Jahresrückblick 2023
Das Jahr 2023 war auch für die Berlin Story ein sehr bewegtes. Nachdem Wieland Giebel und Malte Lauterbach bereits ihre Rückblicke geschrieben haben, bin ich nun als letzter dran.
Weiterhin forschen wir vor Ort zu Konflikten, betreiben das Nachrichtenportal Berlin Story News, veröffentlichen Bücher im Berlin Story Verlag und zeigen im Berlin Story Bunker drei Ausstellungen zum NS-Terror, Deutschland seit 1945 und zum Krieg in der Ukraine. Wir, das sind im Kern Wieland Giebel (Verleger und Kurator) sowie Enno Lenze (Bunkerchef und Journalist).
Januar
Im Januar begaben wir uns nach Ruanda. Wie hat sich das Land in den rund dreißig Jahren seit dem grausamen Völkermord entwickelt? Heute ist es der New Economy Hub Afrikas, voller aufstrebender kleiner Unternehmen mit innovativen Ideen. Die Unterrichtssprache wurde von Französisch auf Englisch geändert, die Straßen sicher gemacht. Nicht wiederzuerkennen.
Anschließend ging es in die Ukraine. Seit 2022 planten wir, einen zerstörten russischen Panzer in Berlin auszustellen. Doch Berlin wollte nicht – mehr als ein halbes Jahr wurden wir mit einem Rechtsstreit und hanebüchenen Ausreden drangsaliert. Doch wir mussten den Panzer vorbereiten, demilitarisieren. Das geht nur vor Ort und mit dem Schweißgerät.
Februar
Immer noch in der Ukraine besuchten wir die Großstadt Chernihiv, welche zwischen Kyiv und Belarus liegt. Die Stadt wurde zu Beginn des Krieges 38 Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten. Vor Ort konnten wir mit den Menschen sprechen, die dort mehr als einen Monat umzingelt von Russen ausharren mussten.
Von dort ging es direkt zurück nach Berlin. Der Panzer sollte am 24. Februar 2023, also am Jahrestag der Invasion der Ukraine, vor der russischen Botschaft in Berlin stehen. Bis wenige Tage davor versuchte man dies in Berlin zu verhindern. Doch nicht zuletzt aufgrund des unermüdlichen Einsatzes des Anwaltes Dr. Patrick Heinemann gelang es. Acht Monate Arbeit. Müde und erschöpft. Aber wir hatten es geschafft. Wie, das erkläre wir hier genau.
März
Malte Lauterbach berichtet erneut für uns über die Lage in Israel. Er sieht die Gefahr kommen und erntet dafür viel Kritik. Hier in Europa plante Kurator Wieland Giebel eine weitere Ausstellung zu Kriegs- und Krisengebieten, während ich in der Ukraine bei einer Museumskonferenz war. In Kharkiv, nur wenige Kilometer von der Front entfernt, diskutierten dutzende Menschen über die Museale Darstellung des Krieges in zukünftigen Gedenkstätten.
Wie sollen Gedenkstätten gestaltet werden? Wie und für welche Zielgruppe aufbereitet? Ich bin als einziger ausländischer Experte angereist.
April
Unser Projekt „Golden Bridge“ hilft Iranerinnen und Iranern zensurfreies Internet sicher zu erreichen. Unsere VPN-Installation erreicht 50.000 Nutzer gleichzeitig. Diese können sich über eine eigene App, welch vor Ort per Hand weitergegeben wird, mit ihren Smartphones einwählen. Das Projekt läuft drei Monate, um Informationen über den Widerstand dort nach draußen zu tunneln.
Und ich muss mein zweites Buch „Into the fire“ schreiben. Ein Teil der Geschichten ist bekannt, da sie in Artikeln verarbeitet wurden. Das Buch bietet jedoch mehr Platz, erklärt die Zeit zwischen den Artikeln und erlaubt einen Blick zurück. Am Ende schreibe ich wieder zu lang und es werden knapp 400 Seiten.
Mai
Der Frontline Club und das „New Lines Institute“ laden am Tag der Pressefreiheit zu einer Podiumsdiskussion mit meinen Idolen Clarissa Ward und Hala Gorani ein. Der Club ist ein Ort für Medienschaffende in der Nähe des Londoner Bahnhofs Paddington. Er zielt darauf ab, unabhängigen Journalismus zu fördern. Der Schwerpunkt liegt auf Kriegsberichterstattung. Wir unterstützen den Club durch eine Fördermitgliedschaft. Die Veranstaltung war wichtig, witzig und interessant.
Ebenfalls im Mai wird der Staat Israel 75 Jahre alt – wir feiern mit dem Botschafter Ron Prosor und anderen geladenen Gästen dieses freudige Ereignis.
In Kurdistan eröffnet das Barzani National Memorial – sozusagen das Staatsmuseum der Kurden. Neben Präsidenten, Premierministern und Diplomaten gehöre auch ich zum kleinen Kreis der Eingeladenen. Das Memorial ist beeindruckend und modern gestaltet. Es erzählt die Geschichte mit allen Details sehr gut.
Nachdem unser Panzer Deutschland verlassen musste, lädt uns die Bürgermeisterin von Amsterdam ein. Dort darf er an einem zentralen Ort als Teil einer Kunstinstallation stehen.
Juni
Zurück im Büro beginnen wir, eigene Energydrinks zur Ukraine zu produzieren. Vier Motive, welche zunächst im Berlin Story Bunker, später auch online zu kaufen sind.
In der Ukraine besuche ich das Dorf Yahidne, welches traurige Berühmtheit erlangte. Die Einwohner des ukrainischen Dorfs waren einen Monat lang von russischen Terroristen im Keller der Schule festgehalten worden. Ich konnte mir den Ort des Schreckens ansehen und mit Überlebenden sprechen.
Juli
Seit dem Frühjahr wurde auf eine ukrainische Gegenoffensive gewartet. Doch hatte man den Russen zu lange Zeit gelassen, sich einzugraben und riesige Minenfelder zu legen. Dreh- und Angelpunkt war der ukrainische Ort Zaporizhzhia, welcher neben dem verminten Atomkraftwerk liegt. Zusammen mit unserem Fotografen und Mann in Kyiv, Chris Klawitter, reiste ich dorthin. Was wir fanden, waren ein fast leerer Fluss, aber keine verschreckten Menschen. Die Stadt war voll und die Partys so lang und laut, dass wir kaum schlafen konnten.
Im Berlin Story Bunker erweiterten wir die Ukraine-Ausstellung. Zum einen kamen Souvenirs mit Kriegsbezug dazu, zum anderen zerschossene Platten aus schusssicheren Westen.
August
Der Iran nahm die Gunst der Stunde wahr und griff vermehrt US-Stützpunkte im Irak und Syrien an. Daher flog ich nach Kurdistan–Irak, um vor Ort mit den Menschen über die aktuelle Bedrohungslage zu sprechen.
Mein Buch „Into the fire“ war fertig, das Vorwort von Paul Ronzheimer leider noch nicht. Er war im Donbas unter Beschuss geraten, als er es schreiben wollte. Also warteten wir voller Spannung.
September
Erneut reiste ich nach Kurdistan und musste erfahren, dass ein Freund beim Versuch sich nach Europa schmuggeln zu lassen gestorben war. Die Geschichte von Ali und Aras versuchter Flucht nach Europa kam noch in das Buch, welches eigentlich schon fertig war. Dann kam Pauls Vorwort und das Buch ging in den Druck.
Oktober
„Guten Morgen. Wir sind im Krieg. Ehrlich gesagt wäre ich überrascht, wenn sie Gaza nach dieser Aktion nicht platt machen.“ – war die erste Nachricht, die ich am Morgen des 7. Oktobers auf meinem Handy sah. Sie kam von Malte, welcher für uns in Israel war und über den Hamas-Terror berichtete: „Es ist Krieg“ – Israel von Hamas-Angriff überrollt
Kurator Wieland Giebel war währenddessen in der Ukraine und wollte sich selber ein Bild der Lage machen. Per Bus und Bahn führte in sein Roadtrip Richtung Bakhmut. Er sprach mit den Menschen vor Ort.
November
Die Internationale Rüstungsmesse Milipol fand in Paris statt – dieses Jahr mit überraschend wenig spannenden Dingen.
Spannend war hingegen ein abgeschossener russischer T-72 Panzer in Helsinki. Nicht meiner, aber ich besuchte ihn vor Ort.
Dezember
Weihnachten verbrachte ich in der Ukraine in Isjum und Kharkiv. Wir erteilten Geschenke an Kinder, welche aus Kupjansk evakuiert werden mussten. Während der Aktion hatten wir mehrmals Luftalarm. Wenige Tage später schoss Russland mehr als hundert Raketen an einem Tag auf die Ukraine.
Das Jahr war schwierig, traurig, anstrengend. Wir haben Kollegen und Freunde verloren und die Welt am Abgrund gesehen. Aber wir haben auch Hoffnung, Mut und Helden des Alltags gesehen. Wir erleben, wie Menschen in den schlimmsten Stunden zusammenrücken und einander helfen und wir sehen, wie wir mit unserer Arbeit anderen helfen und die Welt zum Positiven verändern können. Und deswegen machen wir weiter.
Euch allen ein friedliches und frohes neues Jahr!