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Journalisten als Freiwild der Corona-Leugner?

Noch während die rechtsoffene Corona-Leugner Demonstration gestern durch Berlin zog, häufte sich die Kritik an der Berliner Polizei. Weder wurden Journalisten ausreichend geschützt, noch wurde auf die Maskenpflicht geachtet. War diese Kritik berechtigt? Aus Sicht eines Journalisten vor Ort: ja und nein.

Wenn ein langer Demo-Tag in Berlin ansteht, muss man seine Ressourcen gut planen. Dies gilt für Journalisten genauso, wie auch für die Polizei. Als Journalist stellt sich die Frage: Wann startet man wo und wie gehts dann weiter? Startet man zu früh, ist man zu früh müde. Startet man zu spät, könnte man etwas Relevantes verpassen. Für mich startete der Tag gegen zwölf Uhr am Alexanderplatz. Von einem erhöhten Gebäude aus um Übersichtsaufnahmen der Demonstration anzufertigen und die Größe der Demonstration abschätzen zu können.

Zu sehen waren zehntausende Demonstranten mit Regenbogenflaggen, der Friedenstaube, abgewandelten Symbolen der Nazis und Fans des deutschen Kaiserreiches. Eine sehr wirre Mischung. Gemeinsam hatten sie vor allem, dass sie die aktuelle Pandemie für eine Lüge halten: Wahlweise habe Bill Gates diese inszeniert, um uns seine Chips in den Kopf zu setzen, oder aber Angela Merkel, um das deutsche Volk gegen ein anderes auszutauschen.

Solche Leute sind schwer einzuschätzen. Was weit und breit fehlte, war häufig die Polizei. 

An den Kreuzungen standen jeweils wenige Polizisten, um den Verkehr zu leiten. Die Berliner Bevölkerung ist so etwas gewohnt, meist reicht ein querstehendes Polizeimotorrad um zu signalisieren, dass es hier nicht weiter geht. Die Demonstranten waren aus der Distanz friedlich, so dass es auch keinen offensichtlichen Grund gab, die Veranstaltung mit mehr Polizei zu begleiten. Sobald man sich der Demonstration näherte, sah man, dass dort niemand eine Maske trug. Die Journalisten jedoch schon. Somit fiel man sofort auf. Und das war anders, als sonst. 

Auch auf rechten Demonstrationen setzen sich die Akteure gerne für ihre Zielgruppe in Szene. Es wird gestreamt und Fotos mit großformatigen Kameras gemacht. Gerade durch die heterogene Masse an Leuten fällt man als Journalist aber wenig auf. Man kann relativ unbehelligt seine Fotos machen. Wird einem zu unwohl, kann man sich meist einfach zum nächsten Polizisten zurückziehen oder die Linie zur Gegenveranstaltung übertreten, um an einer anderen Stelle zurückzukommen. Wenn ich bedrängt wurde, kamen regelmäßig eigenständig Polizisten dazu, um zu helfen. Auch in so einem Umfeld werden regelmäßig Kollegen verletzt, aber man hat eine gewisse Sicherheit und kann sich relativ gut bewegen.

Gestern konnte man sich dem Demozug kaum nähern, ohne direkt mit „Maske ab“ oder „Lügenpresse“, wahlweise auch „Nazis raus“ begrüßt zu werden. Letzteres entstammt der Logik, dass der Nazi Adolf Hitler der Leiter der Antifa war. Angela Merkel sei seine Enkelin und führe sein linkes Nazi-Terrorregime weiter und Journalisten arbeiten wiederum für Merkel. 

In der Demo selbst wurde man schnell beleidigt oder bedrängt. Eine freie Berichterstattung war unmöglich. Die weit verteilte Polizei erklärte mir, dass sie da nichts machen können. Sie boten an, dass man in ihrer Nähe bleiben könne um von dort aus zu Arbeiten. Für mehr reichen die Ressourcen nicht. Immer freundlich, immer hilfsbereit, aber in der Sache leider nur bedingt hilfreich.

Vom Alexanderplatz aus ging es knapp zwei Kilometer weiter zum Brandenburger Tor. Dort zeigte sich ein ähnliches Bild: Relativ wenig Polizei, aber auch keine Krawalle. Die rechten Demonstranten provozierten wo es ging, griffen aber (dann und dort) niemanden an. Auch hier konnte man nicht berichten, nicht einfach seine Fotos machen, nicht in der Demonstration mitlaufen, um etwas davon mitzubekommen. Man musste als Beobachter im Abseits stehen. 

Zwischen dem Brandenburger Tor und dem Bundestag fand eine Gegenveranstaltung neben dem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas statt. Hunderte Demonstranten wurden von dutzenden Polizisten geschützt. Alle trugen Maske, ich wurde einfach als Journalist erkannt und konnte mich frei bewegen, soweit keine Probleme. Immer wieder kamen dutzende rechte Demonstranten durch die Grünanlage zur Gegenveranstaltung, brüllten rum, warteten auf die Reaktion. Die Polizei war immer schnell da, drängte die Leute ab. Die Störer kletterten dann über den Zaun des Mahnmals, um sich über das Mahnmal Zugang zur Gegenveranstaltung zu verschaffen. Auch das wurde nach einigem hin und her unterbunden. 

Die Polizisten wurden dabei permanent von beiden Seiten bezichtig, doch auf Seite der jeweils anderen zu stehen und nichts wirklich zu tun. Keine beneidenswerte Situation. 

Der Weg bis zur Yitzhak-Rabin-Straße war relativ frei. Dort standen die nächsten Polizisten und auf der Höhe der Straße des 17. Juni begann die Abschlusskundgebung der rechtsoffenen Corona-Leugner. Auch hier waren die Polizisten hilfsbereit, boten wieder an, auf einen zu achten, wenn man in der Nähe bleibt. Meine Idee war, mich von Polizeiposten zu Polizeiposten zu hangeln. Leider gab es in Sichtweite keinen weiteren Posten.

Ich fühlte mich an 2016 erinnert, als wir 120 km vor Baghdad im Gebiet zwischen shiitischen Milizen, Islamischen Staat, irakischer Armee und Peschmerga rumfuhren. Wir mussten immer sicherstellen, dass wir noch in Reichweite des nächsten Beobachtungspostens mit Raketenwerfer waren und mussten das in Etappen abklären. Im Januar war ich in Mossul. Dort konnte ich einfach aussteigen, Fotos machen und Menschen ansprechen. Wenn ich in Mossul einfacher arbeiten konnte, als gestern auf der Demo, dann hängt die Messlatte echt tief. 

Natürlich war die Lage in Berlin alles in allem angenehmer, eher insgesamt sehr ärgerlich. Inzwischen erreichten uns die Berichte der Kollegen: Dunja Hayali war trotz Personenschutz massiv bedrängt worden. Björn Kietzmann wurde bedrängt und auf den Kopf geschlagen.

Da an eine sinnvolle Arbeit nicht mehr zu denken war, brach ich den Tag hier ab und fragte die Polizisten, in welche Richtung ich am besten weg käme. „Keine Ahnung!“ – ich finde ehrliche Antworten immer besser als geschönte. Es gab ein paar Wege, die relativ leer waren und über die es problemlos ging. Richtig gut fühlte sich das Ganze dennoch nicht an.

Demonstration einfach auflösen?

Auf der anderen Seite muss man sagen: Was wäre mein Erkenntnisgewinn gewesen, wenn ich mehr Zeit in der Demo verbracht hätte? Verschwörungstheoretiker erklären sich im Kreis rum ihre Verschwörungstheorien. Rassisten erzählen rassistisches und Antisemiten schimpfen auf die Juden. Wirklich neu ist nichts davon. Die Akteure sind bekannt, die wirre Allianz der verschiedenen Gruppen ist auch nicht neu. Auch die Berichte der Kollegen, die länger da waren, bieten unterm Strich kaum Mehrwert. Wenn es nichts Neues zu berichten gibt, dann kann man halt nichts Neues berichten. Auch das gehört zum Job.

Früh wurden Stimmen laut, man hätte alles auflösen sollen, das hätte beim G20 Protest in Hamburg schließlich auch geklappt. Beide Ansichten teile ich nicht. Mit den vorhandenen Kräften hätte die Polizei Berlin die Veranstaltung kaum stoppen können. Es wäre ein Katz-und-Maus Spiel quer durch Berlin geworden, was den ganzen Tag angedauert hätte. Einen Vorteil zu einer klar erkennbaren und sich in eine Richtung bewegende Gruppe von Maskengegnern sehe ich während einer Pandemie nicht. Es hätte auch keine Kapazitäten gegeben, alle Leute festzunehmen und irgendwo coronasicher unterzubringen. 

Der Vergleich mit den G20 Protesten in Hamburg hinkt zudem gewaltig. Dort waren mehr als 10.000 Polizisten im Einsatz, unter anderem Spezialeinheiten aus mehreren Ländern bis hin zur GSG9 und EKO-Cobra aus Österreich. Zu meinen, eine Auflösung der Veranstaltung sorge dafür, dass alle Beteiligten friedlich nach Hause gehen, ist etwas optimistisch. Genau das passierte bei den G20 Protesten eben nicht. Es gab größere Ausschreitungen, eine verzögerte Reaktion der Polizei sowie Berichte über Polizeigewalt auf der einen und Plünderungen auf der anderen Seite. Bis heute reisst die Kritik an Teilen des Polizeieinsatzes nicht ab. Warum man sich genau so etwas herbei wünscht, ist mir unverständlich. Wenn, dann möchte ich einen geordneten Polizeieinsatz, rechtsstaatlich und mit einem klaren, erreichbaren Ziel. 

Das Problem sehe ich darin, dass genau diese Szene sich vom Narrativ des schwachen Staates speist, wie schon ihre geistigen Väter. Bei Recherchen für das Buch „Warum ich Nazi wurde, habe ich hunderte Texte von Nazis aus den dreißiger Jahren gelesen. Ihre Argumentation war ähnlich: „Der Staat ist schwach, wir müssen ihn stürzen, wir sind die Guten!“ In vielen Texten fällt auf, dass diese Leute vor zwei Dingen Angst hatten: einem starken Staat, der das geltende Recht durchsetzt und sozialer Isolation. Wenn die Kollegen sich über sie aufgeregt haben oder sie bekehren wollten, dann freute sie das. Wenn sie isoliert wurden und die Arbeit aufgrund ihrer Nazinähe verloren haben, deprimierte sie das. Und wenn die Polizei gegen sie vorging, waren sie überrascht. Sie gingen ja davon aus, dass genau diese nicht funktioniere. Das wäre ein guter Grund gewesen, genau diesen Leuten gestern ihre Grenzen aufzuzeigen und das Narrativ zu durchbrechen.

Zusammengefasst kann man sagen: Mich ärgert der gestrige Tag auf vielen Ebenen. Dass Zehntausende ohne Maske rumliefen, dass Journalisten bedrängt und verletzt wurden, dass ich nicht richtig arbeiten konnte. Aber da war das Kind schon in den Brunnen gefallen. Wichtiger ist für mich die Frage, wie Journalisten in Zukunft in Berlin wieder bei der Arbeit geschützt werden und wie man so einen Aufmarsch sinnvoll verhindern kann. Die nächsten Demonstrationen stehen in einer Woche an, ich bin gespannt. 

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