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„Auf Dauer ist ein Krieg mit der Hisbollah nicht zu vermeiden.“ Unterwegs an Israels nördlicher Grenze.

Malte Ian Lauterbach berichtet für Berlin Story News aus dem Nahen Osten, wo sich entlang der libanesisch-israelischen Grenze eine gefährliche Konfrontation entwickelt. Die Hisbollah, einst eine lose terroristische Vereinigung, hat sich zu einer gut ausgerüsteten Miliz gewandelt, die Israels Verteidigungsfähigkeiten herausfordert. Dieser Artikel beleuchtet die wachsenden Spannungen, jüngste Ereignisse und die sich abzeichnenden Herausforderungen, die die Region erneut an den Rand eines Konflikts bringen könnten.

Wächter des Schattens: Israelische Soldaten im Norden

Israels Norden, 23.05.2023

Im Schutz der Nacht beginnt eine verdeckte Operation in der Nähe der libanesisch-israelischen Grenze, als eine Gruppe von wohl ausgesuchten Männern der Hisbollah die Grenze vom Libanon in den Norden Israels überquerte.

Nach stundenlangen Warten drängen sie vorwärts, während das Tageslicht den Horizont in Pastelltönen färbt. Die morgendliche, geschäftige Atmosphäre in der israelischen Kleinstadt wird plötzlich durch Gewehrschüsse unterbrochen, deren stakkatoartiger Rhythmus alles andere übertönt. Das Echo von Schüssen vermischte sich mit den Schreien ahnungsloser Zivilisten, dem Geräusch von einschlagenden Mörsern und dem unheilvollen Chor heulender Sirenen.

Gleichzeitig erbebt die Erde unter einer Reihe von Explosionen, als sorgfältig koordinierte Raketenangriffe aus dem Libanon ihre Schwaden durch die Luft ziehen und Schwachstellen in der normalerweise wachsamen israelischen Luftverteidigung ausnutzen.

Inmitten des Durcheinanders vernahmen die aufmerksamen Ohren des israelischen Sergeants den Rhythmus der Schüsse und die verzweifelten Schreie der Verletzten. Der Stakkato-Rhythmus der libanesischen Kalaschnikows erfüllte die Luft mit einer tödlichen Kadenz. Sein Griff um die kalte Präzision seiner amerikanischen M4, ein Rettungsanker in diesem Chaos, wurde fester. Seine treue Einheit folgte ihm dicht auf den Fersen, ein Trio von Brüdern, das durch unerbittliches Training und unzerbrechliche Kameradschaft zusammengewachsen war. Es folgte ein Tanz der gegenseitigen Absicherung, dessen Harmonie durch den Tumult widerhallte. Wenige Augenblicke zuvor war ein Funkspruch aufgetaucht, auf den sie seit Jahren gewartet und trainiert hatten: „Feindliche Infiltration im Grenzgebiet, Zivilisten gefährdet“

Eine subtile Geste seines Flügelmanns reißt den Sergeant aus seiner Träumerei und in die Gegenwart zurück. Unausgesprochen synchronisiert sich sein Trupp, eine Bruderschaft, die auf jeden Gedanken des anderen eingestimmt war. Der Sergeant und sein Flügelmann bewegen sich langsam vorwärts, kartieren akribisch jeden Winkel, jedes Dach als potenzielle Falle. Vor ihnen lag der Schauplatz des ersten Gefechts, wo die Angreifer noch immer auf freiem Fuß waren und sich in den Schatten versteckten.

Eine neue Salve von Schüssen zerreißt die angespannte Stille. Bevor der junge Sergeant eine Antwort geben kann, durchdringt ein unheimlicher Pfiff die Luft und zerschneidet die Ungewissheit des Augenblicks.

Plötzlich ist alles Adrenalin des Augenblickes wie weggeweht. Ein erschrockenes Keuchen entweicht den Lippen der beiden Männer, die ihre Gewehre für einen Moment vergessen haben, während der schrille Ton nachhallt. Dann durchbricht ein Grinsen die strenge Miene des Drill-Sergeants, ein wissendes Glitzern in seinen Augen. Mit einer dramatischen Geste und einem simplem „Mazel tov“ verkündet er, dass der junge Sergeant gerade erschossen wurde.

Verdeckt wartet der junge Sergeant auf ein Zeichen.

Inmitten der nüchternen Diskussion macht ein verständnisvolles Nicken die Runde, ein stilles Versprechen, aus den begangenen Fehlern zu lernen. Und dann, wie ein Pendel, wird die Übung zurückgesetzt. Die Teilnehmer richten ihren Fokus neu aus, jeder Schritt ein akribischer Tanz, um die sich entfaltende Geschichte neu zu schreiben, bewaffnet mit dem Wissen, dass beim nächsten Mal vielleicht Leben auf dem Spiel stehen könnten.

Die düstere Erkenntnis dämmert, als das Quartett inmitten der gedämpften Kulisse der Übung eine rasche Nachbesprechung durchführt. Die Stimme des Übungsleiters ist streng und doch lehrreich, wenn es darum geht, die Fehltritte des Teams zu analysieren. Er weist auf die schwerwiegenden Folgen hin – den Verlust von zwei zivilen Menschenleben aufgrund ihrer Fehler.

Nachbesprechung der Übung.

Das gesamte Szenario, von dem inszenierten Raketenangriff bis hin zu der Grenzinfiltration, bildet ein kompliziertes Geflecht von Übungen, die von der israelischen Armee akribisch inszeniert wurden. Hinter dieser ausgeklügelten Simulation verbirgt sich eine beängstigende Realität: Diese Übungen dienen dazu, die im Norden Israels stationierten Streitkräfte auf eine Eventualität vorzubereiten, die die Grenzen der Vorstellungskraft sprengt – ein frontales Aufeinandertreffen mit der Hisbollah.

Mit diesen simulierten Ereignissen versucht das israelische Militär, seine Truppen auf das Unfassbare vorzubereiten – eine direkte und potenziell kolossale Konfrontation mit der Hisbollah. Bei diesen komplexen Übungen müssen sich die Soldaten mit Szenarien auseinandersetzen, die das gesamte Spektrum der Herausforderungen eines solchen Einsatzes abbilden – von punktgenauen Raketenangriffen bis hin zu der Infiltrationen über die Grenzen.

Die Übungen schärfen nicht nur die taktischen Fähigkeiten der Truppen, sondern fördern auch ein tiefes Verständnis für die multidimensionalen Herausforderungen, die ein Konflikt dieser Größenordnung mit sich bringen würde. Im Laufe der Übungen werden die Soldaten mit der harten Realität konfrontiert.

Seit dem Ende des letzten Libanonkriegs hat die Hisbollah, die ursprünglich eine lose organisierte terroristische Vereinigung war, eine grundlegende Veränderung erfahren. In den darauffolgenden Jahren hat sich die Gruppe mittels engagierter Ausbildung, ständiger Versorgung mit iranischen Waffen und sorgfältiger strategischer Planung zu einer Miliz entwickelt, die es mit den Fähigkeiten vieler (kleinerer) konventioneller Armeen aufnehmen kann.

Nach dem Krieg erkannte die Führung der Hisbollah die Notwendigkeit von Anpassung und Wachstum. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Iran erhielt sie Zugang zu modernen Waffen, Finanzmitteln und Ausbildungseinrichtungen, was ihre Kapazitäten erheblich steigerte. Durch die Einführung disziplinierter Trainingsmethoden ging die Hisbollah von einer Hit-and-Run-Taktik zu koordinierten Manövern über und verkörperte eine Mischung aus Guerillakrieg und konventioneller Militärstruktur.

Westliche Analysten berichten, dass die Hisbollah über ein umfangreiches Waffenarsenal verfügt, zu dem rund 30.000 einsatzbereite Raketen und Flugkörper mit unterschiedlichen Reichweiten gehören sollen. Die Palette reicht von Kurzstreckenraketen bis hin zu ballistischen Mittelstreckenraketen, die tief in israelisches Gebiet vordringen können. Der geschätzte Gesamtbestand an Raketen und Flugkörpern beläuft sich auf etwa 130.000 bis 150.000 Stück, die aus Quellen wie dem Iran, Syrien und ehemaligen sowjetischen Beständen stammen. Dieser Bestand beschränkt sich nicht nur auf konventionelle Geschosse, sondern umfasst auch fortschrittliche Lenkraketen und Drohnen, die das Arsenal der Hisbollah um eine Präzisionsdimension erweitern und strategische Punkte in Israel ins Visier nehmen können.

Neben ihren militärischen Mitteln hat die Hisbollah im Libanon ein gut organisiertes und einflussreiches politisches und soziales Netzwerk aufgebaut. Man geht davon aus, dass die Gruppe 20.000 bis 30.000 hauptamtliche Mitglieder sowie eine große Zahl von Anhängern und Verbündeten hat. Während ihr militärischer Flügel von verschiedenen Ländern, darunter den Vereinigten Staaten und Israel, als terroristische Organisation eingestuft wird, ist ihr politischer Arm in der politischen Landschaft des Libanon nach wie vor sehr präsent. Diese doppelte Identität verdeutlicht die Vielschichtigkeit des Einflusses der Hisbollah, die militärische Stärke mit einflussreichen politischen Manövern verbindet.

In letzter Zeit kommt es an der Demarkationslinie zwischen dem Libanon und Israel zu immer schwereren Zusammenstößen. Vor fast einem Jahr berichtete ich für Berlin Story News über Anspannungen zwischen Israel und der Hisbollah über Gasförderungen aus dem Gasfeld Karish, die durch diplomatische Verhandlungen durch die letzte israelische Regierung, Vermittlern der Vereinigten Staaten und der Hisbollah schlussendlich beigelegt wurden. Die aktuelle Regierung kritisiert dieses Abkommen aber immer wieder – insbesondere als im Frühling eine Hohlladung iranischer Herkunft einen arabischen Arbeiter auf einer Landstraße im Norden Israels schwer verwundete, und Ermittlung deutlich darauf verwiesen, dass die Hohlladung durch die Hisbollah nach Israel geschmuggelt worden war. Bis heute ist unklar, was das eigentliche Ziel des Attentats war, wie die Täter ins Land kamen, und anschließen das Land wieder verließen.

An Pessach kam es zu einer der bisher schwersten Eskalationen an der Grenze zum Libanon. Hierzu Auszüge aus einem bisher unveröffentlichten Artikel vom 6.4.2023.

Pessach gilt traditionell als das Fest, wo jüdische Familien überall auf der Welt zusammenkommen, um den Auszug des israelischen Volks aus Ägypten zu feiern. Auch im Norden Israels strömen die Leute zusammen, um von Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang dem „Exodus“ zu gedenken und das Überleben des israelischen Volkes zu feiern.

Inmitten der Feierlichkeiten im Norden Israels heulen plötzlich die Luftschutzsirenen laut auf, die dunklen Schwaden von Kurzstreckenraketen ziehen sich über dem Himmel. Gestartet aus dem libanesischen Grenzgebiet, hat das israelische Luftverteidigungssystem Iron Dome nur Sekundenbruchteile zum Abfangen. In vielen Dörfern entlang der Separationslinie beträgt die Vorwarnzeit buchstäblich 0 Sekunden – die erste Warnung hier ist der Einschlag. In kurzen Abständen fallen 34 Raketen aus dem Südlibanon auf Israel. Ein Großteil der Raketen werden durch die israelischen Raketenabwehrsysteme abgefangen, aber zwei direkte Treffer auf die Kleinstadt Shlomi richten schwere Sachschäden an. Nur durch Zufall gibt es keine zivilen Verluste.

Im Nachhinein verdichten sich die Hinweise, dass die Raketen von einer Splittergruppe des Palästinensischen Jihads (PIJ) abgefeuert wurden, anstatt, wie ursprünglich vermutet, von der Hisbollah. Aus einer taktischen Perspektive ist der Raketenangriff aus dem Südlibanon wohl durchdacht – der PIJ, der in den letzten Wochen täglich Raketen aus dem Gazastreifen auf Israels Städte im Süden feuerte, ermöglicht dieser Raketenangriff aus dem Norden quasi die Eröffnung einer zweiten Front, um den Druck auf das israelische Militär zu erhöhen. Darüber sendet die PIJ durch den Abschuss von Raketen aus dem Libanon eine Botschaft an Israel, dass sie in der Lage sind, von anderen Gebieten außerhalb des Gazastreifens aus anzugreifen und über die unmittelbare Konfliktzone hinaus Schaden anzurichten. Über Motivation und Operationsweise des Palästinensischen Jihads habe ich im Rahmen meiner Berichterstattung aus den palästinensischen Städten Jenin und Nablus bereits im Detail geschrieben.

Die israelische Antwort auf diese Raketenangriffe des Palästinensischen Jihads erfolgte nur wenige Wochen später, im Juni griffen israelische Flugzeuge im Rahmen der Aktion „Schwert und Schild“ Hauptquartiere des Palästinensischen Jihads an und eliminierten so mit enormer Präzision den Kommandostab der PIJ, und danach deren noch am selben Tag ins Amt gerufenen Ersatzstab.

Nach diesen Luftangriffen kam es zu mehreren Tagen andauernden Gefechten zwischen PIJ und israelischen Streitkräften, mehr als 1000 Raketen wurden auf israelische Städte abgeschossen.
Iron Dome, verstärkt durch das Arrow-3 System (eigentlich gebaut, um iranische ballistische Raketen abzufangen) neutralisierten einen Großteil dieser Angriffe. Auf palästinensischer Seite kam es zu 10 Tote durch die israelischen Luftangriffe, fünf weitere wurden durch palästinensische Raketen getötet. Der Waffenstillstand, verhandelt durch Vermittler aus den arabischen Staaten, Israel, dem Palästinensischen Jihad und der Hamas hält bis heute.

In den letzten Wochen kommt es jedoch immer wieder zu Ereignissen, die darauf verweisen, dass der Konflikt zwischen Hisbollah und Israel sich weiter verschärft. „Im Grunde genommen“, so berichtete mir ein hochrangiger israelischer Militärangehöriger während den Raketenangriffen im April, während die Feuer in der israelischen Stadt Shlomi am Horizont noch brannte, „Ist ein Krieg mit der Hisbollah auf Dauer unvermeidbar“. Auf genaue Nachfrage präzisierter er seine Aussage „Wir rechnen mit einem neuen Libanonkrieg in den nächsten 12 Monaten. Es ist Zeit.“

Beide Seiten rüsten sich bereits jetzt für diesen Konflikt – auf israelischer Seite erfolgt das durch die Eingangs erwähnten Übungen für den Ernstfall. “Train as you fight, fight as you train” ist hier das Motto.

Im libanesischen Grenzgebiet konstruiert die Hisbollah immer mehr Vorposten, die mir israelische Soldaten bei einem Besuch im Mai zeigten. Aus diesen Vorposten würden Elitetruppen der Hisbollah hervorstürmen, um die israelische Armee anzugreifen – oder als Verteidigungslinie dienen. Militärkreise berichten von 31 Außenposten, die in diesem Jahr konstruiert wurden.

Seit den Raketenangriffen an Pessach ist die israelische Armee im Norden in erhöhter Alarmbereitschaft. Schützenpanzer der neuesten Generation siehe Bild) patrouillieren an den israelischen Grenzbefestigungen. Suchscheinwerfern und Leuchtraketen erhellen die Nacht. Auch an diesen Grenzbefestigungen kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, wo sich die israelische Armee und die Hisbollah, oder in Sonderfällen, die libanesische Armee gegenüber stehen. Durch Einschreiten der UN-Mission im Grenzgebiet werden diese Zwischenfälle meistens entschärft, und dienten in der Vergangenheit hauptsächlich Propagandazwecken – beide Seiten können ihre Schlagkraft zeigen, ein paar Fotos machen und ziehen sich dann wieder zurück auf ihre Positionen.

Eigentlich.
Immer wieder kommt es jedoch zu kritischeren Zwischenfällen. Erst vor kurzen gab es ein gescheitertes Attentat der Hisbollah auf den libanesischen Verteidigungsminister, der immer wieder für Verhandlungen argumentiert hatte. Tage zuvor bedrohten Milizionäre der Hisbollah israelische Zivilisten an der Grenze.

Im Ernstfall, so heißt es aus Kreisen der israelischen Armee, wären die Auswirkungen eines Krieges im Norden extrem zu spüren. Tausende würden aus den nördlichen Städten in die Mitte des Landes fliehen, während konzentrierte Raketenangriffe der Hisbollah die israelische Luftabwehr überfordern würde. Der genaue Ablauf und die Auswirkungen eines solchen Krieges sind im Grunde genommen unvorstellbar. Konzentrierte Angriffe auf Energie- und Wasserinfrastruktur mit Drohnen wie der iranischen Suiziddrohne Shahed-136 sind höchst wahrscheinlich.
Massive Personen- und Sachschäden wären die Folgen.

Schützenpanzer an der Grenze.

Tatsächlich ist die Regierung von Netanyahu in einem Dilemma gefangen. Immer lauter werden die öffentliche Forderung aus Armeekreisen und Netanyahus eigenen politischen Kreisen nach einer Armeeoperation, um die Macht und den Einfluss der Hisbollah zu bekämpfen. Netanjahu könnte sich an Israels früheren Aktionen im Südlibanon orientieren, insbesondere an der Operation „Frieden für Galiläa“ im Jahr 1982. Bei dieser Operation drangen israelische Streitkräfte in den Libanon ein, um palästinensische Angriffe auf Nordisrael zu stoppen und eine Sicherheitspufferzone im Südlibanon zu schaffen. Damals hatte die Terrororganisation PFLP mit zwei RPGs auf einen Schulbus im Norden Israels gefeuert, wobei 14 Menschen, zum Großteil Kinder, ums Leben kamen.
Der Krieg im Libanon endete 1991 mit einem fragilen Waffenstillstand, und die israelischen Streitkräfte zogen sich aus dem größten Teil des Landes zurück, mit Ausnahme eines kleinen Landstreifens im Süden, der als „Sicherheitszone“ bekannt ist. Dieser Landstreifen wurde von israelischen und alliierten Streitkräften patrouilliert, um die israelische Zivilbevölkerung vor Angriffen der Hisbollah zu schützen. Die Sicherheitszone blieb bis zum Jahr 2000 eine Quelle von Spannungen und Konflikten, als Israel seine Streitkräfte gemäß einem von den Vereinten Nationen vermittelten Abkommen aus dem Libanon zurückzog. Der Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Libanon markierte das Ende einer 22-jährigen Militärpräsenz im Land. Ein klassisches Friedensabkommen zwischen Israel und dem Libanon gab es nie. Die von mir referenzierte „Grenze“ ist im Grunde genommen die „Blaue Linie“, eine von der UN im Rahmen der Resolution 425 des Sicherheitsrats gezogene Demarkationslinie.

Die „Blue Line“

Es ist unbestimmt, ob die israelische Regierung bereit ist, eine weitere groß angelegte Militäroperation im Libanon zu riskieren, oder ob sie nach anderen Optionen suchen wird, um der anhaltenden Bedrohung zu begegnen. Da die Spannungen weiter zunehmen und die Gewalt in Israel und den umliegenden Regionen anhält, scheint eine friedliche Lösung des Konflikts für alle Seiten im Moment unwahrscheinlich zu sein. Ein Bewohner einer der nördlichen Städte Israels brachte seine Frustration und seinen Zynismus mit dem trockenen Kommentar zum Ausdruck: „Wir haben es mit dem Frieden versucht, jetzt sollten wir vielleicht dem Krieg eine Chance geben.“ Diese Äußerung spiegelt das anhaltende Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung wider, das viele Israelis und Palästinenser angesichts des Kreislaufs von Gewalt und Konflikten, der die Region seit Jahrzehnten plagt, empfinden.

Im Rest des Landes halten während dessen die Proteste gegen die Justizreformen weiterhin an – vor 7 Monaten berichtete ich – eigentlich eher als Randnotiz, das erste Mal über die Justizreform in Israel. Innerhalb weniger Wochen entwickelte sich aber dieser kleine Protest plötzlich zu einem der entscheidenden politischen Kräfte des Jahres. Die Proteste gegen die Justizreform – die ich in mehreren Artikeln bereits im Detail erklärte, kulminierten im Mai schließlich in der Entlassung des Verteidigungsministers, einem Generalstreik, Demonstrationen, an denen fast 20 % der Bevölkerung des Landes teilnahmen, dem Rücktritt des israelischen Konsuls in New York, dem Hungerstreik mehrerer israelischer Bürgermeister und die tiefe Spaltung des Landes. Dadurch, dass immer mehr Reservisten den Dienst aufgrund der Justizreform verwehren, befindet sich Netanyahu in einer schwierigen Situation. Eben diese Männer – zum großen Teil speziell ausgebildete Experten, wie Piloten, Aufklärer und Panzerkommandeure würden im Ernstfall fehlen. Ohne die schnelle Alarmierung der Reservisten wie dem jungen Sergeant aus dem Beginn des Artikels ist die Sicherheitslage Israels gefährdet.

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