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Eröffnung des Barzani National Memorials

Am Donnerstag, dem 11. Mai 2023, wurde das Barzani National Memorial in der Region Barzan, Kurdistan-Irak, eröffnet. Es erzählt die Geschichte des Kampfes der irakischen Kurden, vor allem die des Gründers des modernen Kurdistan, Mullah Mustafa Barzani, gegen die wechselnden irakischen Regime.

Das Memorial endet in der Gegenwart, in welcher die Kurden eine eigene Regierung, ein eigenes Parlament, eigene Polizei und eine eigene Armee, aber immer noch keinen Staat haben. Das Who’s who der kurdischen Politik und Gesellschaft traf sich zur Eröffnung. Es dürfte das hochkarätigste Treffen in der Region seit Jahren gewesen sein.

Barzani National Memorial, 2023

Das Memorial steht in Barzan, dem Ort, an dem sich vor hunderten Jahren sieben Stämme Sherwani, Muzuri, Beroji, Nizari, Dolomari, Gerd und Barzani zusammengeschlossen und die Föderation der Barzani gründeten – die Föderation derer, die aus Barzan stammen.

Die Idee war so simpel, wie bahnbrechend: Miteinander und nicht gegeneinander arbeiten. Bereits damals standen dort eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee nebeneinander. Zu den Tugenden gehörten unter anderem Glaube, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Naturschutz und andere Menschen zu respektieren. Dies wurde im Laufe der Zeit konkretisiert und angepasst. So wurde erst das Jagen zu Brutzeiten verboten, später das Dynamitfischen.

Die sieben Stämme der Föderation der Barzani

Doch diese Offenheit, dieser Wunsch nach freiem Leben war den Herrschern in Bagdad ein Dorn im Auge. Dort wollte man von oben herab regieren und ein gehorsames Volk haben. Am 10. Juni 1932 wurde Barzan erfolglos von der irakischen Armee angegriffen. Um sich nicht geschlagen geben zu müssen, baten die Herrscher in Bagdad die britische Luftwaffe, Ihnen zu helfen. Diese bombardierte Barzan und zerstörte das Dorf größtenteils. Die Angriffe setzten sich bis in die 1980er Jahre unter wechselnden Herrschern fort.

Am 31. Juli 1983 schickte Saddam Hussein seine Soldaten. Sie nahmen 8.000 Männer, Frauen und Kinder mit. Der Weg führte nach Süden in die irakische Wüste, bis kurz vor die Grenze zu Saudi-Arabien. Eines der Ziele hatte Saddam „Camp Quds“, also „Lager Jerusalem“ genannt. Dort wurden sie ermordet, oft bei lebendigem Leib begraben. Viele der Leichen konnten inzwischen zurückgeholt und im Barzan-Anfal-Memorial beigesetzt werden. Bis heute wurde Barzan sechzehnmal zerstört und wieder aufgebaut. Es ist ein Symbol für die kurdische Resilienz. 

Barzan, Kurdistan nahe dem Hotel Rubar

Daher verwundert es nicht, dass das Barzani National Memorial genau dort errichtet wurde. Von der kurdischen Hauptstadt Erbil aus führt eine Straße durch die wunderschöne Landschaft, die Karl May anschaulich beschrieben hat, ohne sie je gesehen zu haben. Hinter dem Hotel „Rubar“ fährt man zwischen zwei gigantischen Kurdistan-Flaggen hindurch über eine Brücke. Nur am Tag der Eröffnung des Memorial hängt hier eine kurdische und eine irakische Flagge.

Große Verwunderung bei vielen anreisenden Gästen: Eine irakische Flagge im Herzen des kurdischen Widerstandes. Die Flagge, die Saddams Soldaten auf ihren Uniformen trugen, als sie hier Menschen ermordeten. Doch die Kurden können auch vergeben und sie können ihre persönlichen Gefühle zurückstellen, wenn es um etwas Größeres geht. 

Enno Lenze im Memorial
Enno Lenze am 11. Mai 2023 als Gast im Barzani National Memorial Foto: Wladimir van Wilgenburg

Es geht an diesem Tag jedoch nicht nur um die Eröffnung des Memorials, sondern auch darum, Weichen für die Zukunft zu stellen. Der irakische Premierminister Mohammed Shia al-Sudani, Präsident Abdul Latif Rashid und der Sprecher des irakischen Parlaments Mohammed al-Halbousi reisten nach Barzan, sollten sich als Gäste willkommen fühlen und ihre Flagge sehen.

Von kurdischer Seite waren ihre Pendants gekommen: der Präsident der Region Kurdistan, Nechirvan Barzani, Ministerpräsident Masrour Barzani sowie der vorherige Präsident Massoud Barzani, Vorsitzender der Regierungspartei KDP und Sohn von Mullah Mustafa Barzani ist.

Dazu reisten dutzende Konsuln, Diplomaten, Minister und Vertreter wichtiger Organisationen an. Eine Ansammlung von VIPs in einem Raum, wie es sie in Kurdistan noch nicht gab. 

PDK Vorsitzender Massoud Barzani

Am ausführlichsten war die rund dreißigminütige Rede Massoud Barzanis, der das Leben seines Vaters Mullah Mustafa Barzani zusammengefasste. Er war in Barzan geboren und kämpfte sein Leben lang gegen das Regime in Bagdad, ging ins Exil in den Iran und in die UdSSR. Nach seiner Rückkehr handelte er das erste Autonomieabkommen mit dem Saddam Regime aus, das den Kurden keine Freiheit, aber etwas Zeit zum Ausruhen gab. Solange, bis sie wieder Opfer eines Völkermordes wurden.

Massoud Barzani sprach auch über die Angriffe der britischen Armee damals – heute sind sie ein wichtiger Partner für die kurdische Armee. Ein Beispiel für Feinde, die im Laufe der Zeit zu Verbündeten und Freunden werden können. Am Ende wandte er sich mit ernsten Worten an seine eigene Partei und Regierung sowie den Koalitionspartner PUK und erklärte, er erwarte eine Klärung aller innerkurdischen Probleme noch diesem Monat.

Sein Wort hat Gewicht, war er es doch, der Kurdistan aus dem Saddam-Regime heraus und durch den Kampf mit dem islamischen Staat führte. 

Der irakische Premierminister Mohammed Shia‘ Al Sudani

Auch der irakische Premierminister Mohammed Shia‘ Al Sudani trat mit versöhnlichen Worten auf. Die Szenerie ist symbolträchtig: Er steht als kleine Person vor dem übergroßen Bild Mullah Mustafa Barzanis am Podium. Shia‘ Al Sudani erklärt, dass er Respekt vor den Kurden und ihrem Kampf habe und dass man gemeinsam in die Zukunft blicken müsse, denn diese könne man nur gemeinsam gestalten. Für diese Worte erhielt er großen Applaus. 

Das Memorial selbst erstreckt sich über 50.000 Quadratmeter und besteht aus einem Gebäudekomplex mit drei großen Kuppeln, einem Außenbereich und dem simplen Grab Mullah Mustafa Barzanis. Die drei Kuppeln des Gebäudes stehen für Judentum, Christentum und den Islam. Es gibt in Kurdistan weitere wichtige Religionen, wie Zoroastrier, Jesiden, Kakai und viele mehr. Auch diese sandten ihre Vertreter zum Event. Da diese drei Kuppeln an die drei zu Beginn der Föderation errichteten Gotteshäuser erinnern, sieht niemand ein Problem darin, dass nicht jede der dutzenden Religionen der Region eine eigene Kuppel erhalten hat. 

Die Ausstellung ist in eine höhlenartige Struktur eingebaut. Diese erinnert an die Höhlen in den Bergen Barzans, in die sich die Peschmerga, die kurdischen Kämpfer, oft zurückziehen mussten. „No friends, but the moutains“ – „keine Freunde, außer den Bergen“, lautet ein kurdisches Sprichwort.

Die Ausstellung ist modern und ansprechend gestaltet. Neben Filmen und Videos findet man Zitate und Artefakte: Waffen, Kleidung und persönliche Gegenstände. Mullah Mustafa Barzani hatte sein Leben dem Kampf der Kurden gewidmet, daher kann man die Geschichte entlang seines Lebens erzählen.

Unzählige Male wurden er, seine Familie, sein Stamm und sein Volk verfolgt, gedemütigt, ermordet. Immer wieder setzen sie ihren Kampf für ein freieres, besseres Leben fort. Immer wieder machten sie Deals mit Gruppen, von denen sie zuvor verfolgt worden waren. Alles, um sicherzustellen, dass die Kurden nicht vernichtet werden. 

Eingang der Ausstellung im Barzani Memorial

Die Eröffnung des Memorials endet, wie in Kurdistan üblich, mit einem großen Essen. Die langen Tische sind mit Essen eingedeckt, ähnlich wie in einem Festzelt. Man bedient sich, muss aber zwangsläufig mit den Nachbarn sprechen, wenn man etwas haben möchte, was weiter weg steht. Dabei gibt es keine Sitzordnung, keine VIP-Bereiche. So sitzen Tontechniker in der Pause neben Ministern, Generalkonsule neben eingeladenen Anwohnern und Journalisten neben Präsidenten. Wenn es Baklava gibt, sind alle gleich. 

Artefakte und szenische Darstellungen im Barzani Memorial

Am Nachmittag hoben die Helikopter der Präsidenten und Premierminister ab, die Kolonne der Protokollfahrzeuge setzte sich in Bewegung. Zwei Stunden bis zur Hauptstadt Erbil.

Die Straßen der Dörfer, die man durchfährt, sind gesäumt von Einheimischen, die filmen und winken. Sie sind nicht genervt von der temporären Straßensperrung, sondern freuen sich, dass die Welt zu Gast bei ihnen ist, dass die Menschen Kurdistan nicht vergessen. Und wer eine eigene Protokollabteilung hat, der hat eine eigene Regierung. Eine der größten Errungenschaften des Kampfes. 

Die kurdische Hauptstadt Erbil bei Nacht

In Erbil sieht man die Früchte, die dieser Kampf tragen kann. Im Zentrum der Stadt befindet sich die Zitadelle von Erbil, welche seit mehr als sechstausend Jahren durchgehend bewohnt ist. Als die Pyramiden von Gizeh gebaut wurden, wohnten in der Zitadelle schon rund 2.000 Jahre lang Menschen.

In Sichtweite stehen Wolkenkratzer, die nachts mit Lichtspielen beleuchtet sind. Dahinter kommt ein moderner internationaler Flughafen mit Autovermietungen, noch ein Stück weiter leuchtet einer der Freizeitparks. 

All dies wurde durch Kompromisse, Deals, Zurückstecken und vorsichtiges Verhandeln erreicht. Gewalt wird nur als äußerstes Mittel akzeptiert, wenn die Region angegriffen wird. Unterdrückung und kriminelle Handlungen sind gesellschaftlich nicht akzeptiert. So kommt es heute noch vor, dass man am überfüllten Parkplatz neben der Zitadelle seine Fahrzeugschlüssel am Auto lässt, damit andere das Fahrzeug zur Seite fahren können, wenn sie ausparken wollen. 

Eine interessanter, friedlicher und touristisch wenig erschlossener Fleck Erde, der aber problemlos von Touristen besucht werden kann, die das Barzani National Memorial besuchen wollen. 

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