bsnInternetKommentar

Weg von Twitter, hin zu Mastodon?

Dass der Tesla und SpaceX Unternehmer Elon Musk den Microbloggingdienst Twitter kaufen möchte, war lange bekannt. Scheinbar ewig hing der Deal in der Luft. Dann schrieb Musk auf Twitter, er sei nun im Twitter Hauptquartier. Ein Foto zeigt ihn mit einem Spülbecken in der Hand, sowie dem Text „let that sink in“. Ein Wortspiel, welches sowohl „Lass das auf dich wirken“ also auch, wenn man es wörtlich nimmt, „lass das Spülbecken rein“ heisst. Er hatte immer wieder angekündigt einige Entscheidungen der bisherigen Geschäftsführung zurück zu drehen. 

Vor allem, wolle er wieder die „freie Rede“ auf Twitter erlauben und gesperrte Personen, wie den ehemaligen US Präsidenten Donald Trump wieder auf der Plattform erlauben.Viele sorgen sich, dass Rassismus und Hetze ungehindert Einzug erhalten können und wollen Twitter verlassen – oft hin zu Mastodon. Aber löst ein Umzug das Problem? Ich denke nicht.

Mastodon
Mastodon – der föderale Microbloggingdienst

Twitter ist ein klassischer zentralisierter Dienst, betrieben von einem Unternehmen als einzigem Ansprechpartner. Dieses entscheidet, was man tun und lassen darf und wer die Plattform nutzen darf. Dennoch gibt es unabhängig davon Entscheidungen lokaler Gesetze, welche die Nutzung beeinflussen können. 

So mussten deutsche Gerichte immer wieder entscheiden ob bzw. wann Politiker Menschen auf twitter blockieren dürfen. Damit hat Twitter als Betreiber jedoch nichts zu tun. Das Problem von Hetze besteht natürlich auf Twitter. Und auf Facebook, Instagram, TikTok und halt im echten Leben. Überall, wo es Menschen gibt, existiert so etwas. Und überall muss man damit umgehen. Im echten Leben kann es schwieriger sein, sich davon zu distanzieren, weil man unter Umständen seinen Sitzplatz wechseln muss oder bestimmte Veranstaltungen nicht mehr besuchen kann. Im Internet ist es meist nur einen Klick entfernt. Oder man macht die App einfach nicht auf und isst stattdessen ein Eis. 

Mastodon ist nicht Twitter

Mastodon funktioniert technisch anders. Es gibt keine zentrale Verwaltung und keinen zentralen „Rat“ oder ähnliches, der es administriert und die Regeln setzt.  Die Idee ist, dass alle, die Interesse haben, eigene Mastodonserver betreiben, welche sich untereinander vernetzen. Die einzelnen Server sollen dabei wie Nachbarschaften funktionieren. Daher umfasst der Nutzername auch den Server. Auf Twitter heisst man z.B. „Enno“, auf Mastodon „[email protected]“. Ob man sich am Ende mit dieser „Nachbarschaft“ identifiziert oder nicht, wird sich zeigen. Das bietet Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass jeder Server-Betreiber seine eigenen Regeln machen kann. Der Nachteil ist aber auch genau das. 

Wie früher?

Newsgroup in SLRN
Internet früher: Diskutieren in dezentralen Usenet

Leute, die in den 80ern und 90er Jahren das Internet benutzt haben, kennen das noch. Beim Usenet, IRC und ähnlichen Diensten war es genau so. Dort wurde meist gar nichts von den Betreibern gefiltert.  Die herrschende Meinung war, dass die Filterung „im Endgerät“, also im Gehirn eines mündigen Nutzers, geschehe. Und wenn dieser etwas wirklich nicht mehr lesen wolle, könne er das Gegenüber halt blockieren – oder bei rechtlich relevanten Dingen eben anzeigen. Das funktionierte gut.

Selber filtern?

Heute scheinen sich viele Menschen diese Mündigkeit selber abzusprechen. Sie wollen nicht mehr selber entscheiden, was sie lesen und was nicht. Sie wollen auch nicht eigenständig eine App schließen, wenn es ihnen zu viel wird. Jemand anders möge das für sie regeln – immer so, dass ihr leichtes Gemüt nicht zu sehr belastet wird. 

Der Hinweis, man könne die App ja schließen, wird als Angriff gewertet: Niemand solle gezwungen sein, eine App schließen zu müssen. Jemand anderes solle deren Inhalt so regeln, dass nichts belastendes drin sei. Für Menschen, die die Realität da draussen sehen wollen, ist das schwierig. Ich möchte zum Beispiel sehen, welche Propaganda welche Seite gerade streut und welches Narrativ nun wieder geprägt wird. Die Augen zu verschließen löst das Problem nun mal nicht. 

Ist Mastodon in der Lage das Problem zu lösen?

Eigentlich gar nicht. Es kann es nur verschieben. Wie oben erklärt, ist der Betreiber des jeweiligen Mastodon-Servers für dessen Regeln zuständig.  Auf Twitter gebannte Leute, wie Trump, können also ihren eigenen Server auf machen, ohne dass ihnen jemand dies verbieten könnte. Damit wäre die gesamte Argumentation Twitter zu verlassen, wenn Trump kommt, hinfällig. 

Aber es gibt die Möglichkeit die Benutzer auf seinem Server daran zu hindern, die Inhalte eines bestimmten anderen Servers zu lesen. Mein Administrator kann also verhindern, dass ich z.b. die Propaganda von Trump oder Putin lese. Aber auch auf so etwas will ich ein Auge haben. Ich müsste also vor Eröffnung eines Benutzerkontos mit meinem Administrator sprechen und klären, was er nun und in Zukunft erlaubt. Und hoffen, dass er sich daran hält. Er kann seine Meinung jederzeit ändern.

In dem Fall könnte ich zwar mein Benutzerkonto auf einen anderen Server umziehen und meine bisherigen Verbindungen zu anderen Benutzern mitnehmen – ich hätte aber einen neuen Benutzernamen auf einem neuen Server.  Oder ich brauche mehrere Benutzerkonten auf mehreren Servern. Richtig praktisch ist das auch nicht.

Das häufige Argument, es gäbe auf Mastodon weniger Hassrede und Hetze, kann niemand bestätigen oder entkräften. Es basiert auf anekdotischer Evidenz, da es keine Suchfunktion, keine zitierten Beiträge, aber willkürlich von einem abgeklemmte Server gibt. Ob jemand über einen lästert, kann man nicht per Suche feststellen. Man bekommt keine zitierten Beiträge mit, da die Nutzer stattdessen Screenshots machen. Es gibt Mastodon Instanzen, wie Gab.com, welche vor allem von Rechten und Verschwörungstheoretikern benutzt werden. Sie werden auf vielen anderen Servern einfach nicht angezeigt – wodurch das Problem aber nicht verschwindet.

Was „fehlt“ Mastodon?

Es gibt einige Dinge, die Umsteigenden fehlen könnten. So gibt es auf Mastodon keine Möglichkeit Retweets mit einem Kommentar zu versehen. Man kann den originalen Beitrag einer anderen Person umkommentiert teilen – oder es eben lassen. Die Begründung dafür klingt irritierend: „Das macht es für die Leute viel einfacher, sich sofort mit dem zitierten Inhalt zu beschäftigen… und das führt normalerweise zu nichts Gutem.“ – man möchte also nicht, dass man sich mit dem Gegenüber direkt beschäftigen kann.

Ähnlich interessant wird im gleichen Beitrag die Abwesenheit einer umfangreichen Suche begründet: „Was bewirkt die willkürliche Suche? Menschen und Marken suchen nach ihrem eigenen Namen, um sich selbst in Unterhaltungen einzuschleusen, zu denen sie nicht eingeladen wurden.“ – Man möchte also nicht, dass Menschen mitbekommen, wenn hinter ihrem Rücken über sie gesprochen wird. Ob das nun ein Vorteil oder ein Nachteil ist, sei mal dahingestellt.

(Kein) Recht auf Vergessen

Durch die dezentrale Organisation Mastodons werden Kopien aller Beiträge aller Nutzer im Zweifel auf allen angeschlossenen Servern vorgehalten.

Das heisst, dass Fotos, Videos und Beiträge tausendfach kopiert in verschiedenen Datenbanken rund um den Globus liegen, in verschiedenen Rechtssystem, potentiell auch auf anonymen Servern, deren Administratoren unbekannt sind.

Wird ein Mastodon-Server einfach abgeschaltet, sei es weil der Betreiber ihn nicht mehr finanziert oder einfach vergessen hat, so meldet sich dieser nicht korrekt bei den anderen Servern ab. In dem Fall können Nutzer der anderen Server weiterhin auf die lokale Kopie der Profile des abgeschalteten Servers zugreifen, die Ersteller dieser Profile jedoch nicht mehr.

Man kann Fotos, Videos und Beitrage also weder löschen noch editieren. Niemand wäre in der Lage, das Profil zu löschen. Einziger Weg wäre jeden einzelnen Betreiber eines Mastodon-Servers zu kontaktieren und diesen zu bitten, die lokale Kopie zu löschen. Dies birgt Missbrauchspotential. Man könnte einen Mastodon-Server aufsetzen, welcher aktiv versucht Kopien aller Profile aller Server zu ziehen und diese einfach nie zu löschen.

Was ändert sich?

Auch ist unklar, was sich bei Twitter jetzt genau ändert. Trump und andere waren auch vorher lange auf Twitter. Man kann sie blocken. Man kann deren Follower blocken. Ein Klick, um das Plugin dafür zu installieren. Ein Klick, es auszuführen. Aber das ist ja schon wieder zu viel verlangt. Man kann Twitter in seiner Bubble weiter nutzen, wie gehabt. Ich sehe nicht wirklich, wie einen diese anderen Accounts dabei beeinflussen. Wenn man das Ganze aus Prinzip nicht unterstützen und daher gehen will: Verständlich. Aber das ist eine andere Frage.

Und das Problem?

Das Problem ist aber weder Musk, noch Trump, noch Twitter. Das sind nur Symptome. Das Problem sind Leute, die sich in der ersten Welt immer mehr von Problemen abschotten wollen und nur noch in ihrer rosaroten Bubble leben wollen. 

Das will ich ihnen gar nicht nehmen und sicher ist es besonders schön dort. Aber genau dafür könnte Mastodon und ähnliches eine Lösung sein: Man baut sich seine eigenen Server ohne Kontakt zur Aussenwelt und spielt nur schöne Dinge ein, mit denen man sich befassen mag. Und das ist total ok, wenn man es so möchte. 

Werbung