Praktikum im Krisengebiet
Kriegsberichterstatter haben eines mit Rettungswagenfahrern und Chirurgen gemeinsam: Sie können den Kern ihrer Arbeit nicht „üben“. Man kann es irgendwie simulieren, man kann sich mit der Lage vor Ort befassen, aber irgendwann geht es im echten Leben und mit echten Konsequenzen los.
Was macht ein Kriegsberichterstatter?
Die Vorstellungen, die Leute vom Leben als Kriegsberichterstatter haben, sind oft sehr optimistisch. Ich kann das ganze nur machen, weil ich permanent andere Einkommensquellen habe und mit der Berichterstattung nichts wirklich verdiene. Aber auch Reporter, die ihr halbes Leben an der Front verbracht haben, kommen kaum über die Runden. Nach Abzug aller Reisekosten kann man über 2.000 Euro im Monat schon glücklich sein. Ein bekannter Journalist sagte mir mal, dass er im Nahen Osten bleibt, weil er dort einfach billiger leben kann und von den 50.000 US-Dollar im Jahr sonst kaum die Flüge zahlen könnte.
Wie fängt man an?
Wie kann mal also ein „Praktikum“ in dem Bereich machen? Gerade, wenn man jung ist und kein Geld hat? Eigentlich gar nicht. Daher hatte ich vor einigen Wochen die Idee, ein Reisestipendium nach Kurdistan anzubieten. Es ging dabei nicht um actiongeladenen Front-Tourismus, sondern alles, was drumrum passiert. Man sollte meine kleine „Reisegruppe“ zwei Wochen lang begleiten und einen Einblick in die Welt haben, ohne sich direkt der Gefahr auszusetzen. Hunderte Bewerbungen gingen (bis lange nach der Deadline) bei mir ein.
Wer kommt mit?
Unter den Bewerberinnen und Bewerbern befanden sich einige Leute, die ich bereits kannte, was die Sache für mich einfacher machte. Am Ende fiel die Wahl auf David, den ich bereits vom treffen des Peacemaker e.V. in Verdun kannte. Wir sprachen kurz über das, was ihn erwartet und was nicht. Er sollte andere Kriegsberichterstatter treffen, Politiker, Soldaten, NGOs, Flüchtlinge, ganz normale Kurden im Alltag, das Land sehen und einen Einblick in alles erhalten, was ich sonst tue. Da es in der Gegend, in der wir uns bewegten, keine Kampfhandlungen gibt, brauchte er sich um schusssichere Weste, Helm usw. nicht weiter kümmern. Inzwischen habe ich drei kompletten Sets und hätte aushelfen können. Abgesehen von der Sicherheit ist es aber auch immer eine Frage von Gewicht und Platz im Gepäck.
Los geht’s!
Meine übliche Route führt von Berlin über Wien nach Erbil. Die Verbindung gibt es täglich, die Zeiten (7:30 – 15:00 Uhr) sind akzeptabel und man kann sich mit anderen Leuten in Wien treffen. Jeanne – ebenfalls eine Journalistin – und ich starteten in Berlin, David in München. Sein Flug hatte Verspätung und wir warteten am letzten Bus auf dem Vorfeld auf ihn. „Ja der ist wichtig, das ist unser Kameramann, wir müssen in den Irak“ – wenn es darum geht, noch schnell den Flieger zu bekommen, spare ich mir gerne den Unterschied zwischen Kurdistan und Irak. Es geht so einfach besser – und klappte auch in diesem Fall. Er konnte an allen Schlangen vorbei, direkt zu uns. Und schon hatte er die erste wichtigste Sache gelernt: Nicht schüchtern sein! Sag den Leuten, was du brauchst. Am Ende interessiert niemanden, warum du das Flugzeug verpasst hast und warum du deine Bilder nicht geliefert hast. Irgendwer anders hat den Auftrag dann halt bekommen.
Im Flugzeug
Im Flugzeug nach Kurdistan kann man immer viele Menschen kennen lernen. Immer wieder sitzen dort sehr große, breite, trainierte englischsprachige Männer mit 5.11-Kleidung, die im Rudel auftreten und vehement darauf bestehen, Touristen zu sein. Man trifft NGOs, die mal mehr, mal weniger interessant sind und kurdische Familien, die einen zum Tee einladen. Wenn es gerade an der Front knallt und viele Kinder sterben, ist der Flieger auch voller Journalisten. Man tauscht Visitenkarten und Kontakte aus, redet über vergangene Reisen und versucht rauszufinden, wohin die „touristische“ Männerreisegruppe geht.
Der Flughafen Erbil ist modern und gut organisiert, die Einreise läuft einfach und freundlich und man könnte sagen, dass wir direkt in den Wirren des Nahostkonfliktes ankamen. Während im Vordergrund ein gepanzerter Konvoi mit israelischen Personenschützern ankam, fuhr im Hintergrund eine amerikanische C17 Frachtmaschine vorbei. Dabei saßen neben uns Peschmerga und tranken Tee, ohne Notiz von den Dingen zu nehmen, die für Neulinge so spannend sind. Der Personenschützer musterte mich im Vorbeigehen, blickte auf meinen Makkabi-Pin, sagte „Shalom“ und zog mit seinem Klienten weiter. Die Frachtmaschine rollte woanders hin, wir holten unser Auto bei der Vermietung ab. Ein ganz normaler Empfang in Erbil.
„Erbil und Arbil ist das gleiche?“ – fragt David. „Ja. Und Erbil und Hewler“. Ortsnamen können hier verwirrend sein. Vokale sind eher Glückssache und es gibt oft arabische und kurdische Namen.
Angekommen
Bereits vor uns waren Jo, Cat und Julia in Erbil angekommen. Jo heisst eigentlich Johannes Müller und macht seit zehn Jahren Konfliktfotografie „Ich bin Jo – aber ich bin kein Journalist, ich bin Fotograf“. Der Journalist erklärt und ordnet ein, der Fotograf dokumentiert nur mit dem Sensor der Kamera. Ein wichtiger Unterschied. Cat macht Selbstverteidigungskurse für junge Frauen und gibt Kurse in Flüchtlingscamps. Julia ist Ernährungsexpertin und erklärt den Leuten vor Ort, mit welchen einfachen Tricks man mehr aus dem vorhandenen Essen heraus holen kann.
Unser permanentes Lager schlagen wir in einem Hotel in Erbil auf. Ich bin dazu übergegangen, Ferienwohnungen, große Suiten oder ähnliches zu nehmen. Ich verbringe mindestens einen halben Monat hier, muss meine Ruhe haben können und brauche Platz, um mein Material auszubreiten. Und das ist günstiger, als man meint. Man muss einfach suchen oder fragen. Ich habe mehr als einmal eine 70qm-Suite im Luxushotel für 100€/Nacht erhalten, weil ich ihnen meinen Wunsch erklärt habe. So können wir uns auch diesmal zu viert 110qm teilen, Cat und Julia wohnen im Haus der NGO, mit der sie zusammenarbeiten.
Ist noch Krieg? Nein, aber Rassismus!
Kurdistan, Irak – was auch immer! Da erwarten die Leuten permanent Bomben, eine Menge Esel und Kamele und verschleierte Frauen. All das gibts hier eigentlich nicht. Die Kurden sind sehr offen, man trifft eher auf fröhlich-laute Familien, geschminkte Frauen in enger Kleidung und sogar Hunde als Haustiere. Beim Frühstück im Hotel sehen wir aber auch vollverschleierte Frauen mit Kindern, deren Männer am Nachbartisch sitzen. „Ja, die Arabs!“ – sagt jemand abfällig in die Richtung. Diesen Alltagsrassismus zu sehen, tut irgendwie weh. Mit „Arabs“ sind die konservativen irakischen Moslems gemeint, die vor den schlechten Bedingungen in „Irakistan“ nach Kurdistan (Irak) geflohen sind. Der arabische Mann erklärt mir: „Na wenn die Frau nicht verhüllt ist, wird sie vom Mann begehrt und er könnte… naja…. halt… sie sich halt nehmen… Und dass die am anderen Tisch sitzen, das ist bei uns Moslems Tradition“. Nun – wenn dich eine 13-Jährige so geil macht, dass du sie vergewaltigen willst, liegt das Problem sicher nicht an ihr, oder? – Aber das zu diskutieren führt zu nichts. Ich sage in so Fällen immer nur „aha“ und versuche, die Leute weiter reden zu lassen. Ich möchte ja wissen, was sie meinen und wie sie die Welt sehen.
Am Nachbartisch sitzt eine Dame, höchstens 30 Jahre alt, im Tanktop. Ihr gegenüber sitzt ihr Mann, ihre Kinder rennen fröhlich-lärmend durch den Raum. Ihr Blick verfinstert sich. „Nein, das hat mit Moslems nichts zu tun! Und nicht mit ‚Arabs‘. Ich bin selber aus Baghdad. Wenn du so leben willst, geht doch dahin zurück!“ platzt es aus ihr raus. Der Mann ist völlig perplex und starrt sie an. Dann verschlechtern sich seine Englishkenntnisse akut und er kann weder mit ihr, noch mit mir weiter reden.
Warum geht man in die freie Region des Landes, wenn man die Freiheit nur für sich und den Sohn, nicht aber für Frau und Tochter will? Und wie erzählt man so eine Geschichte, ohne dass man selber als Rassist rüber kommt, der ein Problem mit den „Arabs“ hat? Kurz gesagt: Es gibt dafür keinen richtigen Weg. Es gibt immer Menschen, die einen missverstehen wollen.
Die Dame im Tanktop entschuldigt sich bei mir, als sie geht. Ich frage mich: wofür? Ich bin Gast in diesem Land, sie lebt hier. Sie hat doch alles Recht der Welt, sich über andere Menschen aufzuregen und ihre Meinung kund zu tun. Daher ist sie ja ins „freie Kurdistan“, wie man es hier nennt, gekommen.
Wir unterhalten uns lange über Volk, Nationalität, Religion und den Zusammenhang. Es ist hier kompliziert: Ist man irakischer, arabischer Moslem? Kurdischer Moslem? Jeside? Kakai? Kurdischer Jeside? Gibts das überhaupt? Es ist wie Topfschlagen im Minenfeld. Egal, wer sich wie wo einordnet – irgendjemand wird immer sagen „Nein, das kann man so nicht unterscheiden“. Am Ende verläuft die Grenze auch nicht zwischen diesen Gruppen, sondern zwischen Arschlöchern und normalen Leuten.
Aber wo ist der Krieg?
Nun, der war 50 km weiter. Oder 100. Oder 200. Je nach Richtung. Heute steht der IS 50 km von Erbil entfernt in Makhmour. Ebenso die vom Iran gestützte Hashd al Shabii-Miliz. Im Norden treibt sich immer wieder die PKK rum, welche sich in Kurdistan (Irak) nicht aufhalten und nicht betätigen darf. Sie wird wiederum von der türkischen Luftwaffe verfolgt, welche in Kurdistan (Irak) eine Airbase betreibt. Jo und ich klären einen Frontbesuch ab. David darf nicht mit. Die Front, auch wenn sie gerade friedlich ist, ist unberechenbar. „Nur mal gucken“ und dann sterben wäre ein schlechter Start. Ich sage ihm, „Das Rückflugticket ist schon bezahlt. Das wäre zu teuer“. Auch eine akzeptable Erklärung.
War is Boring
Theoretisch steht der Feind also 50 km weiter. Wir sitzen im „House of Nutella“ und telefonieren alle Kontakte in Kurdistan ab, um einen Plan für die zwei Wochen aufzustellen. Dinge im voraus planen bringt gar nichts. Fast einen Tag dauert das ganze. Anschließend überlegen wir, welche Routen wir wann fahren. Ich fahre hier seit acht Jahren und komme mit dem Verkehr gut klar. Aber ich fahre nicht gerne im Dunkeln, weil es zu viele unbelichtete Fahrzeuge auf den unbeleuchteten Straßen gibt und man aus dem Nichts in schwere Unfälle verwickelt werden kann. An einer Stelle fuhr ein Tanklaster vor uns über eine Bodenwelle. Seine Verschlüsse auf dem Tank waren nicht zu und ein Schwall Benzin ergoss sich über den LKW, die Straße und meine Motorhaube. Völlig normal. Da will man nur schnell vorbei.
Die Ausrüstung
Wenn man neu in der Gegend ist, kann man sich gut mit der Umgebung befassen. Raus gucken und Menschen und Landschaft genießen. Im Laufe der Zeit nutzt das ab. Wir nutzen die Zeit für Materialkunde: Welche schusssicheren Westen gibt es? Was bedeuten die Klassen? Was ist ein Plate Carrier? Helm mit oder ohne Ohrenschutz? Und was für Kameras und warum? Mein Kamerarucksack kostet gefüllt ca. 10.000€, damit bin ich in der Amateurklasse. Jos Rucksack dürfte mindestens das Doppelte kosten. Da weder Jo noch ich zu empfindlich sind, kann David mit den Geräten hantieren, sich genau erklären lassen, wieso man was wie fotografiert und warum wir immer kurz vor 18 Uhr los fahren. „Das LICHT!“ – eine Aussage von Jo, die auf der Reise zum geflügelten Wort wurde. Dauernd mussten wir deswegen anhalten. Die Sonne geht ab ca. 18 bis ca. 19 Uhr unter. Der Himmel färbt sich in Orange-Pink-Blau mit irren Farbverläufen. Ein Markenzeichen von Jo sind Portraits von Menschen. Mit dem 24mm-Objektiv muss er sehr dicht an die Leute ran, mit denen er immer wieder keine gemeinsame Sprache hat. Ihn dabei zu beobachten ist spannend. Er nähert sich den Leuten freundlich und mit Respekt, zeigt die Kamera, macht sein Foto, bedankt sich, geht weiter. Es ist wie immer: Wenn es ein Profi macht, sieht das alles ganz einfach aus. Aber es gehört viel Empathie und Fingerspitzengefühl dazu.
Welches Fahrzeug?
Zur Ausrüstung gehört auch das Fahrzeug. Wieso der kleine Landcruiser? Er hat sieben Sitze, ist hoch genug, um einen Unfall zu überstehen und hat Allradantrieb. Alles Dinge, die ich in dieser Gegend haben will. Mehr als einmal müssen wir bei hoher Geschwindigkeit von der befestigten Fahrbahn runter und über den Sand oder Schotter daneben einem potentiellen Unfall ausweichen. Ich habe all das mit sechs Tonnen schweren, gepanzerten Fahrzeugen beim Armored Vehicle Security Driver Traininggelernt und bin froh drum. Mit einigen Leuten im Auto bei 150km/h von der Straße runter und wieder hoch geht schon irgendwie – aber man muss es auch entspannt genug tun können, damit die anderen keine Angst bekommen. Es scheint ganz gut zu funktionieren, da sie die Arme hoch werfen und „WUHHHUUUU“ rufen. Galgenhumor lernt man hier sehr schnell.
NGOs besuchen
Wir sind auf dem Weg zu einer Schule für Flüchtlinge. Ourbrigde hat in Khanke, am Lake Mossul, ein Waisenhaus und eine Schule errichtet. Hier lernte ich bereits vor Jahren einen kleinen, jesidischen Jungen kennen. Seine Familie wurde vermutlich vom IS ermordet. Er hat unterm IS gelebt bis er vier oder fünf war. Mir ist oft nicht klar, was er wie mitbekommen hat und was nicht. Er erzählt den anderen Kindern oft ganz normale Geschichten und plötzlich etwas absolut schreckliches, ohne die Miene zu verziehen oder während er weiter lacht. Er hat mich bei den letzten Besuchen sehr ins Herz geschlossen und erkennt mich immer wieder. Leider finden wir keine gemeinsame Sprache, aber er erzählt mir immer viel und ich höre immer artig zu. Ich hätte mich sehr gefreut, ihn wieder zu sehen. Einfach sehen, dass es ihm gut geht. Er war in eine Art Witwen-Waisen-Patchwork aufgenommen worden. Doch sein Haus war leer. Nicht nur leer, verlassen. In dem Moment wurde mir klar, wie sehr er mir doch am Herzen lag. Dieses Bild des verlassenen Hauses haute total in meinem Kopf. Was war passiert? Eine leichte Panik ging mir durch den Kopf. Um mich rum alle anderen Leute, für die ich der solide Fels in der Brandung bin. Der Kriegsberichterstatter, an dem alles abprallt, der die Terroristen gesehen hat, der jede noch so schlimme Lage einfach wegsteckt. Aber nicht dieses verlassene Haus. Bevor ich fragen kann sagt eine Frau von Ourbridge „Ja, die durften alle nach Frankreich“. Doch irgendwie macht es das nicht besser. Ich konnte kaum die Tränen zurückhalten und versuchte einfach in einer andere Richtung Fotos zu schießen. Ich hätte mich gerne von ihm verabschiedet. Auf der anderen Seite kann er das erst mal im Leben in eine sichere, friedliche Zukunft blicken. Er hat die seltene Chance im Leben erhalten, die für uns alle ganz normal ist. Per Geburt haben wir das Recht, in Wohlstand und Frieden zu leben. Er hatte das bisher nicht.
Deppen der Welt vereinigt euch
Schreibt man etwas wie „Wir leben in Frieden und Wohlstand“ auf Twitter, kommt wieder der Bundesverband der Deppen aus den Löchern und vergleicht sich mit den Opfern des IS und versuchen zu erklären, dass es ihnen viel schlechter geht. In Klartext übersetzt schreiben sie: „Also mir wird mein Studium vom Staat finanziert, ich bin krankenversichert, habe eine saubere Wohnung, eine Familie die mich liebt und einen Rechtsstaat um mich rum.“ Und ich denke mir: Ja, echt hart dein Leben. Dann doch lieber die Familie vom IS ermordet bekommen, du Vollidiot. Wie wenig empathisch die Leute im sicheren Europa sind und wie unglaublich viele Berufsempörte es gibt, für die es nichts besseres gibt, als sich im Selbstmitleid zu suhlen, merke ich hier am Lake Mossul besonders.
Lokale Medien treffen
Am nächsten Tag fahren wir nach Halabja. Im Halabja-Monument wird die Geschichte der Giftgasangriffe Saddams auf die Kurden erzählt. Harte Kost. Der Leiter der Gedenkstätte, den ich von vergangenen Besuchen kenne, erwartet uns bereits und zeigt uns alles. Anschließend sprechen wir mit ihm über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit dem Berlin Story Bunker. Auf dem Außengelände sehen wir uns an, welche europäischen Firmen gut an Saddam verdient haben: Dassault, Züblin, ABB, Kolb, Klöckner, Mannesmann, BASF. Es ist einfach widerlich. Zur Rechenschaft gezogen wurde niemand. Der Unternehmer Kolb trägt das Bundesverdienstkreuz.
Von dort geht es zum General Kaka Hama (mehr zu diesem Besuch), welcher früher gegen Saddam und dann gegen den IS gekämpft hat. Bei ihm ist sein Kameramann Aram, welcher seit vielen Jahren direkt an der Seite der Peschmerga in den Schützengräben liegt. Immer, wenn ich mich an der Front in Helm und Weste in den Graben verkrochen habe, ging es für ihn erst richtig los. Ohne Schutzkleidung turnte er durch die Stellungen, immer auf der Suche nach dem besten Bild. Und er lebt immer noch. Ich weiß nicht, wie er das macht. Von ihm kann man sicher viel lernen, nur nichts über Sicherheit am Arbeitsplatz.
Waffen? Ja!
Immer wieder lese ich in Deutschland Schlagzeilen wie „Café mit Maschinengewehr überfallen“ oder dass ein „Scharfschütze“ mit einer AK47 auf einen Kilometer getroffen hat. Ein MG wiegt oft 20kg oder mehr, das schleppt man nicht in ein Café. Eine AK47 kann man ab 100 Meter besser werfen, als schießen. Und im Falle des „MG im Café“ konnte abschliessend nichtmal geklärt werden, ob es überhaupt eine echte Waffe war. Ob der Täter also in der Lage war eine Kriegswaffe zu beschaffen oder ein Spielzeug gekauft hat, ist schon relevant.
In Deutschland ist aber die Geschichte vom „kaputten“ Sturmgewehr G36 bekannter, welches angeblich in der Wüste nicht funktioniert. Als die Geschichte rum ging, stand ich gerade in der Wüste, neben einem G36. Ich erklärte dem Soldaten, dass ich zur Probe mal schießen wolle, was problemlos ging. Ich habe eine waffenrechtliche Erlaubnis, ich kann mit solchen Dingen umgehen und ich habe auch keine Angst davor. Und ich will die Wahrheit wissen. Gerade unter deutschen Journalisten scheint es als „cool“ zu gelten, keine Ahnung von Waffen zu haben. Als ich auf die Geschichte mit dem „MG“ im Café hinwies, erweiterte einer der Autoren „Sorry, ich bin halt nicht so waffengeil wie du“. Ich bin aber nicht „waffengeil“, sondern faktengeil. Ich möchte wissen, ob diese Waffe unter diesem Umständen schießen kann, oder nicht. Ich möchte nicht in Berlin am Schreibtisch eine Agenturmeldung kopieren und den Leuten vor Ort erklären, wie blöd ihre Recherchen sind.
Daher fragte ich ich Kaka Hama, ob ich mal die Waffenkammer sehen könne. Wir sind hier fünf Kilometer weg vom Iran und mich interessiert brennend, wie gut oder schlecht die ersten Soldaten hier ausgerüstet sind. Da ich Kaka Hama lange kenne, vertraut er mir und ließ uns durch die Kammer gehen. „Jeanne! An deinen Füßen liegen die Raketen! Guck bitte, ob die Zünder abgedeckt sind“ – das beruhigt ungemein. Wie immer wurde mir erklärt, dass die Waffen top gewartet sind und präzise schießen. Ich habe noch nie gehört „meine Waffen sind scheiße“. Also wollte ich zumindest eines pro Gattung genauer ansehen: ist es gewartet? Lauf OK? Gute Munition vorhanden? Zieloptik ordentlich eingestellt? Kaka Hama erwiderte „Lass uns doch Melone essen. Der Junge [David] braucht doch mehr auf den Rippen! HAHAHA“. Nachdem wir das Obst aus eigenem Anbau probiert hatten, ging es dann doch kurz auf den Schießstand. Dass man hier so offen im Umgang mit seiner Ausrüstung ist, habe ich oft erlebt. Alles wird einem gezeigt, erklärt und man kann es fotografieren. Ganz anders, als bei uns in Deutschland. Die Waffen sind alle im guten Zustand.
Freizeit!
Abgesehen vom Pflichtprogramm sahen wir uns natürlich viele schöne Ecken Kurdistans an. Jede große Mall hat hier ihren eigenen Freizeitpark, es gibt in Sulaymanniah und Erbil zusätzlich große Parks und fast überall im Land kleine. Wir schafften nur drei – was aber ein guter Schnitt für zwei Wochen ist. „Ist Kurdistan gefährlich?“ ist wohl die häufigste Frage, die einem begegnet. Und man muss sagen: Ja! Es gibt sehr viele sehr gutes Baklava, es gibt das House of Nutella und es gibt jede Menge Kurden, die für einen kochen. Die Gefahr, dass einem unter dem Zucker einfach die Zähne zerbröseln, ist sehr hoch. Die Kotzmaschinen in den Parks entsprechen auch nicht immer unseren Sicherheitsstandards. Auf einer Achterbahn wurde es uns überlassen, ob wir uns anschnallen wollen oder nicht. Ich entschied mich für ja, die Dame neben mir, mangels Gurt, für nein. Später lasen wir, dass in der vergangenen Saison drei Menschen auf dieser Bahn gestorben sind. Das sind tatsächliche und ganz unlustige Gefahren. Aber wenn es keinen Gurt gibt, kann man immer noch aufstehen und gehen, oder sich woanders hin setzen. Es ist also vermeidbar.
Rückflug
Auf dem vierstündigen Rückflug machen wir so etwas wie ein Debriefing: Was hat wer gesehen und erlebt? Welche Fragen sind offen? Was war Ziel der Übung und was haben wir erreicht? In Davids Kopf rotiert es. So viele Eindrücke. So viele Leute und Dinge kennen gelernt. Und am Ende mehr Fragen als am Anfang. So geht es mir auch immer, wenn ich von der Front komme. Einen ordentlichen Eindruck vom Job hat er bekommen: Sehr viel Vorbereitung, Kontakte aufbauen und pflegen, teures Equipment kaufen und am Ende nicht viel verdienen. Die traurige Realität. Man macht es halt aus Überzeugung. Weil man die Wahrheit sucht, weil man den Opfern eine Stimme geben will.