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Kurdistans Landwirtschaft neu starten

„Als ich hier vor Jahren angefangen habe, haben mir alle davon abgeraten. ‚mach was mit Öl‘ oder ‚werde Politiker‘ waren die Tipps. Und jetzt bauen wir hier auf 1,2 Millionen Quadratmetern das größte Projekt dieser Art im Nahen Osten. Dahin steht das größte Kühlhaus des Irak. Bisher wurden 120 Millionen investiert, 100 folgen noch. Alles privat finanziert“, sagt Rawas Ibrahim, während wir in einem Labyrinth von Hallen, Straßen und Rohbauten stehen. Das „Green Eastland“, wie das Projekt heisst, steht am Rande der kurdischen Hauptstadt Erbil. In der Autonomen Region Kurdistan leben derzeit rund sechs Millionen Menschen, davon eine Million Flüchtlinge aus dem Rest-Irak und aus Syrien. Diese sollen irgendwann wieder komplett selber versorgt werden. Doch wo fängt man an?

Am Anfang stand eine Brachflächen neben der Millionenstadt Erbil. Und ein lokaler Markt, der ganz anders funktioniert, als in Deutschland. Viele der kleinen Händler hier haben ein paar Tiere, oft Ziegen, Hühner, Schafe oder wenige Kühe. Diese geben Milch und Eier oder werden geschlachtet und dann vom Pickups aus am Strassenrand verkauft. Auf der anderen Seite gibt es große Shoppingmalls mit großen Supermärkten, wie Carrefour. Diese völlig verschiedenen Businessmodelle unter einen Hut bekommen ist schwierig, aber möglich. Dem Vorbild des Marché International de Rungis in Paris folgend sollen hier alle großen und kleinen Händler sowie alle Zulieferer an einem Ort vereinigt werden.

Das heisst, dass man kleine Mengen direkt vom Wagen aus anbieten kann, wie man es bisher gewohnt ist. Man kann aber auch eine überdachte Parzelle im freien erwerben und dort seine Ware permanent anbieten. Dabei kauft man den Grund, auf dem die Parzelle steht. Möchte man weiter aufsteigen, kauft man eine Parzelle in einer der riesigen Hallen, die ähnlich wie eine Messehalle aufgebaut ist. Man kann mit dem LKW in die Halle fahren und einen Marktplatz befüllen. Über dem eigenen Platz ist ein Büro von rund 25 qm, in dem man seine Verwaltungsarbeiten erledigen kann. Sollte man verderbliche Güter anbieten, kann man in den riesigen Kühlanlagen ein Abteil von 100 qm mieten oder kaufen. Aus westlicher Sicht könnte die Anlage damit fertig sein. Doch hier braucht man mehr. Und dafür ist es wichtig, die lokalen Gegebenheiten zu kennen.

Neben dem Handelsplatz stehen bereits Gewächshäuser, in denen Tomaten, Erdbeeren und Gurken angebaut werden. Die Anlage wird in mehreren Schritten auf 750.000 Quadratmeter erweitert. Es werden modernste Gewächshäuser aus den Niederlanden verwendet, welche eine Aufzucht ohne Pestizide und mit wenig Wasser ermöglichen. „Wir machen hieraus das Holland des nahen Ostens. Alles nach EU Standards. Das ist auch den Leuten hier wichtig. Aber auch, dass die Verarbeitung und das Packaging direkt hier erledigt werden. Wir kaufen demnächst ein Frachtflugzeug, um überschüssige Ware in die EU zu exportieren“. Ganz offensichtlich bleibt das Motto hier: Nicht kleckern, sondern klotzen.

Im 60.000 qm großen Kühlhaus lagert derzeit nur eine Ware: Bananen. So weit das Auge reicht. Da Bananen unreif geerntet und transportiert werden, gibt es hier auch Reifekammern, in denen die Bananen reifen, bis sie essbar sind. In den kleineren Kühlkammern findet man auch Äpfel und andere verderbliche Waren.

Natürlich sollen auch weitere Unternehmen angelockt werden. So wird bereits ein großes Hochregallager nach europäischer Norm benutzt. „Alles nach ISO eingerichtet und beschriftet und so sauber, dass man vom Boden essen kann. Und Investoren brauchen keine Angst zu haben, dass sie in die Schlagzeilen geraten, weil das Gebäude dreckig ist, einstürzt oder hier Kinder arbeiten“, erklärt Rawas weiter. Auch ich darf nur nach Anmeldung und mit Warnweste auf den markierten Wegen laufen, um nicht mit den Gabelstaplern zu kollidieren. Ein schweizer Partner vertreibt von diesem Logistik-Hub aus seine Baby-Milch-Produkte. Irak ist sein zweit wichtigster Markt, sie liefern in 53 weitere Länder.

Auch heute gibt es hier noch Analphabeten und Menschen, die nur eine rudimentäre Schulbildung genossen haben. Für diese soll es eine Aus- und Weiterbildung geben. Dort soll man von einfachen Sprachkursen bis zur Promotion alles machen können. Einfache lokale Bauern sollen so ihr Business auf- und ausbauen können. Im gleichen Gebäude entsteht ein Forschungs- und Entwicklungslabor. Dort können zum Beispiel europäische Unternehmen testen lassen, ob ihr Saatgut in Kurdistan funktioniert.

Auf der anderen Seite entsteht eine Unterkunft für die LKW Fahrer, damit diese nach einer langen Fahrt nach dem Entladen Feierabend machen können, ohne sich noch eine günstige Unterkunft suchen zu müssen.

Am Ende wird dieses Projekt also den Bogen von den kleinsten lokalen Bauern bishin zu den großen Playern der Region spannen und dabei werden weder die LKW Fahrer, noch Analphabeten vergessen.

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