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500 Jesiden demonstrieren gegen das Vergessenwerden

Berlin – Heute erinnern Jesiden auf der ganzen Welt an den 74. Genozid an ihrem Volk am 03. August 2014. Der Islamische Staat versuchte ihr Volk auszurotten, viele kamen nur mit dem davon, was sie am Körper trugen. In Berlin demonstrierten 500 gegen das Vergessen. 

Es heisst oft, das Volk der Jesiden und ihr Glaube sei älter als die Zeit. Es gab sie schon, bevor es Kalender gab. Die ältesten gefundenen Tongefäße aus ihrem Siedlungsgebiet werden auf 7.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung datiert. Die meisten Jesiden leben seit Jahrtausenden rund um das Shingalgebirge im Norden des Iraks. Dies gehört zu den umstrittenen Gebieten, welche sowohl die Zentralregierung in Baghdad, als auch die kurdische Regionalregierung in Erbil für sich beanspruchen. In der Nacht vom 02. auf den 03. August 2014 überfiel der Islamische Staat die Stadt Shingal und die umliegenden jesidischen Dörfer. Zehntausende Menschen wurden sofort ermordet oder verschleppt. Andere wurden in das Gebirge getrieben, in welchem sie verdursteten. Die Welt sah zu und wendete sich ab. Bis heute werden tausende Jesidinnen und Jesiden vermisst. Etliche wurden vom IS versklavt und zum Spaß gefoltert und vergewaltigt, bis heute werden immer wieder Massengräber aufgefunden. 

Inzwischen gehören die Flüchtlingscamps Khanke und Sharia, nahe der kurdischen Stadt Dohuk, zu den größten jesidischen Städten der Welt. Die Jesiden sind dort relativ sicher – aber eine wirkliche Heimat ist es nicht für sie. Dort im Camp hat man keine planbare Zukunft, keine richtige Perspektive. Deutschland nahm einen Teil der Jesiden auf, doch die starre Verwaltung in Deutschland schafft Probleme. „Wir werden immer als ‚Regliöse Minderheit‘ betitelt. Ethnologisch betrachtet sind wird aber ein Volk, welches nicht anerkannt wird. Wir haben eine eigene Sprache, die in den Listen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht vorkommt. Die Liste der Sprachen scheint unendlich lang – aber für unsere Sprache soll dort kein Platz sein?“ erklärt eine der Demonstranten das formale Problem. 

Die Hauptforderung der Demonstration: den 74. Völkermord an den Jesiden nicht nur als solchen zu bezeichnen, sondern ihn als solchen anzuerkennen. Was auf den ersten Blick als ein Detail erscheint, ist für die Anerkennung als Flüchtling und die Möglichkeit, eine neue Zukunft in Deutschland zu finden, entscheidend. 

Der 74. Genozid am jesidischen Volk ist das grausamste Ereignis der jüngeren Vergangenheit. Ich war 2015 selber vor Ort in Shingal, um mit Überlebenden zu sprechen. Schon vom Zuhören bekommt man Albträume. Und dennoch gehört es zu den Ereignissen, die auf der Welt kaum wahrgenommen werden. Die Jesiden demonstrieren hier für Anerkennung und dafür, dass man sie nicht vergisst. 

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