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Kurdistan, Irak, Erdogan und Linke

In den vergangenen Tagen gingen widersprüchliche Schlagzeilen durch die deutschen Nachrichten: Einigen Personen, darunter auch Abgeordneten der Linken, wurde die Einreise nach Kurdistan (Irak) verweigert. Dabei handelt es sich um die Autonome Region Kurdistan im Norden des Irak, welche selber über die Ein- und Ausreisebestimmungen ihrer Region entscheiden kann. Hier sollte eine pro-PKK Veranstaltung stattfinden, welche die kurdisch-irakischen Kräfte aber nicht haben wollten. Um das schwierige Verhältnis zu erklären, muss man jedoch etwas früher anfangen. Ein Kommentar.

DDR und Saddam

Das DDR-Regime und der Diktator Saddam Hussein waren gute Freunde. Sie lobten sich gegenseitig dafür, keine Bettler auf den Straßen zu haben und alle Bürger gleich zu behandeln. Die DDR verkaufte Waffen an das südafrikanische Apartheitsregime, Saddam kaufte sein Giftgas in Westdeutschland. In beiden Ländern konnte man von der Regierung getötet werden, wenn man mit dem Regime unzufrieden war.

Die Stasi zeigte Saddams Leuten, wie man Gefängnisse so baut, dass eine Flucht erschwert wird. Dies wurde unter anderem im berüchtigten Foltergefängnis Amna Suraka in Sulaimaniyya umgesetzt, welches heute eine Gedenkstätte ist. Hier wurden unzählige irakische Kurden zu Tode gefoltert. Dafür lernte die Stasi von Saddams Leuten, wie man erfolgreich foltert.

Trotz all dieser, schon seit langem bekannten Gräueltaten, fällt es Teilen der Linken in Deutschland immer noch schwer, diese Dinge einzusehen. Zum Glück werden diese Mitglieder in letzter Zeit weniger.

Viermal Kurdistan

Apartmentanlage Erbil

Seit 2005 kann Kurdistan (Irak) im Großen und Ganzen über sich selber bestimmen. Es gibt ein eigenes Parlament, eine eigene Regierung, eine eigene Armee und eine eigene Polizei. Es gibt Glaubens- und Pressefreiheit, man kann wählen gehen. Abgesehen davon gibt es heute Shoppingmalls, Cafés, Freizeitparks, Flughäfen und Autobahnen. Geschminkte Frauen laufen im Minirock durch die Straßen und die Kinder lernen Englisch in der Schule. Das Handelsvolumen mit der Türkei beträgt 5-6 Milliarden US-Dollar pro Jahr und Kurdistan (Irak) hängt von den Importen ab.

Park in Erbil

In den kurdischen Teilen der Türkei, Syriens und des Iran sieht es anders aus. In Syrien konnten die dortigen Kurden sich durch die Zusammenarbeit mit den USA eine gewisse Freiheit erarbeiten, doch wie sehr diese von guten Deals mit den „Imperialisten“ abhängt, zeigte sich immer wieder. Die USA sind dort, um ihre Ölfelder zu sichern – an allem anderen haben sie wenig Interesse. Die Zusammenarbeit mit der YPG in Rojava (Syrien) ist für sie nur ein Mittel zum Zweck.

In der Türkei und im Iran wird die kurdische Bevölkerung mal mehr, mal weniger unterdrückt, kennt aber kein freies Leben. In der Türkei ist auch keine politische Beteiligung möglich. Diese wird immer wieder theoretisch in Aussicht gestellt, in der Praxis aber nicht ermöglicht. Mehr als 20 % der türkischen Bevölkerung ist kurdisch. In diesem Kontext ist es nachvollziehbar, dass es Widerstand gibt – und auch, dass sich bewaffnete Gruppen bilden, welche sich gegen diese Diskriminierung wehren wollen.

Kurdistan (Irak) und die PKK

Die PKK zieht sich seit Jahrzehnten immer wieder über die türkisch-irakische (oder kurdisch-kurdische) Grenze nach Kurdistan (Irak) zurück. Die Kämpfer leben dort in den hohen Bergen des Kandilgebirges, fernab von Dörfern und Städten. Die kurdische Regionalregierung bat die PKK regelmäßig, Kurdistan (Irak) zu verlassen, griff aber nicht ein. Immer wieder verfolgte die türkische Armee die PKK über die Staatsgrenze hinweg nach Kurdistan (Irak). Auch das wurde bisher geduldet.

Kurdistan (Irak), die Türkei und die USA

Us Kampfhubschrauber in Kurdistan

Kurdistan (Irak) hat sich sehr nach westlichem Vorbild entwickelt. Die Beziehungen zu den USA sind kompliziert, aber tendenziell gut. Die US-geführte multinationale Koalition hat mehrere Luftwaffenstützpunkte in Kurdistan (Irak) und ist mit rund 3.500 Soldaten präsent. Diese gehen in erster Linie gegen den IS vor, beobachten aber auch die stärker werdenden schiitischen Milizen, welche vom Iran gesteuert werden.

Früher hatten Kurdistan (Irak) und die USA mit Assad und Saddam gemeinsame Feinde, nun haben sie mit Assad und dem Iran gemeinsame Feinde. Auf der anderen Seite wurden die Kurden immer wieder von den USA fallen gelassen, erhielten aber auch viel Hilfe.

Der Bürgerkrieg in Syrien wurde durch das Auftreten und die Ausbreitung der Terrororganisation Islamischer Staat wesentlich komplizierter. Von 2013 an flohen mehr als eine Million Syrer nach Kurdistan (Irak), später folgten rund eine Million Iraker, welche formal als „internally displaced“ (Binnenflüchtlinge) gelten, da sie sich technisch noch im gleichen Land befanden. Der IS näherte sich Kurdistan (Irak) bedrohlich und die kurdische Regionalregierung bat um Hilfe. 

Ich sprach seit 2011 regelmäßig vor Ort mit Regierungsvertretern, welche vor allem 2014 nicht verstehen konnten, warum ihnen niemand helfen wollte. Als der IS Mossul übernommen hatte, wurde das Problem noch einmal gravierender. Doch Kurdistan (Irak) hatte erneut angekündigt seine Bevölkerung zu fragen, ob sich Kurdistan (Irak) vom Irak lösen sollte. Die USA machten klar: Sie helfen nur, wenn es kein Referendum gibt. Denn: Wenn sich Kurdistan vom Irak ablöst, sähe es so aus, als sei der Irakkrieg kein Erfolg gewesen. Eine Logik, welcher man hier kaum folgen kann. 

Die Türkei hingegen half sofort. Sie schickten den Peschmerga, den Soldaten Kurdistans (Irak), Waffen, Munition und Ausbilder. In Deutschland wurde weiterhin diskutiert, ob man helfen solle. Die Waffen aus der Türkei waren für den Kampf gegen den IS bitter nötig. Ich war im Sommer 2014 in einem Vorort Mossuls und konnte das Problem dort einfach sehen: Der IS konnte die Peschmerga mit wenigen großkalibrigen Maschinengewehren in Schach halten, da die Peschmerga kaum über gepanzerte Fahrzeuge und keine Waffen mit großer Reichweite verfügten.

Mit Luftschlägen oder Raketenwerfern hätten sie die IS-Terroristen auf der anderen Seite des Tigris töten können.

Zusätzlich zog sich die irakische Armee zur gleichen Zeit mehr und mehr kampflos aus Gebieten wie Kirkuk oder der Nineveh-Ebene bis Shingal zurück. Die Peschmerga versuchten, dieses Machtvakuum zu füllen. Dabei hätten sie rechnerisch mit einem Soldaten einen Quadratkilometer rund um die Uhr sichern müssen. Und sie mussten Gebiete sichern, welche nicht zu ihrem eigentlichen Territorium gehören. So war es dem IS möglich, Gebiete wie Shingal zu überrennen und einzunehmen. Dass große Teile der jesidischen Bevölkerung ermordet oder verschleppt wurden, wird bis heute von vielen Menschen als Verschulden der Peschmerga gesehen, obwohl die Sicherung des Gebietes zu den Aufgaben der irakischen Armee gehörte. Die Peschmerga waren bereits mehr als 100 km von ihrem eigenen Territorium entfernt. Doch es zeigte sich, dass alle politischen Manöver am Ende zu mehr Toten führten. Die kurdische Regionalregierung knickte gegenüber den Amerikanern ein. Sie verzichteten auf ihr Referendum, um andere Menschen zu schützen, die von der irakischen Armee in Stich gelassen wurden. Die USA bauten mehrere Luftwaffenstützpunkte (Q-West, Erbil, Harrir) aus und begannen mit den Bombardements des IS und der Aufklärung.

Am 01. September 2014 stimmte der Bundestag über die Waffenlieferungen nach Kurdistan (Irak) ab. Außer Kurdistan (Irak) gab es für Deutschland nur Israel als verlässlichen Partner in dieser Region. Man wollte nicht einen von zweien verlieren. Kritik an den Waffenlieferungen gab es erneut von Linken, wie Matthias Höhn, welcher sagte: „Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir solche Waffenlieferungen, gerade auch in diese Region nicht wollen.“ Doch Deutschland lieferte die Raketenwerfer, die man vor Ort brauchte, um gegen den IS zu kämpfen. Später wurde in Deutschland das Gerücht gestreut, die Peschmerga hätten die Waffen der Bundeswehr auf dem Basar verkauft. Nach eingehender Recherche stellte sich die gesamte Geschichte als erfunden heraus.

Das Wunder von Kobane

Am 15. September 2014 begann die Schlacht von Kobane im kurdischen Teil Syriens, direkt an der türkischen Grenze. Die kurdische Volksverteidigungseinheit YPG war vom IS im Westen, Osten und Süden eingekreist worden. Im Norden standen hinter der syrisch-türkischen Grenze türkische Panzer, welche nicht einschritten. Hinter den Panzern standen die Kameras der Welt und blickten auf diesen verzweifelten Ort. Die kurdische Regionalregierung im Norden des Irak verhandelte mit der türkischen Regierung über einen Deal, den bis dahin niemand für möglich gehalten hätte: Kurdisch-Irakische Peschmerga sollten auf dem Land- und Luftweg durch die Türkei nach Kobane um dort gegen den IS zu kämpfen. Und sie erhielten, nach einiger Überzeugungsarbeit durch die US-Regierung, die Zustimmung der Erdogan-Regierung. Die Bilder auf dem Weg dahin waren unglaublich: Gepanzerte Fahrzeuge mit kurdischen Flaggen und bewaffneten kurdischen Soldaten fuhren durch das PKK nahe Gebiet der Türkei. Tausende standen am Rand und jubelten ihnen zu. Türkische Sicherheitskräfte bahnten dem Konvoi den Weg. Sie kämpften zusammen mit der YPG auf dem Boden sowie den US-Kampfjets in der Luft und besiegten den IS in Kobane gemeinsam. Danach fuhren sie zurück. 

Ein historisches Ereignis für alle Beteiligten. Äußerst irritierend war nur die Forderung der Linken-Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz „Solidarität mit dem Widerstand in Kobane! US-Bombardement stoppen!“ Die USA bombardierten den IS in Kobane. Sollte der IS also der Widerstand sein? Und gegen wen sollte der kämpfen? Kein Wort zu den Angriffen des IS, kein Wort zu dem russischen Engagement in Syrien, kein Wort zum Diktator Assad.

Die PKK und die türkische Armee in Kurdistan (Irak)

Im Laufe der darauf folgenden Jahre hat die türkische Armee mehrere Stützpunkte in Kurdistan (Irak) eingerichtet, um von hier aus die PKK zu bekämpfen. Die PKK erreichte immer wieder kurdisch-irakische Dörfer und zog ihre Gefechte mit der türkischen Armee dort hin. Bis heute mussten daher hunderte Dörfer evakuiert werden. 

Die Bevölkerung ist dort, wo die PKK ist, heute nicht mehr sicher und flieht. Die kurdischen Peschmerga haben mit dem Kampf zwischen der PKK und der türkischen Armee nichts zu tun und möchten sich gerne raushalten. Die PKK sieht die Peschmerga jedoch zunehmend als Gegner. Im vergangenen Jahr gab es immer mehr direkte Zusammenstöße zwischen PKK und Peschmerga. Hierbei sind viele Peschmerga getötet worden und noch mehr kurdische Zivilisten flohen vor der PKK.

Die Peschmerga entsandten nun kürzlich eine Spezialeinheit, welche die Tunnel zerstören sollten, durch welche die PKK sich nach Angriffen zurückzieht. Diese waren jahrelang geduldet worden, um den Konflikt nicht noch mehr eskalieren zu lassen.

Im Framing der PKK greift die türkische Armee Kurdistan (Irak) an, weswegen die PKK das Gebiet in Kurdistan (Irak) verteidigen müsse. Die gewählte Regierung sei in Wirklichkeit ein korruptes, wahlfälschendes Regime, welche das Volk unterdrücke. Kurdistan (Irak) wird derzeit jedoch von einer Koalition zweier Volksparteien regiert. Hätte der eine Partner die Wahl manipuliert, dann so schlecht, dass er dennoch darauf angewiesen gewesen war und noch ist, mit einem politischen Gegner zu koalieren. Die Einwohnerzahl der kurdischen Hauptstadt Erbil hat sich in zwanzig Jahren verdreifacht, die Einwohnerzahl Kurdistan-Iraks im gleichen Zeitraum verdoppelt. Der Bereich Kurdistan-Iraks, in welchem die PKK aktiv ist, ist inzwischen fast menschenleer. Das Volk scheint den „Befreiungskampf“ der ungebetenen bewaffneten Gäste gegen die gewählte Regierung also nicht gerade wertzuschätzen.

Die türkische Armee nutzt also die PKK als Vorwand um ihre Position in Kurdistan (Irak) zu stärken. Die PKK gibt ihnen willig einen Grund nach dem anderen, um zu bleiben. Die einzige Chance der kurdischen Regionalregierung, diesen Knoten zu lösen, wäre, die PKK zum Abzug zu bewegen. Diese will aber freiwillig nicht gehen. Sie legen es auf einen bewaffneten Konflikt an.

Pro-PKK Veranstaltung und Ausreiseverbote

In diesen Tagen sollte in Erbil eine Pro-PKK Veranstaltung stattfinden, zu der auch wenige Abgeordnete der Linken anreisen wollten. Dass ihre Einreise nicht erwünscht ist, war lange bekannt. Sie versuchten es dennoch, nur um sich abweisen zu lassen. Es wurden auch „Journalisten“ abgewiesen, welche zuvor durch deutliche PKK-Nähe und Ablehnung der kurdischen Regionalregierung aufgefallen waren. Nach Aussage einiger Teilnehmer gehe es ihnen aber gar nicht um die PKK, sondern um den Angriffskrieg der Türkei auf Kurdistan (Irak). So schrieb Michael Neuhaus auf Twitter „Wir sind hier, um auf den Angriffskrieg des NATO-Partners Türkei hinzuweisen.“

Diesen Angriffskrieg gibts aber nur im Framing der PKK. Würde ein Angriffskrieg tatsächlich stattfinden, müsste man ja auf Seiten der Peschmerga stehen, die Kurdistan (Irak) verteidigen. Die Peschmerga werden von den Teilnehmern der Veranstaltung jedoch regelmäßig diffamiert.

Auch hier versucht man die Schuld am deutschen Ausreiseverbot als Zeichen der Macht Erdogans zu deuten. Er habe die Anweisungen an die deutschen Behörden gegeben, welche diesen direkt folgten.

Warum Erbil?

Ist Erdogan bzw. die türkische Regierung also gar nicht so schlimm? Doch, daran gibt es keinen Zweifel. Aber hier geht es um etwas anderes: Dass diese Menschen bei ihrer Einreise Probleme bekommen haben, lag also nicht an ihrer Erdogan-Kritik, sondern an ihrer Veranstaltung. Warum sollte man überhaupt eine pro-PKK Veranstaltung in Erbil stattfinden lassen? In der Hauptstadt der Region, welche als korrupter Polizeistaat dargestellt wird?

Weil das alles nicht so ist. In Erbil kann man im bequemen Hotel sitzen und seine negative Meinung zur kurdischen Regionalregierung twittern, ohne dass einem irgendeine Gefahr droht. Man kann der PKK huldigen, welche 200km weiter kurdische Grenzschützer tötet. In Erbil, weil die eingereisten Abgeordneten dann doch noch die Sonne auf der Zitadelle von Erbil genießen und problemlos Menschen treffen konnten. Ohne, dass sie irgendjemand gehindert oder festgenommen hat.

Dort kann man, ohne Gefahr um Leib und Leben, einen nicht vorhandenen NATO-Angriffskrieg erfinden und wird irgendwann einfach wieder nach Hause geschickt. In der Türkei, gerade in den kurdischen Gebieten, wäre so ein Veranstaltung gegen Erdogan gar nicht möglich – aber dringend nötig. Also macht man sie in einem Urlaubsgebiet und inszeniert sich als Opfer.

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