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Iran: Es geht nicht nur ums Kopftuch

Der Ermordung der Kurdin Mahsa (Zhina) Amini durch die iranische „Sittenpolizei“ löste eine Welle von Protesten im gesamten Land aus. Aber es geht dabei nicht nur um die Kopftuchpflicht. Die Proteste sind Ausdruck eines viel umfassenderen und größeren Problems. 

Proteste im Iran. Foto: Darafsh
Proteste im Iran. Foto: Darafsh

Nach Angaben der Iranischen Menschenrechtsgruppe (IHR) sind in den elf Tagen des Protestes bisher mindestens 76 Menschen getötet worden und mehrere hundert festgenommen worden. Dennoch bleibt abzuwarten, ob diese Proteste zu einer dauerhaften Änderung des Systems führen. Aus der westlichen Sicht mögen die Videos wie ein Lauffeuer im ganzen Land wirken, bei genauerer Analyse sieht man jedoch wenige tausend Menschen. Viel für den Iran, doch in ein Land mit mehr als achtzig Millionen Einwohner eine kleine Gruppe.

Aktivisten werden oft zu langen Haftstrafen verurteilt oder gefoltert. Für die Beteiligung an Protesten 2019 wurden Amirhossein Moradi, Saeed Tamjidi und Mohammad Rajabi zum Tode verurteilt. Später wurde die Strafe auf eine lebenslange Freiheitsstrafe reduziert. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch führen iranische Gerichte „regelmäßig keine fairen Verfahren durch“ und erzwingen Geständnisse durch Folter. Das Risiko, welches die Teilnahme an einer Demonstration birgt, dürfte vielen Iranern zu hoch sein.

Frauen werden im Iran systematisch und auf allen Ebenen diskriminiert. Verheiratete Frauen benötigen die Erlaubnis ihres Mannes für Dinge wie Auslandsreisen und die Ausstellung eines Reisepasses. Es gibt jedoch keine Gesetze, welche häusliche Gewalt unter Strafe stellen. Teile dieses Systems wurden im Film „Nicht ohne meine Tochter“ beschrieben, welcher 1991 in den deutschen Kinos lief.

Anfang diesen Jahres wurde die siebzehnjährige Ghazaleh „Mona“ Heydari von ihrem Ehemann ermordet. Sie hatten ein dreijähriges Kind, sie muss also bereits mit dreizehn Jahren schwanger gewesen sein. Ihr Mann trennte ihren Kopf ab und lief mit diesem lächelnd durch die Straße. Die Nachrichtenagentur Rokna zeige Bilder des Täters und wurde dafür von der iranischen Regierung geschlossen. In der Folge wurde eine Petition gegen Gewalt gegen Frauen auf einer iranischen Petitionsplattform gestartet. Diese wurde bis heute von 1.576  Personen unterzeichnet. https://www.daadkhast.org/petition/225507

Auch Minderheiten wie die Kurden werden systematisch diskriminiert. Nachdem Zahra Mohammadi ihren Kindern Kurdisch beibrachte, wurde sie dafür zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Kinder dürfen auch keine kurdische Namen im Pass führen. Daher haben Kurdinnen und Kurden im Iran oft einen eingetragenen und einen inoffiziellen Rufnamen. So auch im Fall von Mahsa Amini, dessen kurdischer Name Zhina im Iran schlicht verboten ist.

Die kurdischen Provinzen im Iran weisen die höchsten Arbeitslosenquoten des Landes auf. Es fehlt an Arbeitsplätzen, Investitionen und Unterstützung der Regierung. Veröffentlichungen in kurdischer Sprache und kulturelle Aktivitäten werden stark eingeschränkt.

Der aktuelle Protest wird vor allem von technikaffinen jungen Frauen und Männern angeführt. Auch deswegen wird der Zugang zu Sozialen Netzwerken und zeitweise zum gesamten Internet eingeschränkt. Die Webseite NetBlocks bezeichnete dies als den schwersten Ausfall seit der Abschaltung des Internets während der Proteste 2019. 

Seit mehreren Tagen gibt es immer weniger Videos und Fotos der Proteste im Internet – die Einschränkungen zeigen also bereits eine gewisse Wirkung nach außen. Das Regime in Teheran hatte wenige Tage nach Beginn der Proteste Instagram und WhatsApp bereits komplett gesperrt, auch der Zugriff auf Google-Dienste ist mittlerweile kaum noch möglich.

Es geht bei den Demonstrationen im Iran am Ende um deutlich mehr, als das Kopftuch. Es geht um die systematische Diskriminierung und Unterdrückung vieler Minderheiten, den Mangel an Frauenrechten und die ultrareligiöse Doktrin, welche das Regime seinen Bürgerinnen und Bürgern aufzwingt. 

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