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Ist Europa vom Terrorismus bedroht?

Dass Europa von Terrorismus bedroht ist, war nie ein Geheimnis, wird aber ungern thematisiert. Die großen Anschläge wie im Bataclan-Theater und auf die Charlie Hebdo Redaktion 2015 in Paris sind schon in ferne Erinnerung gerückt. Der uns nähere Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz 2016 ebenfalls. Selbst die Bedrohung durch einen russischen Angriff wird gerne kleingeredet oder völlig in Abrede gestellt. Sowohl Polizei als auch Bundeswehr haben Nachwuchsprobleme. Die öffentlichen Meinungen zu Anti-Terror-Einsätzen gehen weit auseinander. Verschwörungstheorien vom „Killerkommando“ GSG 9 sind seit Jahrzehnten beliebt, wenn auch faktenlos. Die Erfolge werden oft weniger wahr genommen. 

Taliban in Kabul, September 2021
Taliban in Kabul, September 2021

Die Terroristen hingegen haben dieses Problem der öffentlichen Meinung nicht. Sie sind nicht demokratisch legitimiert, müssen keine Rechenschaft ablegen, keine Ausgaben rechtfertigen. In den letzten Jahren haben sich verschiedene terroristische Gruppen wie der Islamische Staat (IS) und Al-Qaida verstärkt darauf konzentriert, westeuropäische Länder ins Visier zu nehmen. Und am Ende ist es wie das Torwart-Problem beim Fußball: Für einen Erfolg müssen unsere Sicherheitsbehörden jeden Angriff abhalten, die Terroristen aber nur einmal „punkten“.

Der Einfluss von IS und Al-Qaida

Sowohl der IS als auch Al-Qaida haben das Ziel, in Europa großangelegte Angriffe durchzuführen, vergleichbar mit den Terroranschlägen in Paris im Jahr 2015 und Brüssel im Jahr 2016. Insbesondere der Ableger des IS in Afghanistan, bekannt als ISKP, und der nordafrikanische Ableger von Al-Qaida, AQIM, haben ihre Fähigkeiten erweitert und zielen darauf ab, Operationen in europäischen Ländern durchzuführen. Diese Gruppen sind bestrebt, neue Mitglieder aus lokalen Gemeinschaften zu rekrutieren, um ihre Aktivitäten auszubauen und zu verstärken. Bei den Anschlägen in Paris 2015 waren die meisten Terroristen französische oder belgische Staatsbürger. 

Die Rolle von Rückkehrern und Radikalisierung

Eine der größten Bedrohungen für Europa ist die Rückkehr von EU-Bürgern, welche freiwillig in Konfliktgebieten wie Syrien und dem Irak aufseiten der Terroristen gekämpft haben. Auch die Bundesregierung investiert viel Geld, um die Familie der Terroristen zurückzubringen. Kolonnen von Fahrzeugen fahren in unserem Auftrag aus der kurdischen Hauptstadt Erbil im Irak zum Gefängnis Al-Hol in Syrien, holen die Gruppen von Menschen ab, bringen sie zum Flughafen und fliegen sie direkt nach Frankfurt. Eine Verurteilung in Deutschland ist schwierig. Den Opfern wird oft nicht ausreichend geglaubt. 

Doch das größte Problem sind die Terroristen, die nie inhaftiert wurden und einfach zurückfliegen können. Diese Rückkehrer können als Organisatoren und Anstifter agieren und ihr Wissen und ihre Erfahrungen nutzen, um jihadistische Netzwerke aufzubauen und Anschläge zu ermöglichen. Ebenso versuchen terroristische Organisationen wie der IS und Al-Qaida gezielt aus den muslimischen Gemeinschaften in Europa zu rekrutieren. Hier insbesondere aus den nordkaukasischen und zentralasiatischen Gemeinschaften, um Anschläge durchzuführen.

Teilweise gründen sich auch eigene Gruppen in der EU, welche durch Anschläge auf sich aufmerksam machen wollen. So wollen sie in eine der großen Terrorgruppen aufgenommen werden.

Die Rolle der Sahel-Region und Afghanistan

Die instabile Lage in der Sahel-Region und in Afghanistan trägt ebenfalls zur Bedrohung des Terrorismus in Europa bei. Der wachsende Einfluss von AQIM in der Sahel-Region, vornehmlich in Mali, Burkina Faso und Niger, bietet terroristischen Gruppen Möglichkeiten, ihre Netzwerke aufzubauen. Gleichzeitig hat der Aufstieg der Taliban in Afghanistan die Stärke des ISKP erhöht. Dieser ist zunehmend in der Lage, Operationen außerhalb Afghanistans durchzuführen und Freiwillige aus Europa zu gewinnen.

Diese werden ausgebildet, radikalisieren sich gegenseitig und leben in ihrer Scheinwelt, in der sich die ganze Welt gegen sie verschworen hat.

Die Rolle der Radikalisierung und Propaganda

Die Radikalisierung innerhalb der islamistischen Gemeinschaften in Europa ist ein weiterer Faktor, der zur Bedrohung des Terrorismus beiträgt. Terroristische Organisationen nutzen die Unzufriedenheit und den Ärger über Vorfälle wie das Verbrennen des Korans, um Radikale zu rekrutieren. Sie versuchen, diese Einzelfälle auf die gesamte Bevölkerung zu projizieren. Anschließend nutzen diese Unzufriedenheit, um Anschläge gegen den Westen zu planen und durchzuführen. Die Propaganda von IS und Al-Qaida verstärkt diese Botschaften und ruft zur Rache auf.

Ein Aussteiger erklärte in einer Befragung, er sei fest davon überzeugt gewesen, dass die Damen-Unterwäsche-Geschäfte in Malle nur einen Zweck hatten: Muslime zu beleidigen. Dass aus muslimische Frauen Dessous tragen und es nicht vom Glauben abhängt, wollte er nicht wahrhaben. Dass dem Hersteller die Meinung der islamistischen Terroristen völlig egal ist, konnte er sich nicht vorstellen. In seinem Weltbild drehte sich zu der Zeit alles um sich – der Rest der Welt richtet seiner Vorstellung nach sein Handeln an ihm aus.  

Die Rolle der Sicherheitsbehörden und Präventionsmaßnahmen

Die Sicherheitsbehörden in ganz Europa spielen eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung von Anschlägen und der Bekämpfung des Terrorismus. Regelmäßig sind sie jedoch auf Hinweise von US-Sicherheitsbehörden hingewiesen. Diese können die Kommunikation besser überwachen, als es ihre europäischen Kollegen dürfen. Die europäischen Behörden bemängeln dies immer wieder und fordern weitreichende Möglichkeiten der Überwachung. Die jeweiligen Spezialeinheiten sind gut ausgebildet und seit 2015 auch besser ausgestattet. Dennoch klagen viele über Nachwuchsprobleme und zu langsame Ermittlungserfolge. Ohne einen Terroristen identifiziert zu haben, kann man ihn nicht festnehmen. 

Die Rolle der Europäischen Union

Die Europäische Union hat ebenfalls Maßnahmen ergriffen, um die Bedrohung des Terrorismus einzudämmen. Sie hat Initiativen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus ergriffen, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten verbessert und Maßnahmen zur Prävention und Deradikalisierung gefördert. Die Europäische Union spielt eine wichtige Rolle bei der Koordinierung der Maßnahmen gegen den Terrorismus auf europäischer Ebene. Doch auch die europäischen Ermittlungsbehörden beklagen zu wenige Mitarbeiter und zu wenig Befugnisse. Sie warnen auch vor dem Einfluss Russlands auf die rechtsextreme Szene. Während die Gefahr von islamistischem Terrorismus wahr genommen wird, wird die Gefahr von Rechts oft nicht gesehen. Ein häufiges Argument ist, dass „Ausländer“ ein Problem mit unserer Lebensweise hätten, Bürger der EU jedoch nicht. Auch, wenn die Erfahrung zeigt, dass beide Gruppen ihre Terroristen lokal rekrutieren. 

Die Auswirkungen auf die europäische Gesellschaft

Die Bedrohung des Terrorismus hat auch Auswirkungen auf die europäische Gesellschaft. Die Angst vor Anschlägen und die zunehmende Radikalisierung einiger Individuen haben zu Spannungen und Misstrauen geführt. Auf der anderen Seite lebt Europa von seiner offenen und modernen Gesellschaft, welche noch relativ wenig überwacht wird. Die Mehrheit der Bevölkerung setzt auf die Förderung von Toleranz, Dialog und Integration. Was ein Krieg bedeutet, kann sich kaum jemand in der EU vorstellen. Dies ist zum einen eine positive Entwicklung, macht es denen, die davor warnen wollen, aber schwer. 

Die Bedrohung des Terrorismus in Europa bleibt hoch, der Anspruch auf eine offene Gesellschaft mit strengem Datenschutz aber auch. Die Europäische Union und die europäische Gesellschaft als Ganzes müssen in Zukunft sehen, wie sie dieses Spannungsfeld meistern wollen. 

Oder wie es Benjamin Franklin das Dilemma erklärte: „Diejenigen, die ihre grundlegende Freiheit aufgeben würden, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erkaufen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.“

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