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Das verminte Atomkraftwerk von Zaporizhzhia

Die Großstadt Saporischschja liegt etwa sieben Stunden südwestlich der ukrainischen Hauptstadt am Dnepr. Heute ist die Stadt vor allem für das nahegelegene Atomkraftwerk Enerhodar bekannt. Das größte Atomkraftwerk Europas, derzeit von russischen Terrorristen besetzt und vermint. Neben dem AKW liegt der seit 1956 gestaute Kharkovka-Damm. Am 6. Juni 2023 sprengte die russische Armee den Damm. Der Stausee lief fast leer, sein Wasserstand ist um mehrere Meter gefallen. Das Wasser des Sees wurde auch für die Kühlbecken des Atomkraftwerks Saporischschja genutzt.

Zaporizhzhia im Juni 2023 sieht auf den ersten Blick völlig normal aus. Eine mittelgroße Stadt; es herrscht reges Treiben auf den Straßen. Es ist warm und die Menschen flanieren im Sonnenschein.

Die Dnepr, eigentlich ein reißender Strom, an der Stelle gerade nur ein breiter, sehr flacher Fluß, an der Mündung zum ehemaligen Staubecken. Ein Steg steht im trockenen, auf Betonpfeilern und ist rund zehn Meter breit. Zwischen ihm und den Cafés am Strand befinden sich nur wenige Pfützen. Eigentlich hatten die Cafés schwimmende Terrassen.

Ich fahre weiter direkt zum abgelassenen Stausee. Und es sieht alles irgendwie trivial aus: Rasen, Strand, Wasser. Auf den ersten Blick, wie ein normaler Baggersee. Aber man erkennt am Ufer, dass das Wasser stark zurück gegangen ist, vermutlich mehrere Meter in der Höhe. Und der Strand ist vermint. An sich habe ich damit schon alles Relevante gesehen. Auch wenn hier weiter ganz normale Menschen wohnen und es völlig ruhig zu sein scheint, trage ich meine schusssichere Weste mit Splitterschutz. Immer wieder werden hier und anderswo wahllos Ortschaften von den Russen unter Artilleriefeuer genommen. Auch während ich jetzt Fotos mache, höre ich von der anderen Seite des Sees das Grollen von Artillerie. Menschen ein Stück entfernt blicken in den Himmel. Ich auch. Kein Einschlag. Also fotografiere ich weiter.

Am abgelassenen Stausee. Foto: Chris Klawitter

Zurück nach Saporischschja. In der Innenstadt sind die Restaurants so überfüllt, dass ich mehrfach abgewiesen werde. Die Menschen erzählen mir, dass man irgendwann mit der Situation leben lernt. „Das ist, wie wenn du über den Zebrastreifen gehst. Da sagst du ja auch nicht, puh, zum Glück hat der angehalten. Fast wäre ich tot gewesen! Du gehst einfach rüber und denkst nicht drüber nach.“

Ich werde zur Standparty am See eingeladen. Die ganze Welt diskutiert, wie es mit dem Atomkraftwerk weitergeht und was in Saporischschja geschehen wird. Und dort wird einfach gefeiert. Die Party ist so laut und dauert so lange, dass man in den umliegenden Hotels nicht schlafen kann. Eine junge Frau auf der Party sagt: „Wenn das Kraftwerk explodiert, dann hat das nichts mit dieser Party zu tun. Also besser feiern als nicht feiern.“

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