Peacemaker in Verdun
Monate lang führte die Peacemaker Tour durch Europa. Zum Abschluss der Tour trafen sich alle Peacemaker in Verdun. Dort besuchten wir die verschiedenen Gedenkstätten, die an den Schrecken der Schlacht dort erinnern.
Im Project Peacemaker vernetzen sich Menschen, die Frieden wollen. Ein einfacher Wunsch, den auch alle zusammen in ihrer Lebenszeit nicht umsetzen können. Aber gemeinsam haben wir viele Orte gesehen, an denen Krieg herrscht. In der Vergangenheit waren Peacemaker in Äthiopien, Mali, Ruanda, Afghanistan, Kurdistan (Irak), Irak, Syrien und Teilen der Türkei unterwegs. Jeder Krieg ist anders, aber alle haben das Leid als gemeinsamen Nenner. Wenn man Leuten in Europa vom Leid auf der Welt und vom Wunsch nach Frieden erzählt, dann kommt das in den Köpfen vieler nicht an. Als Leid sehen die Leute hier schlechten WiFi-Empfang an, oder einen Kaffee für 5,00 €. Für andere Länder interessieren sich die Leute nicht. Sie geben es vor, sie heucheln ein grobes Interesse, aber nur, bis die nächste Soap anfängt. Eben so heucheln alle vor, sie würden ja helfen, aber… und dann kommt viel. Die wenigsten sagen „Ich habe andere Prioritäten, mir ist mein Auto halt wichtiger.“ Um abseits dieser Leute über den Unsinn des Krieges zu sprechen, sich ernsthaft über Extremismus zu unterhalten und sich über die Erfahrungen auszutauschen, sind solche Treffen wichtig. Die jüngste Peacemakerin ist sechzehn Jahre alt, der älteste bereits über fünfzig.
„Du hast in Mosul auf der Mine gestanden, oder? HAHAHA“ – Die Leute hier haben viel erlebt und nehmen es mit Humor. Mehr als Galgenhumor bleibt einem auch nicht. Wir vergleichen, wer in welchem Land Einreiseverbot hat, wer aus welchem Land ausgewiesen wurde und wer schonmal wo eine Nacht hinter Gittern verbringen musste, weil er dort mit seinem Engagement angeeckt ist. Lustige, bizarre und traurige Geschichten, die den selbst gemachten Wahnsinn auf unserem Planeten zeigen.
Auf der anderen Seite lese ich die Kommentare unter meinen Verdun-Bildern in den sozialen Netzwerken. „Was ist Verdun?“ oder „Gibts da keinen Club, oder warum musst du die ganze Zeit in die Kirche? :D“ sind einige davon. Ich war auf einer Gesamtschule in Bochum. Dem Klischee nach erhält man dort nicht viel Bildung. Beide zitierten Kommentare stammen von Leuten mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium. Ich frage mich, ob die wirklich nie vom ersten Weltkrieg gehört haben – und dann auch noch zu blöde sind, den Ortsnamen bei Google Maps einzugeben. Und ich frage mich, ob ich es ihnen erklären soll? „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ von Kant geht mir durch den Kopf. Sie sind nur einen Klick davon entfernt, sich die Antwort selber zu holen. Aber sie sind zu faul dafür. Und ich habe keine Lust, Allgemeinbildung in Instagram-Kommentaren auf dem Silbertablett zu präsentieren. Ich frage mich auch, ob es etwas bringen würde. Wer noch nie davon gehört hat und den Sinn eines solchen Besuches für mich nicht versteht – kann ich dem erklären, worum es geht? Andere wollen wissen, was wir anders machen, wenn wir Frieden wollen. Wieso sollte man etwas anders machen, als andere? Frieden ist kein Wettbewerb. „Ey, mein Frieden ist besser als deiner, ich habe ihn mit Vanille-Geschmack“ – oder wie soll das funktionieren? Ich lege das Handy wieder weg. Genau dieser dummen Welt wollte ich entfliehen. Warum also damit befassen, wenn ich spannendere Menschen um mich habe? Und warum hat die Sechzehnjährige hier mehr im Kopf, als die Leute da draußen? Es liegt also weder am Alter noch am formalen Bildungsgrad. Es kommt drauf an, ob man mit offenen Augen und offenem Herzen durch die Welt gehen will, oder ob man sich für „Geiz ist geil“ und die nächste Soap interessiert und gerne Berufsempörter auf Facebook werden will.
Wir drehen auf leeren und gut gepflegten Friedhöfen. Hunderttausende Quadratmeter groß, im besten Zustand, und für drei Stunden treffen wir keine Menschenseele. Nicht mal eine Art Aufsicht. Wir drehen die Abschluss-Interviews für den Peacemaker-Film, der im Mai in Augsburg präsentiert wird. Und wir sitzen still dort und denken über diesen Inbegriff der sinnlosen Schlachten nach und warum man nach dem Weihnachtsfrieden noch aufeinander geschossen hat.
Ein Stück weiter sehen wir die zerstörten Mauern eines Forts. Jemand beschreibt die Landschaft als „Mini-Teletubby-Land“. Gemeint sind die unzähligen kleinen und großen Krater, die inzwischen von der Wiese überwachsen sind. Zwischen vielleicht einem und zehn Metern Durchmesser reihen sie sich aneinander, soweit das Auge reicht. Das Fort hat einige relativ kleine versenkbare Türme, die wie der Vorläufer der Maginot-Linie aussehen. Wenn man sieht, welche Löcher die Türme und die Wände des Forts haben, dann kann man sich vorstellen, wie hier Körper in Fetzen geflogen sein müssen. Hunderttausende von ihnen lagen oder liegen hier. Nebenan im Ossuaire de Douaumont liegen die Knochen von 130.000 deutschen und französischen Soldaten. Von hier stammt das berühmte Zitat „Wir haben uns versöhnt. Wir haben uns verständigt. Wir sind Freunde geworden“ von François Mitterrand und Helmut Kohl. An diesem Ort festigten Angela Merkel und François Hollande diese Freundschaft 2016 erneut. Erneut holt mich die Realität von heute ein: „Ich bin froh wenn Merkel endlich weg ist“ ist einer der Kommentare unter einem Bild. Man merkt wieder, dass viele Leute kein Stück verstehen, worum es hier geht und wie froh wir um die längste Friedenszeit der deutschen Geschichte sein können.
Ich habe den Krieg gesehen und ich habe viele Freunde durch den Krieg verloren. Ich weiß, warum ich Frieden will. Aber man muss keinen Krieg gesehen haben, um Frieden zu wollen. Frieden ist für uns nur so normal geworden, dass wir ihn nicht mehr zu schätzen wissen.