Als Saddams Laster kamen – der Barzani Anfal
Vor Jahrhunderten gründeten sieben kurdische Stämme in Barzan – das liegt im heutigen Kurdistan-Irak – eine Föderation: Die Barzani.
Zu den Stämmen gehören die Sherwani, Muzuri, Beroji, Nizari, Dolomari und Gerd, welche aus Muslimen, Juden und Christen bestanden. Die Idee der Barzani war es, ein friedliches Leben für alle Menschen zu ermöglichen. Gleichberechtigung für alle Religionen und Geschlechter sowie den Schutz der Natur. Auch heute darf man in Barzan nicht jagen und keine Bäume fällen. Früher galt das Jagdverbot nur zur Brutzeit, später kam ein Verbot des Dynamitfischens dazu. In Barzan standen schon vor mehr als dreihundert Jahren eine Synagoge, eine Moschee und eine Kirche direkt nebeneinander. Sie symbolisierten das friedliche Zusammenleben.
Den irakischen Herrschern war diese Lebensweise und diese unabhängig agierende Föderation schon lange ein Dorn im Auge, doch die Barzani wollten sich den Herrschern, wer auch immer es gerade war, nicht beugen. Am 10. Juni 1932 griff die irakische Armee zusammen mit der britischen Royal Airforce Barzan an, um dem ein Ende zu bereiten. In den folgenden Jahren wurden 79 Dörfer zerstört und 2.382 Familien vertrieben. Bis 1945 folgten 35 weitere Dörfer. Danach mussten 15.000 Zivilisten durch die Berge in den Iran fliehen, nur um zwei Jahre später von der iranischen Armee zurück in den Irak getrieben zu werden.
Der Ort Barzan wurde in seiner Geschichte sechzehn mal zerstört, zuletzt von Saddam Hussein. Genau so oft bauten die Barzani ihren Ort wieder auf – „Jedes mal schöner und prachtvoller als zuvor“, erklärt mir ein Bewohner vor Ort.
Anfang der 1980er Jahre fasste Saddam Hussein den Entschluss, die Barzani ein für alle Mal auszurotten – in der Hoffnung, dass sich ihm das restliche kurdische Volk dann füge. Ein Irrglaube, wie sich schnell rausstellte, woraufhin er 1988 versuchte, alle irakischen Kurden durch Giftgas zu ermorden.
Am 31. Juli 1983 fuhren die Laster und Busse der irakischen Armee in Barzan vor. Sie nahmen 8.000 Männer, Frauen und Kinder mit. Der Weg führte nach Süden in die irakische Wüste, kurz vor der Grenze von Saudi-Arabien. Eines der Ziele hatte Saddam „Camp Quds“, also „Lager Jerusalem“ genannt.
Da die Barzani mitten in der Wüste interniert waren, gab es keine Fluchtmöglichkeiten. Sie mussten aus ihren Lagern heraus zusehen, wie ihre Verwandten und Bekannten nach und nach ermordet wurden. Die Ermordung lief mit einfachen Mitteln und in Handarbeit ab – was einen größeren Zeitaufwand mit sich brachte. Zunächst wurden Gräber ausgehoben, die lang genug waren, dass eine Leiche hineinfallen konnte. Den Aushub konnte man dahinter als Kugelfang benutzten.
Saddam orientierte sich dabei an einer Anleitung, welche die deutsche Wehrmacht nach dem Beginn des Holocaust in Babyn Jar erstellt hatte. Ein Schuss nach dem anderen wurde in die Köpfe der Leute abgegeben. Sie fielen in das Massengrab, welches dann mit einem Bagger zugeschoben werden konnte. Doch irgendwann ging den Irakern diese Art des Massenmordes zu langsam, außerdem stellte sie sich als zu kompliziert in der Handhabung heraus. Also hoben sie größere und tiefere Gräber aus. In diese wurden die Barzani einfach hineingestoßen und dann lebendig vom Bagger zugeschüttet. Das Loch war jeweils tief genug, um noch weitere Schichten von Menschen darauf zu legen und diese ebenfalls lebendig zu beerdigen. Am Ende waren alle 8.000 Menschen tot.
„Da liegen 65 Verwandte von mir“, erklärt mir ein Kurde beim Anblick der Bilder. „Die Familie von meinem Bruder existiert nicht mehr. Niemand“. Nur rund 500 Leichen, oft nicht mehr identifizierbar, wurden geborgen und nach Barzan zurück gebracht. Die Grabsteine haben keine Namen. Auf den Gräbern liegen Steine, wie man es auch von jüdischen Friedhöfen gewohnt ist.
Als im Irak vor Kurzem weitere Leichen gefunden wurden, ließ der Irak diese nicht bergen und bestand auf einer irakischen Flagge auf den Gräbern. Dort eine kurdische Flagge anzubringen wurde explizit verboten. Der Hass auf die Kurden, und vor allem auf die Barzani, sitzt bis heute tief in weiten Teilen des Irak. Die vorbereiteten Gräber in Barzan blieben leer.
Neben dem Friedhof von Barzan ist das Dokumentationszentrum des „Anfal“, wie der Massenmord an den Kurden in der Landessprache heisst. Hier sind die grausamen Aufnahmen des Abtransportes, der Camps, sowie der Leichen zu sehen. In langen Vitrinen werden die Artefakte gezeigt, die aus den Gräbern gerettet werden konnten.
Dabei sind auch viele Ausweise – wie der eines 1969 geborenen Jungen, welcher seinen 14. Geburtstag nicht mehr erleben durfte. Alles, was man ihm vorwarf war, zur falschen Stämme-Föderation zu gehören.
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