Kilometerlang schlängelt sich die Straße den Berg hoch. Die Kurven werden immer enger. Wäre der Belag besser, könnte man hier exzellent Motorrad fahren. Die Sonne scheint bei 19 Grad – und das an Silvester. Knapp zwei Stunden hinter mir liegt Erbil, die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Norden des Irak. Vor mir liegt das Zagros-Gebirge, dessen größter Teil im Nachbarland Iran liegt.
Die Strecke ist nicht besonders belebt, es gibt kaum Navigationssysteme, die diesen Teil der Welt zuverlässig abdecken. Gerade im Corona-Jahr 2020 sind hier viele neue Straßen und Autobahnen entstanden, die noch nicht digital erfasst sind. Eine Kreuzung mit Brücke scheint neu – oder noch gar nicht eröffnet. Die abzweigenden Spuren, um auf die höher gelegene Straße zu kommen, sind noch nicht asphaltiert. Es liegen orangefarbene Pylonen am Rand, die eine Absperrung (gewesen) sein könnten. Aber die Richtung scheint korrekt, und hier kann man nicht so wählerisch sein.
Hinter der nächsten Kurve erscheint ein Tunnel, der definitiv noch nicht fertiggestellt wurde. Außen roher Beton, innen dunkel. Auch das Fernlicht vermag es nicht, bis zum Ende des Tunnels zu scheinen. Also mal vorsichtig hinein wagen. Etwa auf der Mitte kommt Gegenverkehr. Das ist gut, der Tunnel hat also ein Ende.
Doch kurz nach dem Ende des Tunnels endet die Strasse komplett. Es bleibt ein matschiger Weg, welcher etwas breiter als der Wagen ist und welcher in einem Abhang endet. Doch am Ende dieses Weges, hinter einer Kurve, geht eine vierspurige Autobahn weiter bis in ein Dorf mit vielleicht einhundert Einwohnern. Ein erneuter Blick auf die Karte bestätigt: Die Richtung stimmt.
Es geht auf zweispurigen Straßen weiter. Auf der einen Seite der Abhang, auf der anderen der Berg, dazwischen immer wieder vereinzelte Autos. Eine einspurige Brücke, die dem Stil nach noch aus den britischen Zeiten des Irak stammen müsste, führt über einen kleinen Fluss. Die Autofahrer müssen sich einigen, wer wann fährt. Es fällt auf, dass immer nur ein Auto die Brücke passiert, dann startet erst das Folgende. Zwischendrin warten alle, um zwei Hunde passieren zu lassen, welche die Kühe begleiten. Auch das scheint für Autofahrer, Hunde und Kühe normal zu sein. Danach geht es routiniert weiter durch die Berge.
Auf dem höchsten Punkt der Straße steht ein Checkpoint der Peschmerga (Armee der autonomen Region Kurdistan). „Wo kommst du denn her? Und wo willst du hin? Willst du nach Dohuk? Dann bist du falsch abgebogen!“ – „Nein, ich möchte ins Spa Resort nach Barzan. Stimmt die Richtung?“ Der Soldat lacht und ruft lachend zu seinem Kameraden „Der will ins Resort!“ Beide lachen freundlich und schütteln den Kopf. „Ja, du bist richtig. Einfach ins Tal, und dann rechts rum dem Fluss folgen. Aber halte dich von der türkischen Grenze fern! Da ist es gefährlich!“ Ich bedanke mich und fahre weiter. Das Resort liegt keine zehn Kilometer von der türkischen Grenze. Diesseits der Grenze ist es seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 relativ friedlich gewesen. Der Kampf gegen den islamischen Staat fand einige Autostunden weiter südlich und westlich statt.
In der Türkei bekämpfen sich PKK und türkische Armee. Die PKK zieht sich immer wieder über die Grenze nach Kurdistan-Irak zurück und wird dabei von der türkischen Armee verfolgt. Dies führt zu Spannungen zwischen den Kurden in der Türkei und dem Irak. Die türkischen Kurden werfen den irakischen vor, sich nicht solidarisch zu verhalten und die türkische Armee gewähren zu lassen. Die irakischen Kurden werfen den türkischen Kurden vor, ihren bewaffneten Konflikt in die Gegend zu bringen, die man über Jahrzehnte im eigenen Kampf befreien konnte.
Ich bedanke mich bei den beiden Peschmerga und setze meinen Weg nun bergab fort. Vor mir erscheint das Tal mit dem Fluss, an welchem mein Ziel liegt, das Rubar Hotel. Die letzten Orte sind klein, vielleicht 500 Einwohner. Dazwischen gibt es freilaufende Kühe, Esel und Hunde, und immer wieder sitzen Kinder am Straßenrand und beobachten den Verkehr.
Doch dann erscheint das Gebäude, welches optisch aus der Reihe tanzt. Nur drei Etagen hoch, relativ breit, aber auffällig gut gepflegt. Neben dem Hotel steht das gleichnamige Restaurant. Ein Fünf-Sterne-Resort mit Spa-Bereich mitten im Nichts. Hier kommt man hin, wenn man die Seele baumeln lassen möchte, wenn man Zeit mit Freunden oder der Familie verbringen will, oder wenn man eine Veranstaltung abseits der Großstadt Erbil durchführen möchte. In Kurdistan wurden alle Silvesterfeiern verboten, um neue Corona-Infektionen zu verhindern. So sind heute gerade mal drei Gäste im Hotel.
Das Hotel bietet alles, was man in dieser Klasse erwartet: Schöne Zimmer, große Suiten, Fitnessräume, Dampfbad, Sauna, Massagen und einen Außenpool. Aber vor allem bietet es eines: Den atemberaubenden Ausblick über den Fluss auf Barzan – eine der schönsten Gegenden Kurdistans.
Bei 19 Grad und Sonne kann man auf die schneebedeckten Gipfel Richtung Iran blicken. Nur kurze Zeit später geht auf der anderen Seite die Sonne unter und hüllt alles in ein rot-orangenes Licht. Die Mitarbeiter sind so freundlich und professionell, wie man es von dieser Region und der Hotelklasse erwarten würde.
Das Abendessen wird im angeschlossenen Restaurant serviert, dessen Gebäudeform an ein Boot erinnert. Der Manager der beiden Einrichtungen war früher selber Journalist. Nun arbeitet er zusätzlich als Dolmetscher und übersetzt Bücher vom Arabischen ins Englische und andersherum. „Das Hotel ist schön. Etwas für die Seele. Aber ich brauche auch etwas für den Kopf, was mich richtig fordert“, erklärt er die ungewöhnliche Kombination von Beschäftigungen.
Das Restaurant verfügt über einen Glasboden, durch welchen man auf den darunterliegenden Fluss blickt. Von der Terrasse aus sieht man den kleinen Wasserfall und die vorbeiführende Straße. Es sind wenige Gäste anwesend – eine Familie mit Kindern, welche den Fluss beobachtet und eine Gruppe von jungen Frauen, die Wasserpfeife rauchen und Selfies machen.
Das Essen ist gut und reichlich. Das Brot wird, wie hier üblich, selber gebacken. Die Karte deckt von Pizza bis zu klassischen kurdischen Gerichten alles ab.
Auch hier ist Corona das große Thema. Eigentlich lebt man hier gut vom Tourismus. In diesem Jahr musste man irgendwie durchkommen. Ohne „Novemberhilfe“ oder „Überbrückungshilfe“ und ohne allen im Dorf zu kündigen und so der Gemeinschaft hier zu schaden.
In wenigen Stunden bricht das neue Jahr an. Dieser Ausblick ist ein guter Anfang.