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Russlands U-Bootflotte: Zwischen Rost und Radioaktivität

Als Tom Clancy 1984 den Roman „Jagd auf Roter Oktober“ schrieb, war die Welt eine andere. Deutschland – und die Welt – war zweigeteilt, der Macintosh war gerade herausgekommen und die ganze Welt würde bald die indische Stadt Bhopal kennen.

Akula-II U-Boot im Großen Belt (Quelle: Under Broen Facebook)

West- und Ostblockstaaten waren mit Wettrüsten beschäftigt und genau diese politische hochexplosive Atmosphäre beschreibt Tom Clancy perfekt. 

Mehr als 30 Jahre nach der Veröffentlichung des gleichnamigen Filmes mit quasi Kultstatus hat sich das Blatt gewendet, die weltweit größte U-Bootklasse Typhoon, die im Buch und Film die de facto Hauptrolle spielt, wurde beerdigt und die damals moderne Flotte ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Zwar ist die russische Marine auf dem Papier mit über 350 Schiffen und über 160.000 Mann immer noch die zweitgrößte Marine der Welt, die Realität ist jedoch eine andere. Viele ihrer Schiffe sind stark veraltet, das Durchschnittsalter der russischen Flotte beträgt mehr als 30 Jahre. Trotz der Modernisierungspläne der russischen Marine mag man sich fragen, ob die ehemals gefürchtete Flotte nicht nur noch eine Bedrohung für ihre eigene Besatzung darstellt.

In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts schuf die Sowjetunion (und ihr kleiner Bruder Russland) die größte nuklear betriebene Marine der Welt. Am Höhepunkt der militärischen Macht besaß die russische Marine 245 nukleare U-Boote und mehr als 90 U-Boote mit ballistischen Raketen mit nuklearen Sprengköpfe. Diese schiere Größe ist ein weiteres Beispiel für russische Doktrin – viele der U-Boote waren, als sie vom Stapel liefen, bereits veraltet. Ganz getreu dem uralten Konzept der Sicherheit in Massen, war sich die sowjetische Flotte eines Sieges im Ernstfall sicher. In eben dieser schieren Masse liegt, viele Jahre später, lang nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, das Problem. 

Jeder, der schonmal auf einem Meer gedient hat – oder auch nur simpel am Meer Urlaub gemacht hat, weiß, dass Salzwasser gnadenlos ist und alles anfrisst, was es erreichen kann. Dieser Zersatz macht auch vor den gigantischen nuklearen U-Booten nicht halt, unbarmherzig zerstört Oxidation alles, was nicht konstant gehegt und gepflegt wird. 

Typhoon TK-17, cc-by: Bellona Foundation

Zusätzlich dazu ist ein nukleares U-Boot ein komplexes Gebilde aus eng in Zusammenarbeit wirkenden Komponenten und der Ausfall eines einzigen kann weitreichende Auswirkungen haben. Knapp 400 Meter unter der Wasseroberfläche kann ein kleiner Fehler im schlimmsten Fall den Tod der ganzen Besatzung bedeuten.

Insbesondere in den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in dem das Land von wirtschaftlichem Abschwung beherrscht war und das wenige verfügbare Geld oft Korruption zu Opfer fiel, erweist sich diese unausweichliche Komplexität als fatal. An vielen Stellen fehlen Ersatzteile, Reparaturen oder schlicht erfahrene Seeleute und Training. So kam es 1995 fast zu einer Kernschmelze auf einem Akula I Jagd-U-Boot, nachdem eine lokale Elektrizitätsfirma der U-Bootbasis in Murmansk den Strom abgeschaltet hatte, da die Marine Rechnungen im Wert von 4.5 Millionen US-Dollar nicht bezahlt hatte. Nur durch den Einsatz angedrohter Waffengewalt kam die Basis wieder an Strom und ein nuklearer Unfall konnte verhindert werden. 

Dieses Defizit war auch der russischen Marine bewusst und im Rahmen des wirtschaftlichen Aufschwungs ab 2005 beschloss sie umfangreiche Modernisierungen, über 200 stark veraltete U-Boote, inklusive der teilweise seit Zusammenbruch der Sowjetunion brach liegenden Typhoon-U-Boote wurden endgültig – mit einer Ausnahme – außer Dienst gestellt.

Viele ehemalige sowjetische U-Boote liegen seitdem in den Fjorden von Murmansk und Kamtschatkas auf Grund, ihre Reaktoren noch voll mit Brennstäben, langsam vor sich hin rostend und geben ihre Strahlung an die Barentssee ab, wodurch das Gebiet auf Jahre hinaus verschmutzt wird. Die Region um Murmansk gilt als eine der verstrahltesten Regionen der Welt – mehr verstrahlt als einige Atomwaffentestgelände.

Schlimmer noch: Die U-Boote, die verschrottet werden, stellen ein hohes Risiko für die oft nicht im Abwracken von U-Booten trainierten Abwracker selbst dar – oft brechen an Bord Brände aus oder veraltete Munition explodiert.

In den letzten Jahren stockt die Modernisierung und in typisch russischer Tradition wird viel versprochen, aber wenig tatsächlich getan. Vermutlich das beste Beispiel für diesen traurigen Fakt ist vermutlich der russische Flugzeugträger Admiral Kuznetsov. Einst der Stolz der russischen Marine, liegt er seit 2017 in einem Trockendock, und hat seitdem schwere Schäden durch einen einstürzenden Kran, ein Feuer und mehrere Explosionen an Bord genommen. 2017 gin g man davon aus, dass die Reparaturen 2021 fertig wären. 2021 entschuldigte die russische Marine die Verzögerungen wegen „schlechtem Wetter“ und verschob die Fertigstellung auf 2022. Berichten zufolge wurde diese Modernisierung aufgrund des Ukrainekriegs komplett auf Eis gelegt. Ein Grund dafür ist der Mangel an Mikrochips – Sanktionen sorgen dafür, dass Russland kaum Zugriff auf die benötigte Präzisionstechnik hat – und die wenigen verfügbaren Teile werden für Kriegstechnik wie 

3M-54 Kalibr Kurzstreckenraketenbenötigt.

Aber der Fluch dieser Modernisierung zieht sich auch durch die russische U-Bootflotte, neben den Anfangs erwähnten Problemen mangelt es auch an der Technik. Viele Jagd-U-Boote nutzen noch die Sonartechnik aus Zeit der sowjetischen Marine – die damals schon der NATO-Technik unterlegen war.

U-Boot Basis Vilychuninsk, 28.08. 2022.
Bildquelle EO Browser, modifizierte Sattelitenbilder ESA/Copernicus.

 Trotzdem spielen insbesondere im Ukrainekrieg nuklear betriebene russische U-Boote mit ihren Kalibr-Raketen eine große Rolle. Quasi unaufspürbar starten sie in Küstennähe ihre Raketen mit konventionellen Sprengköpfen.

Aber auch in der Ostsee und im Mittelmeer sind die russischen U-Boote so aktiv wie schon lange nicht mehr. Vor Italien wurde vor einigen Tagen, mit Nuklearwaffen bestückte U-Boote durch italienische U-Bootaufklärer gesucht. Auch im Großen Belt vor Dänemark, einer der strategisch wichtigsten Schifffahrtswege der Welt, kreuzte vor einigen Wochen ein Akula-II Jagd-U-Boot auf dem Weg in den Atlantik.

Aber auch die mit Interkontinentalraketen beladene U-Boote in der russischen U-Bootbasis in Vilyuchinsk, die von der NATO „Hornets Nest“ genannt wird, bleiben dem Namen ihrer Basis treu. Satellitenbilder zeigen, dass die U-Boote vom Typ Delta III und Oscar II, die vor wenigen Monaten noch vor Anker an Pieren lagen, in unbekannte Richtung ausgelaufen sind. Sie könnten im Falle eines Atomkrieges mit  minimaler Vorwarnzeit ihre nuklearen Raketen starten.

 Als integraler Part der nuklearen Triade (dem Zusammenspiel zwischen von U-Booten gestarteten Nuklearwaffen, Interkontinentalraketen und Bombern), die in einem Atomkrieg einen Vergeltungschlag garantieren, werden die russischen U-Boote auch in Zukunft noch mit ihren veralteten, langsam vor sich hinstrahlenden U-Boote durch die Weltmeere kreuzen.

Autor: Malte Lauterbach

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