Erneute Streitigkeiten über ein Gasfeld auf der Grenze zwischen dem Libanon und Israel drohen, eine noch immer nicht komplett verheilte Wunde wieder aufplatzen zu lassen und die Region in einen erneuten Konflikt zu stürzen, der auch Europa betrifft. Malte Lauterbach berichtet direkt aus Israel.
Die warme, trockene Vormittagsluft trägt die atemberaubende Stimme der jungen Frau bis zum Zimmer im ersten Stock. Nach ein paar Takten gesellt sich zu ihrer Stimme noch eine Akustikgitarre und zusammen singen sie die erste Strophe der israelischen Nationalhymne Hatikvah, welche die 2.000 Jahre alte Hoffnung der Juden beschreibt, nach Israel zurückzukehren und eine unabhängige Nation zu errichten.
Abrupt wird das Duett plötzlich von einer Schusssalve aus ein wenig Entfernung unterbrochen. Kurze, präzise Feuerstöße, unverwechselbar Zeichen der israelischen Streitkräfte fallen als Antwort auf das unpräzise, meist nicht gezielte Dauerfeuer aus dem Libanon. Eins der vielen Feuergefechte an der Grenze hat begonnen. Zu dem Feuergefecht mischt sich jetzt erneut der Gesang der jungen Frau. Ein neuer Tag in Israel hat begonnen.
Ich befinde mich im Kibbuz Bar’am im Norden Israels, einem ganz besonderen Ort im Land.
Nicht nur hat man von Bar’am einen atemberaubenden Blick auf die Region mit ihren hohen Bergen und tiefgrünen Wäldern und an guten Tagen einen Blick bis zu den Golanhöhen, sondern es handelt sich bei Bar’am auch um einen der letzten Kibbuzim, dass sich noch an der ursprüngliche protosozialistische Lebensweise der ersten Kibbuzim orientiert. Aber noch ein weiterer Unterschied ist die Nähe zur Grenze Libanons. Diese besondere Nähe erfordert ebenso besondere Sicherheitsmaßnahmen.
So säumen also mannshohe Zäune, dekoriert mit Stacheldrahtkrone die Außengrenzen des Kibbuz. Entlang des Wegs trifft man auf alte Schützengräben, ein Überbleibsel einem der vielen Kriege der letzten 60 Jahre, die über diese Region gezogen sind. Wenige Schritte später stößt man auf eine Rakete, die ihren an ihrem letzten Ruheplatz als Blumenbeet dient, ihre ehemals weiße Hülle jetzt löchrig in der Sonne glitzernd. „A sad necessity – eine traurige Notwendigkeit“, so beschreibt ein Mitglied des Kibbutz die Situation.
Knapp 150 Kilometer in westlicher Richtung beginnt auch für die griechisch-britische Firma Energean ein weiterer Arbeitstag. An Bord der Energean Power, einem schwimmenden Gasverarbeitungsschiff laufen währenddessen unter dem wachendem Auge der israelischen Marine die Vorbereitungen zur Gasförderung aus dem umstrittenem Karish Gasfeld.
Das Gasfeld – knapp 50 Kilometer vom Ufer entfernt, ist seit einigen Jahren Ausgangspunkt von Streitigkeiten zwischen Israel und Libanon. Jeweils der Staat Israel und die Republik Libanon beanspruchen beide das Seegebiet als sogenannte Exklusive Wirtschaftszone (EEZ) für sich.
Im Libanon herrscht seit einigen Jahren im Folge der wirtschaftlich schlechten Lage durch Mangelwirtschaft extreme Energieknappheit, es mangelt an Öl und Gas, regelmäßig bricht das Stromnetz zusammen und große Teile des Landes liegen im Dunkeln. In Israel ist die Situation nur bedingt besser – das hoch entwickelte Land erzeugt immer noch große Teile seines Stroms mit Öl- und Gaskraftwerken und viel Strom, Öl und Gas muss aus dem Ausland importiert werden. Das Karish Gasfeld und sein größerer Bruder das Tanish Gasfeld sollen Israel zumindest in naher Zukunft mit Gas versorgen und zusätzlich auch 10 % des Gasverbrauchs in Europa decken, ein Markt, der vor dem Ukrainekrieg traditionell von Russland beherrscht wurde.
Seit der Entscheidung im Jahre 2019, aus dem Gasfeld zu fördern, und dem subsequenten Verkauf des Förderrechts an die Eingangs erwähnte Firma Energean droht die de facto Terrorgruppe Hisbollah damit, dass sie, sobald die Gasförderung erfolgen würde, sie entschlossen wären, dieses anzugreifen. Im Sommer dieses Jahres war dies bereits mehrmals der Fall, F-16 Kampfjets der israelischen Luftwaffe und die Korvette ILS Eilat schossen mehrere Drohnen des Typs Qods Mohajer ab, die vom Iran an den Libanon geliefert worden waren.
Die Mohajer 4 kann bis zu 25 Kilogramm Sprengstoff als Suiziddrohne ins Ziel lenken.
Eine diplomatische Lösung des Konfliktes um den Grenzverlauf scheint zurzeit extrem unwahrscheinlich, diplomatische Klärungsgespräche scheitern immer wieder, ohne dass eine Lösung in Sicht wäre. Stattdessen beschränkt man sich auf Säbelrasseln. Erst neulich erfolgte eine Warnung der israelischen Armee an die Hisbollah, dass „die IDF hart reagieren würde, falls sie (die Hisbollah) erneut versuchen sollte, das Karish-Gasfeld anzugreifen“. Angriffe auf Öl- und Gasinfrastruktur mit iranischen Drohnen sind in der Region nichts Neues, immer wieder kommt es zu verheerenden Anschlägen auf Infrastruktur, wie im September 2019, als mehrere dutzend Drohnen die Ölraffinerie in Buqaiq und Khurais in Saudi-Arabien angriffen und mehrere Millionen Euro Schaden anrichteten. Die niedrige fliegenden Drohnen überforderten die Luftabwehr vom amerikanischen Typ MIM-104 Patriot durch die schiere Anzahl an Zielen, ein Konzept, das Saturation Attack genannt wird. Eine solche Saturation Attack wäre auch bei einem Angriff der Hisbollah auf Ziele in Israel nicht unwahrscheinlich.
Das Konzept der Saturation Attack ist nicht gerade neu und auch im israelischen Verteidigungsministerium ist man sich der Bedrohung schon lange bewusst. Deswegen sind die neuen israelischen Korvetten vom Typ Sa’ar 6 (BSN berichtete hier) mit mächtigen 76 mm OTO Melara Kanonen ausgestattet, die mit ihren DART-Projektilen im Flug Kurskorrekturen durchführen können und deswegen auch bewegliche Ziele mit hoher Präzision ausschalten können. Gegen Ende des Jahres soll mit der Förderung begonnen werden, bis dahin ist noch viel zu tun.
Zurück an Land macht man sich zurzeit noch weniger Sorgen. Der Krieg mit dem Libanon und der Hisbollah hat aus Sicht vieler Leute seit 2006 quasi nie aufgehört. Trotzdem erinnern sich viele an die Momente, als 2006 hunderte Raketen aus dem Libanon auf Israel fielen und vielerorts schwere Schäden anrichteten. 44 Leute starben und mehr als tausend wurden im Raketenhagel teilweise schwer verletzt.
Heute aber wird gefeiert – Junge Leute, die als Freiwillige im Kibbutz arbeiten, strömen am Sabbat in das Pub, mischen sich unter die Israelis, um das Ende der Arbeitswoche zu feiern. Ab und zu versucht der ein oder andere einen kurzen Flirt, während die Bässe vom kleinen „Dancefloor“ die Erde erbeben lassen.
Nicht viel weiter entfernt steht ein kleiner Trupp Soldaten im ähnlichen Alter, einen wachsamen Blick auf den Grenzzaun zwischen Israel und Libanon werfend. Auch bei ihnen ist die Haltung zum Krieg eher lax. „Sorgen vor einem Krieg? Wir haben hier seit 2006 quasi Krieg“, sagt einer von ihnen lachend. Nachdem ich instruiert wurde, mich nicht zu lange auf einem bestimmten Hügel aufzuhalten, weil die Hisbollah mich dort sehen und auf mich schießen könnte, zieht das gepanzerte Fahrzeug an mir vorbei. Auch das ist Leben in Israel. Wie genau die oben beschrieben harte Reaktion der IDF aussehen würde, ist nicht bekannt. Knapp 16 Jahre ist es her, seit dem nicht weit vom Kibbutz Bar’am wochenlang schwere israelische Artillerie mehr als 170.000 Artilleriegranaten abgefeuert hatte.
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