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Willkommen im Nahost Konflikt!

Schieß nicht so hoch, sonst triffst du Khomeini“ – sagt ein Peschmerga lachend zum anderen. Wir stehen auf einem der Schießstände der Kurdischen Sozialistischen Demokratischen Partei (KSDP), neben den parteieigenen Feldern. Vor uns erheben sich die Berge des Kandil-Gebirges, in Sichtweite ist der Grenzübergang zum Iran. Der Vorsitzende Kaka Hama, den ich von vergangenen Reisen kenne, hatte uns zu sich eingeladen. Eigentlich ist er Landwirt, doch vor 43 Jahren zwangen ihn die Umstände zum Kampf. Er stellte sich gegen Saddam, später gegen den IS. Heute übernimmt er diplomatische Aufgaben im Ausland, vermittelt bei politischen Problemen im Inland und führt seine Leute im Krieg, wenn es sein muss. 

Als ich ihn gefragt habe, ob ich die Waffenkammer durchgucken darf, sagte er: „Nimm dir doch lieber eine Melone! Die Zukunft müssen wir auch ohne Waffen schaffen!“. An sich hat er recht, aber ich sehe mir gerne Waffenkammern in dieser Gegend an. Die Gerüchte, was sich dort (nicht) drin befindet, weicht meist arg von der Realität ab. Und jeder Teil der Armee erzählt mir, dass es bei den jeweils anderen viel besser aussähe. Ich gucke also gerne selber, gucke auch, wie viel Munition vorhanden ist und ob die Waffen überhaupt einsatzbereit sind. Das hilft, um später aus Deutschland die Berichte über bestimmte Waffen in bestimmten Gegenden zu prüfen.  Und die Peschmerga sind im Allgemeinen sehr offen. Aber bevor es in die Waffenkammer geht, essen wir Melone. „Habe ich selber geerntet. Habt ihr die Felder gesehen?“ – Kaka Hama kennt den Krieg gut genug. Er redet lieber über die schönen Dinge des Lebens – vor allem über das selbst angebaute Essen.

Da er hier sein ganzes Leben verbracht hat, zwei Drittel davon kämpfend, ist er aber die beste Quelle für Informationen in dieser Ecke der Welt. Bei ihm zu Hause geben sich Sicherheitsberater und Politiker aus allen Teilen der Welt die Klinke in die Hand. So treffe ich auch bei diesem Besuch „Berater“ befreundeter Nationen, welche recht offen sprechen. „Ob die Angriffe im letzten Monat von den Israelis oder den Amerikanern geflogen wurden, ist doch am Ende egal. Es ist eh das gleiche Waffensystem und der eine kann nichts machen, ohne dass es der andere mitbekommt. Zutrauen würde man es beiden – und warum sollte Israel es dementieren? Wenn Khomenis Nutten Angst vor ihnen haben, kann Ihnen das nur recht sein“. Mit „Khomenis Nutten“ ist üblicherweise die irakische Regierung gemeint. Ansonsten tummeln sich ein Stück weiter noch die vom Iran gestützten schiitischen Hashd al Shabii Milizen. Oft sind unter ihnen auch iranische Soldaten.

In Kurdistan (Irak) wird die Lage weniger übersichtlich – aber es geht. Als lokale Kräfte hat man die eigene Armee, die Peschmerga. Südlich von den kurdischen Gebieten, im „Rest Irak“ oder „Irakistan“ die irakische Armee. Von Richtung Iran kommend, mit Wissen und Erlaubnis der irakischen Regierung, die Hashd al Shabii. Diese entstanden, als die irakische Armee nach Angriffen des IS fast zusammenbrach. Die irakische Regierung erlaubte lokalen Gruppen, sich zu bewaffnen und Sicherungsaufgaben der Armee zu übernehmen – die Hashd al Shabii. Diese wurden dann zunehmend vom Iran unterwandert, was von Anfang an ein offenes Geheimnis war. Bereits 2016 traf ich bei Chanaqin auf iranische Soldaten, welche erst freundlich waren, am nächsten Tag aber in unsere Richtung schossen. Die vierte militärische Kraft in Kurdistan (Irak) ist der IS. Dieser war 2016 empfindlich geschwächt worden, kommt aber nach und nach wieder. Wie diese Kräfte miteinander interagieren, hängt von der jeweiligen Tagesform ab.

Noch 1988 hat die irakische Armee versucht, die Kurden mit deutschem Giftgas auszulöschen. Seit 2005 haben sie immer wieder miteinander, gegeneinander oder einfach nebeneinander gearbeitet. Während die Peschmerga oft von der Hashd al Shabii angegriffen werden, arbeitet die Hashd oft mit der irakischen Armee zusammen – aber auch nicht immer. Der IS ist die einzige Gruppe, die keine Alliierten hier hat. „Das war schon immer so. Das ist heute so. Das wird auch immer so sein“, sagt ein britischer Berater bei einem anderen Treffen zur mir. Die große Frage, die sich alle stellen, ist: Wann knallt es zwischen den USA und dem Iran? Und wie? Ein Deutscher mischt sich ins Gespräch ein „Einen großen Knall wird’s nicht geben. Eher einen klassischen Proxy-Krieg.“ Ein Amerikaner sieht das anders: „Habt ihr euch nicht gefragt, warum die Briten nach der Entführung ihres Tankers nicht reagiert haben? Und die Saudis auch nicht? Ich glaube da kommt noch der ganz große Knall. B52 drüber, Raketen drauf und einfach einen Parkplatz aus dem Iran machen. Die werden in die Steinzeit gebombt. Aber erst, wenn Trump wieder gewählt wurde. Dann hat der doch nichts mehr zu verlieren“. 

In der Tat waren die Briten und Saudis verdächtig still. Auf der anderen Seite fragt man sich, wie man ein so großes Land wie den Iran erfolgreich angreifen will. Militärisch dürfte das sehr heikel werden. Irak, Afghanistan … man hat die vergangenen „Erfolgsgeschichten“ noch im Kopf. Auf der anderen Seite haben alle Destabilisierungsversuche nichts gebracht. Und Sanktionen sind der Alltag im Iran. Man kann ihnen mit nichts mehr richtig drohen. Aber gerade wegen dieser latenten Gefahr braucht der Iran die Hashd al Shabii. Man kann immer dementieren, für die verantwortlich zu sein und hat sie doch als nützlichen Idioten an der Hand. Die Hashd versucht seit Jahren, sichere Routen zwischen dem Iran und Syrien aufzubauen, über die sie Waffen vor Israel in Stellung bringen können. Das funktioniert immer wieder. Sind die Waffen in Stellung, gibt es israelische Luftangriffe auf diese Stellungen der Lager in Syrien. Die iranische Regierung braucht die Waffen vor Israel als Faustpfand gegen die USA. Sollten die USA zum großen Schlag ausholen, so wollen die Iraner als Vergeltung Israel auslöschen. Herzlich Willkommen im Nahostkonflikt!

Fährt man von Halabja aus gen Westen, so landet man irgendwann in Makhmour, beziehungsweise kurz davor. Hier endet Kurdistan in einem Vier-Kräfte-Eck. Über den Checkpoint kommt man in das Gebiet, welches vom Irak verwaltet, aber von Hashd al Shabii-Kräften kontrolliert wird. Im Niemandsland dazwischen tummeln sich IS Kämpfer. „Vor einer Woche haben wir zwei gefunden. Also eher ein IS-Puzzle. Da war vorher ein Luftangriff. Aber müssten mal zwei Körper gewesen sein“. Hier nimmt man kein Blatt vor den Mund und zeigt uns gleich die passenden Fotos, die gewisse Ähnlichkeit zu einem Gulasch haben, was passenderweise gerade serviert wird. „Ja, etwa so wie das da! Willst du noch ne Kelle?“. Der General ist etwas unzufrieden „Die deutschen Waffen haben uns geholfen, klar. Aber wir haben gerade mal eine MILAN [Panzerabwehrrakete] für 50km Front. Aber die Amerikaner haben uns AT4 gebracht, die gehen auch gut.“. Derzeit ist es ruhig hier, aber die Lage ist angespannt. Das Peschmergaministerium verhandelt mit dem irakischen Verteidigungsministerium über eine sinnvolle Zusammenarbeit. Alle sind vorsichtig optimistisch. Darüber, dass der IS vertrieben sein soll, kann man hier nur lachen. „Nimm mal das Fernglas. Siehst du da ganz hinten die Höhle? Da sitzen die drin. Wie passend: Die Höhlenmenschen“.  Wenigstens hat man hier seinen Humor nicht verloren.

Am Ende ist es wie immer. Die Großen bekriegen sich und die Kurden leiden. Kurden haben keine Freunde, außer den Bergen. Aber wir sind das gewohnt, keine Sorge“, verabschiedet uns der General, als es dunkel wird. Wir machen uns auf den Weg zurück ins sichere Erbil, wo zur gleichen Zeit der Freizeitpark und die Shoppingmalls geöffnet haben. Kurdistan – eine Gegend voller Gegensätze.