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Die Internationale Rüstungsmesse Milipol

Stand des französischen Innenministeriums

Vor der Messe in Paris, nahe dem Flughafen Charles de Gaulles, stehen fünf junge Männer. Würde man Menschen ihrer Erscheinung nach in Schubladen einteilen, kämen diese in die Schublade derer, die am Wochenende in den Vororten von Paris Steine auf Polizeiwagen werfen. Sie unterhalten sich, spielen am Handy, gammeln rum. Das erste, was nicht ins Bild passt, ist jedoch ihr belgischer Schäferhund, welcher aufmerksam den Strom von Menschen beobachtet, immer wieder prüfend die Luft riecht und einzelne Personen fixiert. Schaut man genauer hin, bemerkt man, dass die jungen Männer sich beim Unterhalten gar nicht ansehen. Sie sehen aneinander vorbei, ebenfalls in die Menge. Auch auf ihre Handys achten sie nicht. Die halten sie nur in der Hand. Beim näherkommen, bemerkt man die offenen, weiten Jacken, welche an den Hüften ausgebeult sind. Wer vom Fach ist, erkennt die „Schwerlast“-Gürtel, welche sie tragen. An den Hüften Pistolen, Magazine und ein Funkgerät.

Die zunächst unauffälligen Männer gehören zu einer Spezialeinheit des französischen Innenministeriums. Sie und viele ihrer Kollegen schützen die Internationale Rüstungsmesse „MiliPol“ welche regelmäßig im Parc d’Expositions Villepinte seine Pforten für Fachbesucher öffnen.

Auf der Messe

Überblick über Halle 5 der Milipol 2023

Unter einer Waffenmesse stellen sich Aussenstehende oft abgehalfterte Halbkriminelle vor, welche aus dem Kofferraum ex-Sowjet Waffen verkaufen. Das war in den 1990er Jahren sicherlich ab und zu der Fall – doch auch damals schon wurden die großen Deals in üppigen Büros oder der Lobby eines Luxushotels gemacht. Die Branche heute, gerade innerhalb der Europäischen Union, ist anders. Die hier vertretenen Hersteller haben große Stände mit vielen Mitarbeitern, welche Fachfragen und Mengenrabatte beantworten können. Alles ist streng reglementiert. „Aber nichts ist schlimmer, als das Finanzamt“ erklärt einer der Unternehmensvertreter. „Mag sein, dass man in den 90ern ein sowjetisches Atom-U-Boot kaufen konnte – aber in Deutschland nicht ohne ordentliche Quittung“. Es sind Mittelständische Unternehmen, welche zum Beispiel gepanzerte Fahrzeuge verkaufen, schußsichere Westen entwickeln und produzieren oder die Linsen in Zielfernrohren verbessern. Dort arbeiten Ingenieure, Sachverständige und alle möglichen Bürokräfte. Es gibt Auszubildende in der Buchhaltung und im Handwerk, Prämien für neue Ideen und Tariflohn. Die großen Rüstungskonzerne mit ihren Panzern und Hubschraubern sind hier nicht vertreten, dafür gibt es die entsprechende Messe Eurosatory im nächsten Jahr. In Deutschland arbeiten rund 150.000 Menschen in der Rüstung. Sie erwirtschafteten ein Exportvolumen von mehr als acht Milliarden Euro im Jahr 2022.

Es gibt die Stände mit den üblichen und zu erwartenden Dingen: Handfeuerwaffen, größere Maschinengewehre, Zielfernrohre, schußsichere Westen, Kleidung, ein paar Fahrzeuge. Hier gibt es nicht jeden Tag etwas Neues, nicht den einen heißen Trend, den alle mitmachen. In diesen Bereichen ist weiterhin ganz klassisch Materialkunde, Forschung, Entwicklung und Handwerkskunst notwendig. Wenn man die Messen regelmäßig besucht, fällt einem auf, dass der Großteil der Innovationen weiterhin aus den EU Ländern und den USA kommen. Selten aus Asien, eigentlich nie aus Afrika, Südamerika oder Australien.

Drohnen und deren Abwehr

Drohne der lettischen Firma Origin UAV
Drohne der lettischen Firma Origin UAV

Aber die Ecke der Erstaussteller lohnt sich. Nicht jeder einzelne Aussteller dort. Sogar die meisten nicht. Aber der eine oder andere spannende Treffer ist dabei. So präsentiert das lettische Unternehmen Origin UAV eine noch tragbare Drohne, welche sechs Handgranaten mit Finnen für einen stabileren Flug, abwerfen kann. Mein erster Gedanke: Das sieht aus, wie die selbstgebauten Drohnen, welche seit dem 24.02.2022 in der Ukraine eingesetzt werden. Nur professioneller. Und tatsächlich: Das war die Idee und das ist das gedachte Einsatzgebiet. Früher hätte man mit so etwas auf dieser Messer wohl kaum punkten können. Handgranaten per Drohne in einen Panzer – die Erfolgschancen hätte man auf null geschätzt und auf die vorhandenen Panzerabwehrwaffen verwiesen. Doch in den vergangenen achtzehn Monaten hat die Welt gelernt, wie erfolgreich so etwas sein kann. Die Drohne kann per Hand gesteuert werden, Wegpunkte per GPS Abfliegen oder beim Ausfall beider Steuerarten per Trägheitsnavigation den Weg zurück finden. Alles bedacht. Und dazu kostet ein Set, bestehend aus Bodenstation mit Anti-Jamming Funktion und mehreren Drohnen weniger, als eine moderne Panzerabwehrwaffe.

Helicopter-artige Drohnen mit mehreren Rotoren sieht man auf diesen Messen seit mehr als 20 Jahren. Früher wurde die Traglast in Gramm angegeben und die Reichweite der Fernbedienung in Metern. Irgendwann kam jemand darauf, eine Kamera daran zu montieren, welche ein wackeliges Bild halbwegs übertragen konnte. Bahnbrechend. Heute sind Wärmebildkameras, bis zu 100kg Traglast und unbeschränkte Reichweite der Fernbedienung dank Handy- oder Satellitenverbindung schon üblich. Daher ist es so schwer sich von den Mitbewerbern abzuheben. Drohnen, die vor zwanzig Jahren hunderttausende Dollar gekostet und von der CIA eingesetzt worden wären, bestellt man heute bei Amazon und schenkt sie dem Kind.

Diese Drohnen und deren Abwehr machen inzwischen einen großen Teil der Messe aus. Eigentlich müsste man einen Wettkampf der Hersteller austragen: Drohnen Hersteller gegen Drohnen-Abwehr Hersteller. Doch für so viel Spass sind die Leute hier dann doch nicht zu haben. Und es geht um große, wichtige Aufträge. Die will niemand durch einen verlorenen Wettkampf in Frage stellen lassen.

Cyber cyber cyber

Innenleben einer älteren Kunststoff-Keramik-Platte aus einer Weste
Innenleben einer älteren Kunststoff-Keramik-Platte aus einer Weste

Und genau um solche Trends zu sehen, geht man zu diesen Messen. Welcher Rüstungsbranche es gut geht und welche man einfach nicht mehr sieht, erkennt man gut an der An- oder Abwesenheit sowie der Größe der Stände. Ein weiteres wachsendes Feld ist Cybersecurity. Der Begriff ist aber inzwischen so ausgelutscht wie „Turbo“, „Online“ oder „Betatest“. Viele Anbieter buhlen um die Schlagwörter an den Ständen, welche teilweise keinen Sinn mehr ergeben. Für einen normalen Kunden fällt es immer schwerer, die guten von den schlechten Anbieter zu unterscheiden. Doch das geht nicht nur beim „Cybern“ so, sondern eigentlich bei allen Produkten. Auch bei Fahrzeugen und Westen.

Vor Ort in den Kriegs- und Krisengebieten erleben wir immer wieder, wie Menschen mit alten schußsicheren Westen hantieren. Teils wirklich noch Stahlplatten, teils Keramik. Alles Dinge, die in meiner Schulzeit aktuell waren. Aber danach nicht mehr. Die guten Hersteller haben schon vor Jahren auf Kunststoff umgestellt und das Gewicht so um 60-70% reduziert. „Aber versuch das mal einem normalen Kunden zu erklären“ beklagt sich einer der guten Hersteller. „Wir machen und tun, wir entwickeln, testen selber und zertifizieren. Das Ergebnis ist Weltspitze. Nach ein paar Jahren bauen es die Chinesen nach. Nicht wirklich so sicher, aber billiger. Und dann kaufen die Kunden immer noch Technik aus dem letzten Jahrtausend.“

Nicht neu – aber besser

Am Gruppenstand des Staates Israel kann man eine Echtzeit-Videoüberwachung ansehen. Der Monitor zeigt mich an als „Männlich, 40-45 Jahre alt, war heute schon zwei mal hier“. Die Mitarbeiter des Standes erkennt die Software per Namen. Auch, wenn sie ein Tuch bis über die Nase ziehen. Auch, wenn sie eine Mütze und eine Sonnenbrille aufhaben. „Damit werden derzeit auch die Hamas Terroristen erkannt“ erklärt ein Mitarbeiter. Im Hintergrund laufen Aufnahmen der Bodycams der Hamas vom 07.10.2023. Die Software kann sagen, wer wie oft wo war und welche Personen zusammen unterwegs waren. Sie kann aber auch ein ganzes Stadion oder einen Flughafen überwachen. „Damit bekommen wir jeden einzelnen. Vielleicht erst in Jahren. Aber wir bekommen sie!“. Technik, welche man sich nach dem Angriff auf das olympische Dorf 1972 nur hätte wünschen können. Andererseits wie aus Orwells größten Phantasien.

Auch Videoüberwachung und -erkennung gab’s vor Jahren hier zu sehen. Damals hat man eine Minute still in die Kamera geguckt, um nach weiteren Minuten das Ergebnis zu bekommen „34% sicher, dass es ein Mensch ist“. Die Ideen an sich sind nicht neu. Aber die Technik gibt langsam das her, was man sich ursprünglich als Ergebnis gewünscht hat.

Weiterhin gibt es Stände, welche Säbel und Paradeuniformen bewerben. Sie stellen alles her, was man braucht. Bis hin zu Pickelhauben oder Schürzen für Pferde. Eine Nische – aber eine gut bezahlte.

Menschen und Hunde – ohne geht es nicht

Polizeihund im Streit mit einem Stofftier
Polizeihund im Streit mit einem Stofftier

Die Messe wird permanent mit Suchhunden abgegangen. Da es weder Munition noch benutze Waffen auf den Ständen gibt, dürften die Hunde keine Sprengstoffspuren auf den Ständen finden. Einer der Hunde fühlt sich von einem Stoffhund im Kampfmontur provoziert und versucht ihn zu erlegen. Die Hundeführerin versucht zu vermitteln – ihr Hund möchte den Stoffhund aber weiter ausschalten.

Patches von NAFO und Saint Javelin
Patches von NAFO und Saint Javelin

Der Ukraine Krieg ist irgendwie allgegenwärtig, die terroristische Angriffe der Hamas auch. Aber kaum jemand spricht es aus oder zeigt es klar auf dem Stand. Ein Soldat hat je einen Patch der „NAFO Fella“ und der Crowdfunding Kampagne St. Javalin an der Tasche, beide mit Bezug zum Krieg in der Ukraine.

Werben mit dem Krieg
Werben mit dem Krieg

Der türkische Hersteller Nurol Teknologi wirbt damit, dass seine schußsicheren Westen das Leben von Soldaten in der Ukraine gerettet haben. Nachdem ihnen dies bekannt wurde, bauten sie Kontakt zum getroffenen Soldaten auf und brachten die Platte aus der Weste zurück, um sie auf Messen zeigen zu können.

Doch sonst? Wenig Bezug zum echten Krieg. „Gut, dass unsere Produkte da schützen. Aber auf die Kriege könnten wir gut verzichten. Die bringen nur Leid. Wir könnten auch bequem von den normalen Aufträgen leben. Militär und Polizei brauchen immer unsere Ausrüstung – auch in Friedenszeiten“ – Fasst es ein Mitarbeiter eines deutschen Rüstungsunternehmens zusammen.

Am Nachmittag wird es ruhiger. Alle sind müde vom Tag, die Situation entspannt sich, die Gespräche werden länger und privater. Der erste Tag der MiliPol in Paris ist vorbei. Auf dem Weg raus ist die Gruppe der jungen Polizisten vor der Tür nicht mehr zu sehen. Nun stehen uniformierte Kräfte dort und beobachten die langsam leerer werdende Messehalle. Drei Tage noch. Dann kehrt hier wieder Normalität ein und die Stände der Rüstungsunternehmen ziehen zur nächsten Messe weiter.

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