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Wie es zur Eskalation in Israel kam

Die Situation in Israel ist verfahren: Seit 2019 wurde bereits vier Mal gewählt. Die Mehrheit hatte stets die konservative Likud Partei unter der Führung des Hardliners Benjamin Netanyahu. Dieser konnte jedoch nie eine Regierung bilden, da es ihm nicht möglich war, die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich zu vereinen. In den vergangenen 25 Jahren wurde in Israel elf Mal gewählt. Zusätzlich muss sich Benjamin Netanyahu wegen des Vorwurfes der Korruption vor Gericht verantworten. Dass ein amtierender Präsident vor Gericht steht, ist zweifelsohne ein Erfolg der kleinen Demokratie im Nahen Osten – hilft der Gesamtsituation jedoch nicht. Politische Instabilität in einer geopolitisch unstabilen Gegend potenziert das Problem. 

Am 05. Mai wurde der Auftrag der Regierungsbildung von Netanyahu Partei an Yair Lapid, den Vorsitzenden der Partei Yesh Atid weitergereicht. Dieser nahm die Gespräche mit Naftali Bennett, dem Vorsitzenden der Yamina Partei auf, um binnen einer Woche eine Einheitsregierung zu bilden.

Regierungsbildung in Israel

Eine Einheitsregierung, welche von einem breiten politischen Spektrum unterstützt wird und erstmals auch arabische Parteien einbezieht, könnte die Situation für alle im Land verbessern, wenn sie hält. Die Hoffnungen waren groß, dass in Folge dieser Regierungsbildung die Zusammenarbeit mit der palästinensischen Autonomiebehörde verbessert wird. Politische Stabilität und weniger Hardliner an der Spitze könnten zu einer Beruhigung der Lage beitragen.

Extremisten im Vorteil

In einer verfahrenen Situation wie dieser, in der viele Menschen verunsichert sind, in der demokratische Wahlen wiederholt zu keiner Regierungsbildung führen, schlägt die Stunde der Extremisten. Leicht beeinflussbare und verunsicherte Menschen wenden sich diesen eher zu. Extremisten suggerieren Stärke und Einheit, während die Demokratie schwach wirkt. Vor allem die Gegner Israels nutzen dies wieder und wieder aus und versuchen erneut „die Juden zu vernichten“, wie sie sagen. 

Iran als Strippenzieher

Der Iran hat in den vergangenen Jahren durch die schiitischen Milizen im Irak eine Landbrücke nach Syrien geschlagen, über welche sie Waffen vor Israel in Stellung bringen können. Diese sollen als Faustpfand gegen Amerikaner dienen, sollten die USA den Iran angreifen. Die amerikanischen U-2, U-28A und MC-12 Aufklärungsflugzeugen beobachten solchen Transporte durch den Irak und informieren die Israelis, welche dann Luftschläge in Syrien ausführen. Um Israel weiter unter Druck zu setzen, sponsern der Iran, aber auch andere Akteure, die Hamas in Gaza. 

Aus Sicht der Hamas stellt eine Einheitsregierung ein Problem dar. Sollten sich die israelisch-palästinensischen Beziehungen verbessern, wenden sich die Menschen von Extremisten und Terroristen ab. Ein Leben in Frieden ist einfach attraktiver als eines in Angst. Die Hamas brauchte also symbolträchtige Bilder, welche ihr Narrativ des gierigen und bösen Juden innerhalb ihrer Echokammer bestätigen konnte. 

Die drei Häuser

Als vorgeschobener Anlass für die Proteste wählten sie Häuser in der Sheikh Jarrah Nachbarschaft in Jerusalem. Hier gab es Häuser, welche vor 1947 von Juden gekauft wurden. Ab 1948 gehörte Ost-Jerusalem zu Jordanien. Die Juden wurden ausgewiesen. Ab 1967 stand Ost-Jerusalem unter israelischer Kontrolle. Inzwischen lebten hier unter anderem palästinensische Familien, welche wiederum jüdisch-israelische Städte verlassen mussten. Sowohl die Nachfahren der ursprünglichen Eigentümer, als auch die aktuellen Bewohner, sehen die Häuser als ihr Eigentum an. Seit 1972 hätte nach israelischem Recht Miete an eine Art Treuhänder gezahlt werden müssen, bis dieser Streit geklärt ist. Die Miete wurde nicht bezahlt. In jahrelangen Gerichtsverfahren wurde entschieden, dass die Häuser den ursprünglichen Eigentümern zustehen und die jetzigen Bewohner sie verlassen müssen. Theoretisch eine simple juristische Frage, in der Praxis ein Politikum. 

Die Hamas stellte diese juristische Auseinandersetzung verkürzt als Unterdrückung der Palästinenser durch „die Juden“ dar, was bei ihrer Zielgruppe zum gewünschten Erfolg führte. Am 07. Mai fand das traditionelle Freitagsgebet in der Al-Aqsa Moschee in Jerusalem statt. Im Anschluss griffen Teile der Teilnehmer israelische Sicherheitskräfte vor der Moschee mit Flaschen und Steinen an. Diese reagierten mit Reizgas und Blendgranaten und verfolgten einzelne Angreifer bis in die Moschee. Dies sorgte für Empörung bei vielen gläubigen Moslems, für welche die Moschee der drittheiligste Ort ihrer Religion ist. 

All das hat mit dem möglicherweise drohenden Machtverlust der Hamas nichts zu tun, gab aber die Bilder, welche deren Narrativ unterstützen. 

Die Hamas erklärte also, dass sie die Hausbewohner und die gläubigen Moslems verteidigen müsste und begann tausende Raketen auf Israel abzufeuern. Die Kosten für die Raketen übersteigen dabei die Kosten für den möglichen Kauf der drei Häuser um ein Vielfaches. 

Hamas-Terror durch Raketen

Die verwendeten Raketen, häufig Grad oder Fajir-5 Varianten, werden von einer einfachen Stahlrampe abgeschossen und können ihre Flugbahn nicht korrigieren. Man kann damit etwa einen Stadtteil anpeilen, aber kaum genauer zielen. Sie sind also militärisch nutzlos, aber gute Terrorwaffen. Auf der anderen Seite haben sie eine Flugbahn, welche sich schnell berechnen lässt. Seit 2011 wird daher auf israelischer Seite das Iron-Dome System eingesetzt. Dieses erfasst die anfliegenden Raketen per Radar und berechnet die Flugbahn. Wenn zu erwarten ist, dass die Raketen auf bewohntem Gebiet einschlagen, werden ein oder zwei Abfangraketen gestartet. Fällt die Hamas-Rakete auf freies Feld, so wird sie nicht abgefangen. Das Abfangen einer Hamas Rakete kostet Israel vermutlich 50.000-70.000 Euro. Durch die Berechnung der Flugbahn kann man auch den Standort der Abschussrampe genau bestimmen. Zusätzlich wird Gaza mit mehreren Drohnen beobachtet, um diese Orte sofort zu markieren. In der vergangenen Woche verschoss die Hamas rund 3.000 Raketen von rund 150 Standorten aus. Etwa ein Viertel bis einem Drittel der Raketen landeten noch in Gaza selbst und zerstörten dort unter anderem Teile der Stromversorgung. Die Hamas versucht so auszuloten, wie viele ihrer Raketen der israelische Raketenschild abhalten kann. In einer zweiten Phase der Angriffe könnten dann so viele Raketen starten, dass viele durch kommen. Das Chaos am Boden nach den Einschlägen könnte dann genutzt werden, um durch die Tunnel nach Israel einzudringen. Dort können weitere Anschläge verübt werden oder die Hamas kann Israelis entführen und diese in Gaza als menschlichen Schutzschild benutzen. 

Die Hamas schießt die Raketen dabei von zivilen Gebäuden aus ab. Dies wurde z.B. dadurch legitimiert, dass die Raketen zwar von Schulen aus verschossen wurden, jedoch erst nach Schulschluss. Da es sich um eine Terrororganisation handelt, liegt es in der Natur der Sache, dass sie ihre Standorte nicht als Militäreinrichtungen kennzeichnen. Die israelische Armee hingegen muss ihre Standorte erkennbar halten und ihre Soldaten uniformieren. Dabei werden Gebäude nicht zwingend permanent von der Hamas genutzt. Ein Kollege, welcher vor zehn Jahren mehrere Wochen dort für AP arbeitete, erklärte mir: „In jedem Gebäude war die Hamas irgendwann mal. Von den Hochhäusern aus beobachten sie die Gegend, durch die Metro [Anm. d. Red.: Tunnel der Hamas unter Gaza, keine U-Bahn] verlegen sie Sachen und in großen Gebäuden veranstalten sie ihre Meetings. Zum Beispiel kommen sie zur Schule oder in ein Verwaltungsgebäude und geben allen einen Monat frei. In der Zeit sitzen sie dort. Dann ziehen sie wieder um. Manchmal auch nur eine Nacht lang. Es ist die Hamas – niemand sagt etwas. Wie wir dort als Journalisten arbeiten, hat mit Pressefreiheit wenig zu tun. Wir sind eher ein Außenposten der Pressefreiheit, der dort Informationen sammelt.“

Israelische Verteidigung

Die israelische Armee hat zum Großteil Startrampen auf den weniger dicht besiedelten Gebieten beschossen, aber auch einige in dichter besiedelten Nachbarschaften. Zusätzlich wurden von der Hamas genutzt Gebäude zerstört. Dabei wurde durch die israelische Armee „roof knocking“ („ans Dach klopfen“) versucht, zivile Opfer zu minimieren. Dabei wird vor dem eigentlichen Angriff eine leere Artilleriegranate auf das Hausdach geschossen. Die Bewohner bekommen den Einschlag mit. Schon dabei kann es in Einzelfällen zu Toten oder Verletzten kommen, ist aber selten. Den Bewohnern soll so eine Chance gegeben werden zu fliehen, bevor der eigentliche Angriff erfolgt. Teilweise werden die Bewohner auch per SMS gewarnt. Hierbei wird der Standort der Mobiltelefone durch mehrere Mobilfunkmasten trianguliert, was heutzutage trivial ist. Ein weiteres Mittel ist ein Anruf beim Gebäudemanager, sofern man diesen kennt. So wurde ein von Qatar und verschiedenen Medien benutztes Gebäude eine Stunde vor dem Angriff gewarnt und die Bewohner konnten fliehen. 

Bodentruppen?

Für einige Irritation sorgte die Ankündigung der israelischen Armee, dass nun „Ground Troops“ („Bodentruppen“) gegen die Hamas vorgehen und dass einzelne Fahrzeuge in die „Gaza enclave“ (Gaza Enklave) eingedrungen seien. Dazu sah man im israelischen Fernsehsender „13“ Bilder von israelischen Merkava Panzern, welche einen Zaun entlang fuhren. In Sicherheitskreisen sorgte diese Bilder für Irritation. Bodentruppen wurden die ganze Zeit eingesetzt. Die Haubitzen der Armee wurden für das „Roof knocking“ eingesetzt. Mit drei Panzern alleine fährt man eigentlich nur zum Tanken, aber nicht in den Krieg. Die „Gaza enclave“ ist nicht Gaza direkt. Es gab viele Überlegungen: Falsche Meldung? Ingenieure, welche die Stromversorgung kappen? Es war unklar. Doch viele Zeitungen und Agenturen berichteten, Israel würde mit Bodentruppen nach Gaza einmarschieren. Das wären aber „ground operations“ und nicht „ground troops“. Es gab viel Verwirrung, weil lange unklar war, ob einzelne Journalisten einfach mehr wussten oder schlichtweg kein Englisch beherrschten. Am Ende war es Letzteres. Zur Ehrenrettung versuchten Agenturen und Zeitungen zu erklären, dass sie falsch informiert worden wären. Ein verzweifelter Versuch.

Die Lage hat sich bis heute nicht beruhigt. Die Hamas greift von zivilen Gebäuden aus zivile Ziele in Israel an. Sie könnte damit einfach aufhören. Israel greift mit seiner uniformierten Armee Hamas-Ziele in Gaza an. Nach einer schnellen Lösung des Konfliktes sieht es derzeit nicht aus. 

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