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Die Saat der Subventionen

Landwirtschaft in Ruanda


Ich verstehe die Bauern, ihren Protest, ihre Wut. Am 26. Januar 1990 habe ich zur Zur Grünen Woche in der taz die Lage der Bauern beschrieben, wie sie heute immer noch genau so ist – 34 Jahre danach. Die große Menge der Subventionen fließt als Exportsubvention, in die Lagerhaltung und in „preisausgleichende“ Maßnahmen. Für ein Ei bekommt der Bauer heute durchschnittlich 11 Cent, für einen Liter Milch 43 Cent (Oktober 2023), von jedem Brötchen bekommt der Bauer nur einen Cent. Von einem Euro Verbraucherpreis erhält der Landwirt heute durchschnittlich gerade mal 22 Cent. In den 70ern war das noch anders: satte 50% Verkaufserlös gingen an den Erzeuger.

Der Erlösanteil ist stark vom Produkt abhängig, so landen 39% des Verbraucherpreises von Milchprodukten beim Landwirt, von Brotgetreideerzeugnissen sind es gerade mal 3,9%.

Bevor ich diesen Beitrag geschrieben habe, war ich einige Jahre in Ruanda zwischen Kleinstbauern ganz auf dem Land. Ich erinnere mich daran, wie die Regierung den Vertreter der Welternährungsbehörde aus dem Land warf, weil er ohne Genehmigung Lebensmittel ins Land brachte und damit den Kleinbauern den Markt wegnahm. Es herrschte kein Hunger in Ruanda. Die FAO, die Food and Agriculture Organization der UN „helps ensure food security by developing“ — und das tut sie eben nicht, sie hilft nicht, sie zerstört im Interesse der großen Produzentenländer. Bis heute. 

Ich habe zu der Zeit, Anfang der 1990er, in einem Ausschuss der evangelischen Kirche gearbeitet, der sich mit aller Kraft gegen die Industrialisierung der Landwirtschaft stellte und die bäuerliche Landwirtschaft erhalten wollte – vergeblich. Soweit zum Hintergrund meines Beitrags damals. Jetzt ging bei der Berichterstattung unter, dass nicht nur Bauern auf der Straße waren, sondern viele Handwerker. 

Die Saat der Subventionen 

Bauernproteste in Berlin, Januar 2024

Millionenbeträge werden in der Europäischen Gemeinschaft alljährlich in die Landwirtschaft gepumpt. Oder besser: in die Agrarindustrie. Denn von sinnvoller Bewirtschaftung des Landes kann kaum die Rede sein. Von des Bauern Mist berichtet WIELAND GIEBEL

Das deutsche Lehrerehepaar kauft seinen Bauernhof am liebsten in Irland, Portugal oder Griechenland. Dort sterben die Höfe schneller. EG-Agrarsubventionen kommen dort zwar auch an, aber sie fördern nicht die Bauern, sondern die Konzentration. Alle paar Minuten geht ein landwirtschaftlicher Arbeitsplatz verloren.

Die Dimension der Subvention: Zwei Hundertmarkscheine legt jede(r) der 320 Millionen Bürgerinnen der Europäischen Gemeinschaft jedes Jahr allein in den Klingelbeutel für Agrarsubventionen. Damit kam 1988 eine Summe von 64 Milliarden DM zusammen. Das sind 71 Prozent des Gesamthaushaltes der Gemeinschaft, also der allergrößte Batzen der Euroknete. Zum Vergleich: Der Einzelplan 14, Verteidigung unserer Republik, betrug im gleichen Jahr 51 Milliarden DM. Auf den Tisch bekommen wir trotz des Milliardenaufwandes Hormonkälber, stinkende Eier aus Legebatterien, schwabbeliges Schweinefleisch. 

Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß biologische, bäuerliche Landwirtschaft alle Probleme lösen würde: Die Lebensmittel wären besser und frischer, das Bauernlegen könnte umgekehrt werden und es würden mehr Arbeitsplätze geschaffen. Verfassungsschutz in die Landwirtschaft. Das dient auch der mentalen Hygiene, denn in einem gesunden Körper ist bekanntlich ein gesunder Geist. Schließlich braucht eine sich selbst versorgende Landwirtschaft keine Futtermittel aus der Dritten Welt. 

Europas Bauern leiden. Hätten die Bauern eine Ehre, würden sie vor allem darunter leiden, welchen Dreck sie produzieren. Dennoch: Bauern gehören zu den Verlierern der europäischen Landwirtschaftspolitik. 

Es gibt überhaupt keinen einleuchtenden Grund, in Europas Landwirtschaft weiter so unsinnig zu produzieren. Der großen Anzahl kleinerer Bauern nützt es nichts. Erhielten sie 1950 in der Bundesrepublik von jeder Verbrauchermark noch 55 Prozent, sind es heute (1990) nur noch 20 Prozent. Den Verbrauchern nützt es nichts. Denn den Lebensmitteln wird das Leben entzogen, und wir erhalten weitgehend wertlose Nahrungsmittel. Es nützt der Umwelt nichts, denn das Land wird ausgezehrt, unser Trinkwasser, zumindest aus vielen Wasserwerken, taugt lediglich zum Vergiften von Babies, aber der EG-Norm entspricht es nicht. Die hochtechnisierte und chemieintensive landwirtschaftliche Produktionsweise ist der Hauptverursacher des rapiden Artenschwundes. Es nützt nicht der Dritten Welt. Denn durch subventionierten Überschußexporte und die Lebensmittelhilfe wird jeder Ansatz eigener Produktion in diesen Ländern im Keim erstickt, sobald er über die reine Subsistenz hinausgeht.

Bauernproteste in Berlin, Januar 2024

Brot für die Welt, die Wurst bleibt zu Hause; Milchpulver killt Babies; Weizenauszugsmehl statt Hirse verschlechtert die Versorgung. Exportkulturen der Dritten Welt, Cashcrops, rauben das Land für eigene Produktion, geben den Leuten Geld in die Hand und fördern den Alkoholismus. So manche Bauernfamilie in Asien und Lateinamerika bliebe bei Umstellung unserer Agrarpolitik und Eßgewohnheiten vor der Landfreßsucht der Multis verschont und die Kinder am Leben. Denn: Eine tierische Kalorie im Kühlfach der Supermärkte verbraucht durchschnittlich sieben pflanzliche.

Nichts, aber auch gar nichts spricht also für diesen Wahnsinn in der Landwirtschaft. Die Produkte, die uns heute zum Essen angeboten werden, machen sowieso krank und impotent und pickelig. 

Den Verbrauchern wird suggeriert, daß die Bauern von den Subventionen profitieren. Umgekehrt wird den Bauern immer wieder vorgehalten, Nutznießer der günstigen Preise seien die Verbraucher. Beides stimmt nicht. Nur eine kleine Anzahl industriell geführter Großbetriebe hat von den Subventionen profitiert, obwohl die ländliche Daimler-Sattigungsquote ein anderes Bild vermittelt. Aber 70 Prozent der EG-Agrar-Milliarden kommen nicht auf den Höfen an. Das haben nicht die Verbraucherverbände, nicht die Naturschützer und auch nicht die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ ausgerechnet, die sich inzwischen zusammenchließen, sondern der Europäische Rechnungshof:

    • 34 Prozent der EG-Subventionen wurden (1985) für Exporterstattungen ausgegeben. Es profitieren die Exporteure und Transportunternehmen.

    • 22 Prozent der Subventionen wurden für Lagerhaltung ausgegeben. Das Geld geht an die Besitzer von Kühlhäusern und Lagerhallen.

    • 39 Prozent der Subventionen wurden für preisausgleichende Maßnahmen bezahlt, nur zum geringen Teil an die Erzeuger. Es profitiert die Nahrungsmittelindustrie, zum  Beispiel durch verbilligte Butter und Milchpulver für die Speiseeisherstellung. 

    • Außerdem sind 20 bis 30 Prozent aller Subventionsanträge gefälscht. Die EG-Kommission beziffert den jährlichen Verlust durch Betrugsgeschäfte auf mindestens sechs Milliarden DM. 

    • Eigentlich spricht alles dafür, diesen Profiteuren das Handwerk zu legen und für die Mehrheit der Bevölkerung, und das global, bessere Voraussetzungen für die Ernährung zu schaffen. Dagegen spricht nur, daß sie und ihre Lobby in Brüssel außerordentlich stark sind. Sie, die Profiteure, das sind die chemische Industrie, die Landmaschinenindustrie, die Banken, aber auch die Ernährungsindustrie, der Lebensmittelgroßhandel und die Im- und Exportfirmen. Dagegen spricht auch, daß sie sich ungeheuer im Aufwind befinden. Der Westen hat den kalten Krieg gewonnen, und wir haben bisher keine geeigneten Mittel und Wege gefunden, das Industriesystem, das ungeheuren Reichtum und ungeheure Zerstörung gleichzeitig hervorbringt, demokratisch zu kontrollieren.

Mit „Bewahrung der Schöpfung“ oder ähnlichem Firlefanz können wir im Moment nicht kommen. Es muß sich rechnen, betriebs- und volkswirtschaftlich. Betriebswirtschaftlich scheint es heute kein besonderes Problem zu geben. Sechzig Prozent der Verbrauchermark für Lebensmittel gehen an die verarbeitende Industrie und den Handel. Durch Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften kann der Anteil für die Bauern erheblich gesteigert werden. Der Verzicht auf Chemie senkt, bei steigender Arbeitskraft, weiter die Kosten des noch unerschöpflichen Marktes. Sieht man Volkswirtschaft nicht ausschließlich als Steigerung des Bruttosozialproduktes, sondern bezieht die gesellschaftlichen Folgekosten als unerwünscht mit ein, könnten nicht nur 64 Milliarden DM gespart werden, sondern eben auch die Kosten für die Sanierung von Wasser und Boden. 

Einst ging der Bauer auf die Schüssel – heut‘ scheißt er meist auf Brüssel. 

Und der Verbraucher iẞt – des Bauern schlimmsten Mist. 

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