis zu 226 Drohnen pro Monat, mit einem Ziel von 6000 Drohnen bis September 2025
    • Aktuelle Produktionsphase: Zweite Phase mit einer geschätzten Ausgabe von 200 Einheiten pro Monat
  • Produktionsprozess:
    • Phase 1: Montage der von Iran bereitgestellten Drohnen vor Ort in den ersten Monaten des Jahres 2023
    • Phase 2: Übergang zur Produktion der Rumpfstrukturen vor Ort und Einrichtung von Produktionslinien für interne Komponenten
    • Phase 3: Ab 2024 Produktion weiterer wichtiger Komponenten, einschließlich interner Teile, vor Ort
  • Zusammenarbeit und Kosten:
    • Russland und Iran haben sich auf die Produktion der Drohne in Russland geeinigt, wobei der Iran Schlüsselkomponenten exportiert.
    • Kosten pro Drohne: Geschätzt auf 20.000 Dollar, wobei Russland für eine Charge von 6000 Einheiten 193.000 Dollar pro Stück gezahlt haben soll.

Die strategische Partnerschaft zwischen Russland und dem Iran zur Produktion der Shahed-136 Drohnen in der Alabuga SEZ unterstreicht die Notwendigkeit einer strengen internationalen Überwachung und Kontrolle. Die Beteiligung an der Herstellung solcher Drohnen, die in Angriffskriegen wie dem zwischen der Ukraine und Russland eingesetzt werden, erfordert eine kritische Auseinandersetzung mit den globalen Auswirkungen dieser Technologien.

Zukunft der Drohnentechnologie und internationale Sanktionen

Russische und iranische Drohnen, insbesondere die Shahed-136, werden zunehmend präziser und schwieriger zu bekämpfen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die Zukunft der Drohnentechnologie und die Auswirkungen internationaler Sanktionen zu betrachten.

Zeynep Balazünbül, eine in Berlin ansässige Autorin, diskutiert in ihrem Buch „Drohnentechnologie und moderne Kriegsführung. Bestandsaufnahme und Perspektiven“ ausführlich die Legalität bewaffneter Drohnen unter dem Ersten Zusatzprotokoll der Genfer Konvention. Unterstützt von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Open-Access-Publikationsfond der HTWK Leipzig, ist das Buch unter einer Creative Commons-Lizenz veröffentlicht, was den freien Zugang und die gemeinsame Nutzung mit angemessener Zuschreibung ermöglicht.

Die Schweizer Regierung hat derweil EU-Sanktionen gegen Russland implementiert, die unter anderem Verbote für Dual-Use-Güter, spezielle militärische Güter und Waren für die militärische und technologische Stärkung oder Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors, einschließlich Halbleiter, umfassen.

Diese Sanktionen zielen darauf ab, Russlands Fähigkeit, den Krieg zu finanzieren, zu reduzieren, indem etwa 300 Milliarden Euro an Reserven der russischen Zentralbank in der EU, anderen G7-Ländern und Australien blockiert werden. Die russische Wirtschaft wurde von den Sanktionen getroffen, mit einem geschätzten Schrumpfen des BIP um 2,1 Prozent im Jahr 2022 und einer Prognose für weiteres Schrumpfen im Jahr 2023.

Schlussfolgerung

Durch die technologische Entwicklung und den strategischen Einsatz der Shahed-136 Drohne in aktuellen Konflikten, insbesondere zwischen der Ukraine und Russland, wird die Bedeutung fortgeschrittener Drohnentechnologie unterstrichen. Die Verwendung westlicher Elektronikkomponenten in diesen Drohnen verstärkt die Probleme bei der Umsetzung von Sanktionen.

Es bleibt abzuwarten, wie die internationale Gemeinschaft auf diese Herausforderungen reagieren wird, insbesondere im Hinblick auf die Regulierung und Kontrolle von Technologieexporten, um sicherzustellen, dass Zukunftsszenarien nicht durch den Missbrauch solch mächtiger Technologien geprägt sind.

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