In der Messe der kurdischen Hauptstadt Erbil türmen sich meterhoch Kopfkissen. Daneben beten Männer. „Heute sind nur 3.000 da. Alles ok!“ – sagt der Leiter der Einrichtung ganz entspannt. „Vor wenigen Tagen waren es 10.000, die haben dann draußen überall geschlafen. Das sah aus …“ fährt er fort. Er spricht von den Arba’een-Pilgern, die aus dem Iran kommen und über Kurdistan-Irak nach Najaf und Kerbala im Südosten des Irak fahren.
Diese Pilgerreise, die in Deutschland so unbekannt ist, dass es nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia-Artikel dazu gibt, ist ein wichtiger Teil der religiösen Schiiten, die hier in Erbil ihren Zwischenstopp eingelegt haben.
Bis zu zwanzig Millionen Menschen pilgern jedes Jahr in die Orte im Südost-Irak – bis zu einer Million kommt per Bus durch diesen Zwischenstopp in Erbil. Hier arbeiten unter anderem die iranische Regierung, die kurdische Regionalregierung, das iranische Rote Kreuz und die kurdische Barzani Charity Foundation zusammen, um einen möglichst reibungslosen Ablauf sicherzustellen.
Dieses Ritual findet am Ende der 40-tägigen Trauerzeit nach Aschura statt – dem Gedenken an den Märtyrertod des Enkels des islamischen Propheten Mohammed und des dritten schiitischen Imams, Husayn ibn Ali, im Jahr 680.
Mitten in Erbil liegt der zwei Quadratkilometer große Sami Abdul Rahman Park, welcher neben einem großen See mit Motorbootverleih mehr als zehn große Spielplätze sowie öffentliche Kletterwände, Sportstätten und die Messe Erbil beherbergt.
Das angrenzende Messegelände ist es, welches als Zwischenstation für die Pilger genutzt wird. Vor der Tür stehen dutzende leere Reisebusse. Das Gelände wird von Polizei und Nachrichtendienst geschützt. Erbil ist unglaublich sicher, dennoch möchte man nicht, dass den Gästen etwas passieren kann oder dass sich Touristen ohne erkennbaren Grund auf dem Gelände tummeln. „Sechzig Busse müssten das sein. Heute passen alle in die Hallen. Wenn’s voll ist, schlafen sie auch draußen unter freiem Himmel. Die sind so müde nach der langen Anreise, dass sie überall schlafen können. Von hier ist es nochmal ein ganzer Tag im Bus bis Najaf.“
Die Busse haben keine Klimaanlage, keine Toilette und es sind rund 40 Grad tagsüber. Nachts kühlt es auf 25 Grad ab. Oft sind die Pilger bereits seit Tagen unterwegs. Die Frauen schwarz verschleiert, oft mit Kindern. Verschleierte Frauen sind in Kurdistan unüblich – auch wenn man sie manchmal auf der Straße sehen kann. Auch die Idee, diese Zwischenstation nach Frauen und Männern zu trennen, stammt nicht von den Kurden, sondern ist ein Wunsch der Pilger. Dabei reden wir nicht von Fremden, sondern oft von Freunden und Familien, die sich hier auf zwei Bereiche aufteilen.
Es gibt eine Station des Rettungsdienstes, ganze Pools voller Eis und Wasserflaschen und Stände mit gutem Essen. Am Eingang gibt es günstige Simkarten für die Handys. Rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind hier beschäftigt, um den reibungslosen Ablauf sicherzustellen.
Die Pilger werden ab der Grenze zwischen Iran und Irak (bzw der „inner-kurdischen Grenze“, wie man es hier nennt) betreut. Sie werden hier hergefahren, mit dem Schlafplatz und allem für die Weiterfahrt versorgt. Nach einer Nacht steigen sie wieder in die Busse. Alle Kosten werden von der kurdischen Regionalregierung getragen. „Es ist schön, wie man sich hier umeinander kümmert“, kommentiert es der iranische Konsul und bedankt sich bei den Menschen vor Ort.
„Ich dachte, ich bin in Europa! Ich will hier bleiben“, sagt ein Pilger, nachdem er bei der Fahrt durch Erbil die bunte Skyline, Parks und Shoppingmalls gesehen hatte. Bei ihm zuhause gäbe es nichts dergleichen. „Vielleicht in Teheran, aber wer kommt da schon hin!?“
Rund zwei Wochen lang kommen und gehen hier insgesamt bis zu 300.000 Pilger vorbei. Erst auf dem Hinweg, dann auf dem Rückweg. Der Mitarbeiter der Barzani Charity Foundation erklärt: „Das ist kein Problem für uns. Traurigerweise haben wir ja Routine mit dem schnellen Versorgen von Leuten. Als der IS kam, haben wir zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien und dem [Rest-]Irak aufgenommen. Dabei haben wir hier selber nur fünf Millionen Einwohner.“
Er wirkt trotz des ganzen Trubels am Ende des Tages weiterhin entspannt. „Warum soll ich auch gestresst sein? Das Wetter ist gut, das Essen ist gut, wir helfen Leuten und alle haben eine gute Zeit. Was gibts denn Schöneres?“
„Anderen helfen, Gäste beherbergen und den Glauben anderer zu respektieren gehört zu unserer Kultur“, erklärt ein Mitarbeiter der Regionalregierung.
Und so neigt sich der Tag in dieser Zwischenstation dem Ende. Die Männer beten und nehmen sich ein Kopfkissen vom großen Stapel, die Frauen tun es ihnen hinter dem Vorhang gleich und in wenigen Stunden beginnt die nächste Runde dieses Treibens.