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Kann man den Klimawandel demokratisch verhindern?

Auf das Problem des Klimawandels muss man heute niemanden mehr hinweisen. Alle wissen es. Viele ignorieren es. Schon meine Urgroßeltern konnten erste Berichte dazu im Fernsehen sehen. Meine Großeltern auch, meine Eltern gingen deswegen auf die Straße. Noch bevor ich geboren wurde, wurde eine Partei nur deswegen gegründet. Sie beendete den langen Marsch durch die Institutionen nur knapp zwanzig Jahre später und landete in der Bundesregierung – und sie sind heute wieder mit an der Regierung. Und da kommen wir zum eigentlichen Problem der ganzen Diskussion: der demokratischen Legitimation des ernsthaften Klimaschutzes. 

Es ist einfach, Klimaschutz, Gleichberechtigung, Fair Trade und viele andere Dinge zu fordern, solange man sein Engagement auf ein Anpassen des Social-Media Avatars beschränkt. Man kann sich freuen, dass man im Flughafen Mehrweg-Strohhalme benutzt und dass man auf der Kreuzfahrt im Hafen einen handgeklöppelten Jutebeutel kauft, dessen Stoff vom anderen Ende der Erde kommt. Aber schnell fällt auf, dass vor allem kleine oder einfache Dinge geändert werden, nie die großen. In den 1980er Jahren kam der Katalysator in die Autos, welcher die Abgase seither in jedem Fahrzeug filtert. Aber es gab keine Hubraum oder Leistungsgrenzen bei Fahrzeugen, keine Beschränkungen der mindestens zu fahrenden Strecke. Bis heute spricht nichts dagegen, einen Supersportwagen zu nutzen um zum Privatjet zu fahren, mit dem man zum Mittagessen fliegt. Zumindest, solange man während des Fluges keine Einwegstrohhalme benutzt. 

In den meisten westlichen Ländern werden all diese Regeln demokratisch legitimiert erlassen. In den meisten dieser Ländern bilden die Wahlen den mehrheitlichen Wählerwillen in akzeptabler Weise ab. Würde eine Mehrheit etwas anderes wollen, so würde die Mehrheit dies auch in Wahlen kenntlich machen können. Und das Ergebnis ist eindeutig: Allen Lippenbekenntnissen zum Trotz hat die Rettung des Planeten nicht die höchste Priorität. Einzig die Erklärungen der Menschen ändern sich. Gibt man das ganz offen zu, wird man von anderen kritisiert, die selber aber kaum mehr für die Rettung tun. Um exemplarisch wenige wiederkehrende Punkte herauszugreifen: In Deutschland gibt es knapp 50 Millionen PKW. Ein häufiges Argument ist, dass man dieses gerade auf dem Land brauche, um hin und her zu kommen, da die Politik nicht für besseren ÖPNV sorge. Würden diese Millionen PKW Besitzer einfach keine der Parteien mehr wählen, die es nicht geändert haben, würde sich sehr schnell etwas ändern. Aber würden wirklich alle auf Bus&Bahn umsteigen? Niemand würde mehr Auto fahren wollen? So einfach scheint es nicht zu sein. Wenn einem die Rettung des Planeten wichtig wäre, könnte man auch an einen Ort ziehen, an dem man direkt zur Arbeit laufen kann. Klar – man gibt seine soziales Umfeld auf. Aber da haben wir wieder den Punkt der Prioritäten: die Rettung des Planeten steht nicht ganz oben auf der Liste.

Warum nicht per Social Media im Kontakt mit denen bleiben, von denen man weggezogen ist? Die Mobiltelefone nutzen Seltene Erden, die Rechenzentren verschwenden Unmengen Energie. Wenn man es ernst meint, könnte man also dort anfangen. Dann würde man aber auch nicht mehr die Angebote für die günstige Kleidung in der Nähe sehen. Die T-Shirts für 1.99€, Pullover für 10€ und Kleider für 20€, welche teilweise nach einmaliger Nutzung im Müll landen. Man könnte seine Kleidung flicken oder nur sehr stabile Kort und Jeans Stoffe tragen. Doch wer will das? Eine Minderheit.

Am Ende sieht es so aus, dass man den Klimawandel demokratisch legitimiert kaum stoppen kann. In Diktaturen, welche typischerweise wirtschaftlich schlechter dar stehen, sowieso nicht. Bis heute gibt es in keinem Land eine Mehrheit dafür. Bis heute finden Leute allerhand Ausreden, warum sie dafür eigentlich sind, es aber nun mal nicht gehe. Kaum jemand sagt „Mir ist mein Auto, meine Kleidung und mein Wohnort einfach wichtiger als der Planet.“ Man lügt sich selber in die Tasche, um besser mit dem Finger auf andere zeigen zu können.

Es gibt viele demokratische Mittel, auf diese Probleme hinzuweisen: In Demokratien beginnt es mit der freien Meinungsäußerung. Man kann einfach sagen, dass man es gerne anders hätte. In persönlichen Gesprächen, im Internet, auf Flugblättern. Oder man organisiert sich in Gruppen, Vereinen, Parteien oder Unternehmen. Es gibst seit Jahrzehnten Aktionen von Demonstrationen, über das blockieren von Castor Transporten bis hin zu ausfälligen PR-Aktionen, welche z.B. Greenpeace und Robin Wood bekannt gemacht haben. Doch am Ende hat all das nicht geholfen.

Heute gibt es weitere Versuche anderer Gruppen, die Aufmerksamkeit auf die Akteure, nicht aber auf das Problem lenken. Gruppen, wie die „Letzte Generation“ verursachen Staus auf Straßen, in der Luft, verhinderten die Landung von Rettungsflugzeugen in Amsterdam, beschädigten Kunstwerke und nutzten selber PKW für ihre Aktionen. Sie ließen darüber abstimmen, ob sie als nächstes Redaktionen oder lieber demokratische Parteien ankreiden sollten. Nichts davon hat irgendwem das Problem des Klimawandels näher gebracht. Nichts davon hat den CO2 Ausstoß reduziert. Im Gegenteil: Sie haben damit für viele unnötigen Fahrten und Flüge gesorgt. Aber ihre Zielgruppe dankt es ihnen. Dort wird man nicht müde zu betonen, dass die Rückseite und der Rahmen eines Kunstwerkes keinen Wert haben und dass Sammlungen auch noch vollständig seien, wenn Leihgeber aufgrund der Aktionen Werke zurückziehen. Es wird ein Bild geprägt, in dem Presse, Parteien und Kunst die Gegner sind. Ein Establishment, gegen das es in Ordnung sei vorzugehen. Es scheint, als haben diese Leute von allen Bereichen, welche sie kritisieren, keine Ahnung. Oder sie spielen diese Rolle, weil ihre uninformierte Zielgruppe dies mit Applaus und Likes belohnt. 

Das Argument hier ist auch, dass der Zweck die Mittel heilige. Im Kampf für den Planeten sei es in Ordnung, PKW zu fahren, zu Klimakonferenzen mit dem Flugzeug anzureisen, Social Media Plattformen zu benutzen. Sie geben damit jedoch kein Vorbild ab – würde man es Ihnen gleich tun, würde die Zerstörung des Planeten weitergehen.

Würden sie hingegen in selbstversorgenden Communities im Wald leben, würde sie niemand wahrnehmen. Oder es müsste jemand über sie berichten und dafür wieder technische Geräte mit Seltenen Erden verwenden. Vielleicht gibt es diese Communities auch, und wir alle kennen sie daher nicht. Es ist ein Dilemma für die Akteure.

Leider ist es ein Dilemma, welches sich aus den oben genannten Gründen nicht auf demokratischem Wege lösen lässt. Der Mehrheit ist es egal und bleibt es egal. Würde man es viel plakativer angehen und die westlichen Bürger vor eine einfache Frage stellen, wie „Möchtest du, dass wir den Planeten retten und die Zivilisation aufgeben oder möchtest du eine Million € steuerfrei, um es nochmal richtig krachen zu lassen?“ – dann wäre das Ergebnis sehr wahrscheinlich pro Kapitalismus und nicht pro Erde. 

Und dies wird sich auch in der näheren Zukunft durch den demographischen Wandel nicht ändern. Ein häufiges Argument ist, dass die jüngere Generation das anders sehe. Das hieße dann aber, dass gerade die jüngeren auf Social Media, neue technische Geräte, Industrieprodukte, Wärme und Einwegkleidung verzichten würden. Das dürfen sie heute schon, niemand hindert sie. Sie tun es jedoch nicht. Der Trend geht weg vom eigenen PKW, hin zu Car Sharing. Weg vom Eigenheim, hin zu Billigflügen und Co-Working-Spaces. 

Wir leben in Demokratien und wollen diese erhalten. Ein solches Problem, dass sich Demokratie und Planet ins Gehege kommen, hatte vor mehr als hundert Jahren niemand kommen sehen. Man schiebt das Problem von einer Seite zur anderen. Man zeigt immer auf die jeweils anderen. Doch schnelle, ernsthafte, nachhaltige Veränderung bleibt aus und wird auch nicht mehr kommen.

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