bsnInternationalIsraelNeuesNewsTerrorismus

Israel – Lage der Nation


Malte Ian Lauterbach berichtet für Berlin Story News über anhaltende Proteste über die geplanten Justizreformen in Israel, über Terroranschläge in Jerusalem, Raketenangriffe und tödliche Gefechte in Jenin.

Während in Deutschland sich die Medien hauptsächlich entweder mit dem großen Streitthema „Panzer für die Ukraine“ oder dem anderen großen Streitthema „Wahl in Berlin“ beschäftigen, war in Israel kein Thema in den letzten Wochen so dominierend und polarisierend wie die Justizreformen in Israel.

Während im Süden des Landes täglich Raketen aus dem Gazastreifen auf die israelische Stadt Sderot und die Umgebung gefeuert werden, kommen in Jenin und Nablus bei Gefechten zwischen israelischer Armee und Milizen regelmäßig oft unschuldige Menschen ums Leben. (Bericht über die Situation in Nablus und Jenin). Quasi täglich wird das Land von neuen Terroranschlägen erschüttert. Trauriger Fakt ist: Bis jetzt (Stand 13.2.2023) sind in Israel mehr als 13 Menschen bei Terroranschlägen ums Leben gekommen. Erst kürzlich verstarben drei Juden, zwei davon Kinder – 6 und 8 Jahre alt, nach einem Terroranschlag in Jerusalem.

Trotz des unruhigen Umfelds gehen Tausende von Bürgern auf die Straße, um ihren Widerstand gegen die vorgeschlagenen Justizreformen zu bekunden. So befinde ich mich an einem kalten Donnerstagabend auf einem Hotelbalkon in Jerusalem, als die Straße plötzlich mit den Geräuschen von fernen Trommeln erfüllt wird. Während sich die knapp 5000 Leute nähern, ist meine Begleitung in der Lage einzelne Sprechchöre zu verstehen. Wir eilen in den eiskalten Abend hinaus, ich schnappe mir auf dem Weg noch meine Kamera und wir ergreifen die Chance, um vor Ort mehr zu erfahren und ein paar Worte mit den Demonstranten zu wechseln.

Demonstratin in Jerusalem. In der Hand weht die Flagge Israels.


Eine Demonstrantin wählt drastische Worte – „Wir sind Zeugen des Todes einer Demokratie“ erzählte sie mir mit von Emotionen erfüllter Stimme. „Das alles haben wir 1933 schonmal gesehen – Zuerst werden sie die Gerichte angreifen, indem sie die Demokratie selbst benutzen“, warnt sie. „Dann werden sie die Meinungsfreiheit einschränken und dann die Leute selbst“. Ihre Worte spiegeln die Befürchtungen vieler Menschen in der Menge wider, die sich versammeln, um ihre demokratischen Rechte zu schützen und den Abbau des Systems der gegenseitigen Kontrolle in ihrem Land zu verhindern.

Die von Vizepremierminister und Justizminister Yariv Levin vorangetriebenen Änderungen am israelischen Justizsystem haben eine heftige Kontroverse ausgelöst. Viele Experten und Oppositionsführer warnen vor dem äußerst problematischen Charakter der Reformen. Im Kern gehen die Reformen um die Frage der gegenseitigen Kontrolle in einer demokratischen Regierung.

Insbesondere, weil Netanyahus Regierung in der Vergangenheit durch verschiedene Skandale geprägt war, werden die Änderungen, die der Regierung mehr Kontrolle über die Justiz geben, von vielen als eine Möglichkeit gesehen, die Unabhängigkeit der Justiz weiter einzuschränken.

Kritiker argumentieren, dass die vorgeschlagenen Reformen es der Regierung ermöglichen würden, Richter zu ernennen, die ihrer politischen Agenda eher zugeneigt sind, wodurch die Unparteilichkeit der Justiz gefährdet würde. Sie argumentieren auch, dass die Reformen die Fähigkeit der Gerichte untergraben würden, die Regierung für ihre Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen, was das Vertrauen der Menschen in die Institutionen des Staates weiter schwächen würde.

Darüber hinaus würden die vorgeschlagenen Änderungen der Knesset die Befugnis verleihen, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs mit einfacher Mehrheit außer Kraft zu setzen, und die Befugnisse der Rechtsberater der Regierung einschränken.

Die Reformen haben beträchtliche Gegenreaktionen ausgelöst und verwickeln das ganze Land in Diskurs. Staatspräsident Isaac Herzog wandte sich in einer besonderen Ansprache an die Nation und erklärte, Israel befinde sich „in schicksalhaften Tagen“. Er erklärte: „Wir werden alle verlieren, der Staat Israel wird verlieren“, und forderte beide Seiten auf, bei den umstrittenen Vorschlägen der Regierung zur Reform des Justizwesens keinen Nullsummen-Ansatz zu wählen. In seiner Rede betonte Herzog die tiefe Kluft in der Gesellschaft: „Es ist nicht mehr nur eine politische Krise, wir stehen am Rande des verfassungsrechtlichen und sozialen Zusammenbruchs.“ Er erklärte auch, dass er sich in den letzten Wochen unermüdlich um eine breite Einigung über die Reformen bemüht habe, jedoch ohne Erfolg. Herzogs Botschaft ist ein deutlicher Hinweis auf den Ernst der Lage und die weitreichenden Folgen der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen.

Darüber hinaus sind die vorgeschlagenen Reformen auf Widerstand aus dem Ausland gestoßen. Erst kürzlich gab US-Präsident Biden gegenüber der New York Times eine Erklärung ab, in der er die Bedeutung starker Institutionen und einer unabhängigen Justiz sowohl für Israel als auch für die Vereinigten Staaten betonte. Er betonte die Notwendigkeit, dass die Knesset zu einer gegenseitigen Einigung kommt.

Besonderen Dank an Catarina Candeas und Wesam Jawich, ohne die diese und weitere Artikel nicht möglich gewesen wären.

Werbung