CoronaDemonstrationen

Wer demonstriert hier gegen Gedankenkontrolle?

Nennt man jemanden „Aluhut“ oder „Althut-Träger„, so ist das meist eine despektierliche Bezeichnung für eine leicht paranoide Person. Doch was, wenn jemand mit Aluhut vor einem steht und einem vollen Ernstes erklärt, dass ihn dieser vor Bill Gates‘ Satelliten schützt?

Vor zwanzig Jahren hätte man sich vorsichtig nach Hape Kerkeling und einer versteckten Kamera umgesehen. Heute sind diese Aluhutträger Alltag auf den deutschen Straßen. Bei den aktuellen „Hygienedemonstrationen“ treffen sich Verschwörungstheoretiker, rechte „Patrioten“ und Neonazis aller Art um gemeinsam, … ja für oder gegen was eigentlich zu demonstrieren?

Bei vielen dieser Leute ist es eigentlich egal, wofür oder wogegen sie gerade sind. An sich sind sie immer dagegen. Die AfD warf Bundeskanzlerin Merkel lange vor, sie habe 2015 die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet. Dass die Grenzen seit 1995 offen waren, spielte dabei keine Rolle. Als vor einigen Wochen viele inneneuropäische Grenzen aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen wurden und somit die Erntehelfer nicht mehr nach Deutschland kamen, forderte die AfD wiederum die Öffnung der Grenzen. Das ganze sind natürlich einfache politische Spielchen. Komplizierter wird es bei den anderen Beteiligten.

Unklar, ob es Satire ist, oder ernst gemeint

Warum trägt man einen Aluhut? Es gibt verschiedene Gründe. Am häufigsten wurde es mir so erklärt: Bill Gates hat geheime Satelliten zur Gedankensteuerung im Orbit. Bill Gates gehört auch die WHO. Nun zwingt Bill Gates die ganze Welt über die WHO zu Zwangsimpfungen. Dabei sollen 90% der Bevölkerung ausgelöscht werden. Der Rest erhält einen Chip, welcher vom Satelliten Befehle erhält und Gedanken zum Satelliten sendet. Ein Aluhut jedoch hält diese Signale ab. Es gibt aber auch die aufgeklärten Menschen. Denen ist klar, dass das Blödsinn ist. Sie haben eine aus Alufolie gerollte Kugel um den Hals hängen, welche die Signale besser verwirrt, als ein Aluhut! Die Diskussionen, welches Mittel das richtige ist, wird hitzig geführt. Es erinnert etwas an Szenen aus „Das Leben des Brian„. Die Leute meinen, sie seien die Retter der Welt, weil sie diese Geheimnisse kennen und veröffentlichen. Auf ihren Demonstrationen erzählen sie mir, dass sie nicht mehr demonstrieren dürfen, ihre Meinung nicht öffentlich äußern dürfen und niemandem von den Dingen erzählen dürfen, die sie mir gerade erzählt haben.

Man weiss gar nicht, wie man diesen Satz schreiben soll, ohne dass der Leser meinen könnte, man habe sich verschrieben.

Mann mit „Jude“ Armbinde

Daneben stehen Leute mit einem gelben Davidstern auf dem Arm, in dem wahlweise das Wort „Jude“ oder „Ungeimpft“ steht. Sie sagen, dass Merkel mit ihnen umgehe, wie Hitler mit den Juden. Doch was meinen die Leute, was Hitler mit den Juden gemacht hat? Ein weiterer Mann erklärt mir, den Holocaust habe es nie gegeben. Juden aus den USA hätten den linken Hitler finanziert, der dann die Nazis aufgebaut habe. Die Nazis seien die Vorgängerorganisation der Antifa, welche von den USA geleitet werden. Zuständig für Deutschland ist „General Grenell„, also der US Botschafter in Deutschland, Richard Allen Grenell. Er als Leiter der Antifa? Ich versuche das Bild aus meinem Kopf zu bekommen.

Die Rechten seien also Widerstandskämpfer gegen Hitler gewesen. Und die Vernichtungslager? „Die KZs haben die Juden gebaut um Rechte zu vernichten!“. Also frage ich die Dame auf der anderen Seite wieder, warum sie dann sagt, sie seien wie die Juden unter Hitler. Die Frage kommt nicht an. Sie erzählt mir fast wortgleich, was sie mir vorher sagte.

So etwas passiert mir auf den Demonstrationen oft. Die Leute sind immun gegen Fragen, Fakten und Logik. Sie Spulen einfach ihr Programm runter. Wer auch immer ihnen widerspricht, ist „vom Geheimdienst“ oder „Lügenpresse„. Mir wird auch vorgeworfen, dass ich als Journalist nie mit ihnen sprechen würde, immer nur mit den anderen. Es ist so Grotesk, dass Satiriker keine Chance mehr haben, so etwas zu verarbeiten.

Mittendrin sah man am 16.05. Angelika Barbes mit Begleitung. Beide spielten ihre Rolle nach dem üblichen Muster: Polizisten ansteuern, fragen was eigentlich los sei, um direkt in Hasstiraden überzugehen. Sie versuchten die Polizisten, die sie gerade noch in ein Gespräch verwickelt hatten, wegzuschieben. Sie hätten auch einfach weggehen können oder den Alexanderplatz verlassen. Niemand hatte sie angesprochen, niemand hatte irgend etwas von Ihnen gewollt. Als die Polizei genug von dem Spiel hatte und sie festnahm ging der zweite Akt los: Sich in die Rolle des unwissenden Opfers der Polizei begeben. Sie wisse gar nicht, was los sei oder warum sie mitgenommen würde. Ihr Mann schubste weiter Polizisten. Er wollte weder mitkommen noch weg gehen – er wollte immer das nicht, was ihm gerade angeboten wurde. Dabei spielte auch er die Rolle des unwissenden, der gar nicht wisse, was hier los sei und was es mit diesen Veranstaltungen auf sich habe. Er schubste weiter Polizisten um sich dann darüber zu beschweren, dass diese ihn zur Seite drängten. Ziel dieses Spieles ist Bilder einer Festnahme zu erzeugen und sich als Opfer zu inszenieren. Dabei wissen alle beteiligten und alle späteren Zuschauer, wie dieses Spiel funktioniert. Ein Beobachter kommentierte es mit den Worten „Das ist doch ein Witz für Doofe„.

Hier sollte gerade die Revolution starten

Also alles im Bereich „harmlose Spinner“? Leider nicht. Die bereits erwähnten Holocaustleugner sind immer vor Ort, genau so wie gewaltbereite Gruppierungen, die Polizei und Medien angreifen. Inzwischen haben fast alle Kamerateams Personenschützer dabei. Und das in Deutschland im Jahr 2020. Sie planen die Revolution und bei ihren Unterstützern werden immer wieder Waffen, Sprengstoff und Anschlagspläne gefunden. Aber ihre Mobilisierung klappt nicht. Am 15. Mai 2020 sollte die neue Weltordnung ausgerufen werden, es kamen neun Personen zum Brandenburger Tor.

Dass auch die Polizei Schwierigkeiten hat, sich auf die neue Lage einzustellen, sah man bei den ersten Veranstaltungen. Jemand mit einem T-Shirt der Punk-Band „Feine Sahne Fischfilet“ und einem „Leave no one behind“ Schild gehörte bisher eindeutig zur linken pro-Flüchtlingsdemo. Hier steht diese Person auf einmal auf der Anti-Gates Demonstration.

Die „Gib Gates keine Chance“ Aufkleber, welcher an „Gib Aids keine Chance“ angelehnt sind, kommen aus der Open-Source Software Szene der 1990er Jahre. Sie waren als Spass zu verstehen und wurden von denen genutzt, die statt auf Windows auf alternative Betriebssysteme, wie Linux, setzten.

Doch die Lernkurve der Polizei war steil. Zur großen Demonstration am 09. Mai 2020 kamen mehrere hundert Personen auf dem Alexanderplatz zusammen. Einzelne versuchten die Stimmung anzuheizen und wurden gezielt von der Polizei herausgegriffen. Als eine Flasche flog, schob sich eine große Gruppe Polizisten durch die Menge und nahm die Person fest. Ich kenne noch die „Revolutionäre 1. Mai Demonstration“ der 1990er Jahre. Da flogen in so einem Moment Flaschen, Steine und Böller aus allen Richtungen. Hier bleibt das aus. Die Leute wollen mitlaufen, aber mehr nicht. Nachdem wenige Personen aus der Menge gezogen worden waren, verlief sich die Veranstaltung im Großen und Ganzen.

Am 16. Mai 2020 war der Alexanderplatz weiträumig abgegittert, ein massives Polizeiaufgebot schützte den Bereich. Es durfte nur rein, wer zu einer der Veranstaltungen wolle oder zur Presse gehörte oder zu einem der Geschäfte wollte. Alle anderen wurden wieder raus geschickt. Es blieb, bis auf kleinere Zwischenfälle, ruhig. Man könnte sagen: Die Revolution blieb aus, weil man den Rasen nicht betreten durfte.

Die gesamte Mischung an Leuten ist noch keine Szene. Es sind Gruppen von harmlosen Esoterikern bis hin zu gewaltbereiten Schlägern, von wirren bis zu sehr strukturierten Menschen. Sie haben kein richtiges Ziel, keinen klaren Weg und keine Führungspersönlichkeit, die sie eint. Es sind wenige auf den Straßen. Aber die ganze Lage ist wackelig. Die Grenzen zwischen den Gruppen sind unklar und es gilt abzuwarten, wie es sich entwickelt.

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